Es war Montag, als ich ihn das erste Mal kennenlernte. Diese Trivialität war mir ins Gedächtnis gebrannt, unwiderruflich zu löschen. Ich mochte Montage. Früher habe ich sie gehasst, verkündeten sie doch eine weitere verschwendete Woche. Wenn ich heute daran denke, habe ich nur seine warme Stimme im Kopf, der man das Schmunzeln anhörte. Es hat sich viel durch ihn verändert.

Tatsächlich war "Montag" sein erstes Wort an mich.


Die Fähre hatte mich nach Calais gebracht, eine Hafenstadt in Frankreich. Ich hatte Glück gehabt, viele Passagiere fuhren von dort mit ihren Autos weiter. Ich hielt den Daumen raus. Ein älterer Mann nahm mich mit, der geschäftlich in England zu tun gehabt hatte. Er schüttete mir seine Seele aus und ich hing meinen Gedanken nach. Es war für uns beide das Beste. Wir fuhren die A26 bis nach Paris, A wie Abenteuer. Dort setzte er mich ab und wieder alleine verließ mich das Glück. Mitten in der Stadt war es schwer weiter zu kommen.

Ich hatte kein Geld für ein Zimmer und versuchte nun, die Nacht durchzumachen. Meine Lider flatterten. Wenn ich nichts dagegen tat, würde ich einschlafen. Ich drückte meinen Rucksack fest an mich, das Einzige was ich mitgenommen hatte. Kleidung, eine Zahnbürste - das alles war ersetzbar. Langweilig. Ich brauchte es nicht. Dafür hatte ich etwas anderes.

Ich war besessen von Photographie, der Art wie sie einen Moment einfing und ihn für die Ewigkeit als lebendig konservierte. Ich hatte hart gespart, um mir eine Kamera kaufen zu können. Sie war mein Zukunftsversprechen und ich würde nicht zulassen, dass man mir diese Perspektive stahl.

Um drei Uhr nachts, als die Müdigkeit immer bedrängender wurde, beschloss ich schließlich meine Kamera zu retten. Ich streifte durch die dunklen Viertel, immer darauf bedacht den Lichtkegeln der Laternen auszuweichen, damit mich niemand sah. Ich war mein eigener Schatten. 

Lachende Stimmen ertönten und ich hob den Blick. Leuchtwerbung durchbrach die Dämmerung, ich erkannte das französische Wort "ouvert", offen. Es war eines der wenigen Worte, die ich in dieser Sprache beherrschte und ich war noch nie erfreuter, es zu sehen. Hinter den Neonstäben verbarg sich ein kleines Dinner, das 24 Stunden geöffnet war. Die Einrichtung schien in den Siebzigern stehen geblieben und nie erneuert worden zu sein. Es war hässlich. Die Vorstellung an einen dampfenden Kaffee und etwas, um meinen rumorenden Magen zu füllen, ließ mich es als wunderschön empfinden.

Ich sank auf einem der Sitzpolster nieder, aus dessen Löchern die Füllung fiel. Jedes Mal, wenn ich mich zurücklehnte, wurde ein Stück Schaumstoff herausgepresst, bis die Bank mit weißen Flecken verziert war. 

Der Großteil meines Geldes war bereits für die Fährfahrt draufgegangen. Ich kratze die letzten Münzen aus meiner Jackentasche - Pfund. Die Vorstellung auf ein warmes Getränk zerplatze und die Seifenblasenflüssigkeit lief an mir herunter. Um diese Uhrzeit fand ich niemanden mehr, der mein Geld wechselte. 

Ich legte meinen Kopf auf der Tischplatte und genoss für einen Moment den Frieden, den das Nichts versprach. Ich stand an der Klippe, einen Fuß schon über dem Abgrund und die Müdigkeit war unmittelbar davor, mich zu besiegen.

Dann hörte ich seine Stimme.


"Montage sind furchtbar."

Überrascht wandte ich den Kopf. Ein blonder Junge war an meinen Tisch getreten und betrachtete die erbärmliche Gestalt, die ich abgab, mit einem Strahlen auf den Lippen. Ich hatte noch nie zuvor jemanden vernommen, der so motiviert über diesen schrecklichen Wochentag sprach. Seine Stimme war weich, sie floss wie Honig um meinen zersplitterten Kopf und fügten die Bruchstücke wieder zusammen.

"Woher weißt du, dass ich Engländerin bin?" Es interessierte mich nicht, ich wollte ihn nur noch einmal reden hören.

Er deutet auf die Münzen und beim Abbild der Queen hoben sich seine Mundwinkel nur noch mehr. "Mein Freund arbeitet hier. Erzähl mir deine Geschichte und du kannst dir was von der Speisekarte aussuchen."

Es war ein Deal, den ich liebend gerne einging.


Er führte mich zur Theke und versuchte einen Blick hinter die angelehnte Tür zur Küche zu erhaschen. "Jules?" 

Ein Junge trat heraus und wischte sich die Hände an der Kochschürze ab. Er war etwas größer, strahlte aber eine unglaubliche Ruhe aus. 

"Qu'est-ce qu'il y a ?"  Er sprach zu schnell, als dass ich den Rest des Gespräches verstanden hätte. Seine braunen Augen fuhren über mich und dann nickte er. "Je te l'apporterai." 

Es musste etwas Gutes bedeuten, denn er huschte zurück in die Küche und der Junge neben mir führte mich zu einer Sitzecke schräg gegenüber der, auf dessen herausquellendem Schaumstofffüllung ich in die Verzweiflung geraten war. 

Ich konnte es kaum fassen. Ein Essen umsonst und ein trockener Platz, an dem ich die ganze Nacht bleiben konnte, bis ich mir morgen eine andere Mitfahrgelegenheit suchen würde. Mein Glück hatte mich nie verlassen, es hatte nur auf den richtigen Moment gewartet.

An dem Tisch saß bereits ein Mädchen, das sich in ihr Handy vertieft hatte. Ich wollte nicht, dass aus Mitleid ihr Date ruiniert wurde. Ich brauchte es nicht, schließlich hatte ich mir all das, ob gut oder schlecht, selber ausgesucht. 

Der Junge ließ sich gegenüber von ihr fallen. Sie blickte auf und musterte mich. Ihre Augen hatten denselben Farbton wie dieser Koch, Jules, doch im Gegensatz zu ihm wirkten sie stechend. Sie teilten sich den olivfarbenen Hautton, das dunkle Haare und das lange Gesicht. Ein Zufall?

"Jumeaux.", erklärte sie in diesem Moment. Der blonde Junge an ihrer Seite beugte sich vor und sagte etwas, was wieder zu rasch vor sich ging, als das meine begrenzten Französischkenntnisse es begreifen konnten.

Sie verdrehte die Augen, eine Geste, die elegant an ihr wirkte, und klopfte auf den freien Platz neben sich. "Jules und Jade. Wir sind Zwillinge. Jetzt höre auf mich anzustarren und setze dich. Ich will die Geschichte auch hören."

Ich rutschte herüber, den Rucksack immer noch fest in der Hand. Sie warf einen neugierigen Blick darauf, fragte aber noch nicht danach. Der blonde Junge  streckte mir über den Tisch die linke Hand zu. "Louis. Wer bist du?"

Ich wünschte, ich hätte eine gute Antwort darauf gehabt. Ich wüsste es selbst zu gerne. Wer war ich?

Als die Stille zwischen uns zu lange wurde, brach ich sie und schüttelte seine Hand. "Grace.", antwortete ich, einzig, weil es so leicht auf der Zunge lag.

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