Ich hab Angst und das ist okay so.

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Eigentlich sollte das ein Text darüber werden, wie Geschmäcker sich ändern können. Aber irgendwann bin ich abgeschweift, das Ganze ist irgendwie eskaliert und ich hab den Text neu geschrieben. Erwartet um Gottes Willen bitte nichts übertrieben Lustiges oder gar einen roten Faden (den find ich nämlich auch nicht mehr). Aber lest selbst, wenn ihr mögt.

Ach und auch wenn es an manchen Stellen so klingen mag, will ich klare Tatsachen schaffen. Meine Kindheit war super. Ich habe die besten Menschen in der Familie und heute die besten Freunde. Ich will das hier nicht groß aufziehen, wie es namentliche Youtuber machen, um ihre Klickzahlen in die Höhe schießen zu lassen. Das hier ist nur ein kleiner Einblick, wie ich die Person geworden bin, die ich heute bin und wie ich vielleicht gerade durch meine Ängste gelernt habe, mich selbst einfach nicht zu ernst zu nehmen.

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Ich muss zugeben (und jeder der mich bis zum Alter von - sagen wir mal 14 kannte - wird euch das bestätigen) als Kind war ich der Inbegriff der Schüchternheit und der Angst. Angst vor allem. Vor Unbekanntem, vor fremden Menschen, vor Hunden, vor Veränderung, vor den älteren Kindern, davor hinzufallen, meine Kleider dreckig zu machen, davor allein gelassen zu werden. Im Großen und Ganzen, vor allem was mich auch nur einen Millimeter aus meiner sehr beschränkten aber persönlichen Komfortzone gerissen hätte.
Merkwürdig, dass eine vierjährige sich vor so vielen Dingen fürchten kann, wenn alle Menschen doch nur mit zwei Ängsten geboren werden. Der vorm Fallen und der vor lauten Geräuschen.

Meine Eltern haben mich daraus gezwungen und ich habe sie dafür gehasst. Für mich war es eine Qual mit fünf Jahren alleine zum Bäcker zu gehen. Was wenn die Enten im Park alle auf dem Weg stehen würden und auf mich zukommen würden? Was wenn ich die Bestellung vergaß? Wenn die Verkäuferin mich nicht verstand und ich den Satz wiederholen musste? Und das schlimmst mögliche Szenario, was wenn ein Hund (egal wie groß, konnte auch eine Fußhupe sein) vor dem Laden angeleint war und ich deshalb nicht rein konnte?!
Lacht ruhig, wenn ihr mögt, ich steh dazu und kann selber darüber lachen.

Später veränderten sich meine banalen Ängste wurden anders aber im Grunde waren sie immer noch banal. Nur halt anders. In der Grundschule fürchtete ich mich davor, mich mit den Mädchen zu streiten, die sich meine Freundinnen schimpften (das eine Mädel war rückblickend betrachtet eine kleine verzogene Göre aber die rotznasige Mini-Ellen hat das nicht kapiert) stritten und ich mich für eine Seite entscheiden musste, denn sonst hätten sich beiden von mir abgewandt. Oh, wie ich das gehasst hab.
Das Mädchen die manchmal meine beste Freundin und manchmal meine ärgste Feindin, war vom Kindergarten bis zum Ender der Grundschule eine eindeutige Konstante in meinem Leben. Und wenn wir uns mal wieder stritten, dann flogen die Fetzen und irgendwann ging es nicht mehr darum im Recht zu sein, sondern über die andere zu triumphieren. Aber sich zu streiten gehört dazu, daraus lernen wir, das bringt uns so gesehen auch weiter. Und es gab ja auch gute Zeiten.
Mit diesem Mädel wurde ich zum Judo geschickt. Denn kleine Mädchen die Kampfsport in einer stickigen Halle machen sind gefährlicher als kleine Mädchen, die vorm Spiegel stehen und Ballett machen. Natürlich hätte ich lieber Ballett gemacht aber da ich mit verkürzten Sehnen geboren wurde (Ja ich weiß, das ist ein Fall von #toomuchinformation) fiel das kategorisch raus.

Judo hab ich knappe neun oder zehn Jahre gemacht hab, bis die Gruppenkonstellation irgendwie seltsam wurde, ich meinen neuen Trainer nicht mehr mochte und ich schlicht weg keinen Bock mehr hatte.

Judo war lange Zeit die zweite Konstante in meinem Leben und auch wenn ich es ungern zugebe vermutlich der Grundstein für mein ziemlich langsam wachsendes Selbstvertrauen. Selbst eine altersschwache Weinbergschnecke war schneller als das Wachsen meines Selbstvertrauens.

