Prolog

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Ich war die Einzige, die sich bei dem strömendem Regen aufs Deck wagte.

Die Nässe hatte mich durchweicht und saugte sich durch meine Kleidung, bis sie eine zweite Haut bildete. Es war schön, so wunderschön.

Die Küste entfernte sich immer mehr. Mit ihr sollte all das verschwinden, was ich verabscheute: mein vorhersehbares Leben, die Routine meines Alltags, ich selbst. Ich sah ihnen hinterher, auch als der Nebel sich schon längst um die Kreidefelsen von Dover gelegt hatte.

Sie waren nicht mehr sichtbar. Dieses Schiff fuhr in meine Zukunft, vor mir lag die Chance neu anzufangen und mich selbst zu erfinden. Es hatte keinen Sinn tausende von Textbüchern streichen zu wollen, vor mir lag ein druckfrisches Heft. Ich musste nur noch den Stift aufnehmen und jemand Neues kreieren.

Alles war besser als das Alte, dessen Durchschaubarkeit seine Hände um meine Kehle gelegt hatte. Erst bemerkte ich gar nicht, wie ich mich selbst gefesselt hatte, doch mit der Zeit wurde der Griff immer dringender. Ich war gegangen, bevor mir die Luft blieb und ich für immer zu einem Zustand der Lähmung verdammt war.

Ein angenehm kühler Wind zog vorbei und ich schloss die Augen, um ihn zu genießen. Ich fühlte mich, als könnte ich das erste Mal seit Jahren wieder richtig atmen. Das war meine Rettung.

"Miss?" Hinter mir war eine Stimme aufgetaucht. Ich sah die dazugehörigen flackernden Augen, die nervös zwischen mir und der Reling hin und her fuhren, ohne mich umzudrehen. "Miss, ich muss sie bitten von dort wegzugehen." 

Er wusste nicht, wie gerne ich seinen Worten folgte. Weg, weg, einfach nur weg. 

Ich war gegangen, ohne ein Ziel vor Augen zu haben. Das nächst ablegende Schiff war eine zufällige Entscheidung gewesen, als ich es nicht mehr ausgehalten hatte. Das Ziel? Unbedeutend. Ich hatte keinen Plan, ich wusste nicht wo ich schlafen oder von welchem Geld ich essen sollte. Verflucht, ich wusste nicht einmal, was ich mit meiner Freiheit anfangen wollte, außer frei zu sein. Aber genau darum ging es. Ich wollte nicht wissen, wie mein Leben wird. Ich wollte keinen Plan, der mich in bestimmte Schubladen drängte.

Wäre ich den gleichen Weg gegangen, wenn ich gewusst hätte, was mich dort erwartet?

Vielleicht. Der Mensch ist zur Vollkommenheit nur bei der Zerstörung fähig. *

* Erhard Blank

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Herzlich willkommen bei Wild Lights! Einige von euch haben diese Geschichte vielleicht schon mit einem anderen Anfang gesehen. Diejenige würde ich bitten, mir auch diese Chance zu geben, mein Buch umzustrukturieren und zu verbessern. Ganz viel Liebe!

Das wunderschöne Cover ist übrigens von @onelittlelovestory .

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