Auf der weiterführenden Schule war es auch nicht immer rosig. Erst kam ich vom Stoff her nicht mit, ich war es nicht gewohnt für gute Noten etwas tun zu müssen.

Darf ich vorstellen, meine nächste Angst: Die Angst vorm Versagen.

Als ich dann das System von "lernen" und "ganz gute Noten schreiben" begriffen hatte, war ich in der siebten Klasse und um mich herum wüteten die Hormone. Scheiße, war das ätzend. Pubertierende sind vermutlich die grausamsten Menschen überhaupt und davon nehm ich mich selbst nicht aus. Könnte ich in der Zeit zurück reisen würde ich mein sich von allen missverstanden fühlendes dreizehnjähriges- Ich nehmen, schütteln und dann für die nächsten zwei Jahre weg sperren, bis sich alles irgendwie gelegt hat.

Als ich etwas dreizehn oder vierzehn war, machte ich mir das erste Mal wirklich Gedanken über Äußerlichkeiten und darüber was andere Menschen von mir denken. Der Druck bloß nicht aus der Reihe zu fallen war allgegenwärtig.

Das was mich vermutlich daran hinderte durch zu drehen oder zu explodieren, war das ich zu dieser Zeit meinen heutigen Freundeskreis kennen lernte, den außerhalb der Schule. Menschen denen ich nichts beweisen musste, denen ich nichts vorspielen musste, bei denen mein verqueres Vierzehnjäriges-Ich, so dumm sein konnte wie es wollte und seine Ängste wenigstens in der Gegenward dieser Leute mit Füßen treten konnte. Ich brauchte mich nicht zu verstellen, niemals und das ist vermutlich das schönste überhaupt.
Ich konnte so laut oder so leise sein wie ich wollte und niemand hat mich je dafür ausgelacht. Vielleicht weil sie auch nicht immer ganz der Norm entsprachen und wussten wie es manchmal war, sich zu verstecken und genau das zu hassen.

Die Oberstufe war besser. Trotz der ganzen Arbeit waren diese drei Jahre bis jetzt mit die besten. Vor allem weil meine Ängste die sich angestaut hatten, irgendwie verschwanden, weil die Pubertät irgendwann weniger gegenwärtig wurde, weil ich zu wenig Zeit hatte um mir Sorgen darüber zu machen, was anderen vielleicht von mir sagen würden, wenn ich mich an Eyeliner wagte, mal Klamotten trug, die im Trend waren und hin und wieder mit Sachen auftauchte, die ich trug weil ich sie schlichtweg geil fand.

Ich habe immer noch Ängste, zu viele um sie zu zählen. Angst davor, was Donald Trump fabrizieren wird, dass ich jemanden verliere aber auch vor Dingen die viel banaler sind. Aber das ist okay, Angst ist etwas natürliches, dass uns im Grunde nur schützen soll. Aber sie kann uns im Weg stehen und es kann sein, dass wir manche Ängste erst überwinden müssen, um glücklich zu sein.

Aber Fakt ist, man sieht euch eure Hemmnisse nicht an der Nase an. Niemand kann euch in den Kopf gucken und das ist auch verdammt gut so.
Ich kann tun als hätte ich das nötige Selbstvertrauen, es gibt die toughe Seite an mir, die naive, die hysterische, die nicht komplett dumme, die ängstliche, die humorvolle, die mit der zu großen Fresse, die planlose.

So zu tun als hätte ich Selbstvertrauen und hin und wieder mal eine dicke Lippe zu riskieren, hat mir tatsächlich was gebracht, denn wenn ich so tun kann als hätte ich Selbstvertrauen, warum kann ich es dann nicht einfach haben?

Was ich auch irgendwann verstanden hab, ist dass wir alle menschlich sind. Auch die Mädchen die augenscheinlich perfekte Haut haben, sind abgeschminkt am Ende des Tages genau so unvollkommen wie man selbst. Warum sich also schämen? Oder Angst vor dem Urteil einer Person haben, die wenn sie morgens nicht eine halbe Stunde früher aufstehen würde, um ihr Gesicht anzumalen genauso aussehen würde wie du?

Ich hab gelernt die Meinung der anderen hin und wieder in den Wind zu schießen und nicht immer an mich ran zu lassen. Das hat lange gedauert, Tränen und Nerven (nicht nur meine) gekostet aber es macht einen großen Teil aus. Und der Rest ist nun ja ... über sich selbst lachen (hilft wirklich) und ausprobieren was wir fürchten.

Denn Sachen die wir verstehen, vor denen fürchten wir uns nicht oder weniger. Das gilt zumindest für mich aber ich kann schließlich nicht für alle sprechen.




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