"Passt gut auf euch auf, Mädels." Meine Mutter lächelte uns stolz an: "Ihr seid schon echt groß."
Hellis Mutter nickte und sprach mit ihrem starken, griechischen Akzent: "Dann wünschen wir euch ganz viel Spaß in Neukirchberg. Ruft uns doch mal an, wenn ihr Zeit habt."
"Das werden wir!", sagte ich vor Freude strahlend. "Das wird bestimmt die tollste Zeit unseres Lebens!"
"Mit Sicherheit, Anni", stimmte meine Mutter zu, dann traf unser Zug ein. Mit einem Quietschen hielt unser Express in einen neuen Lebensabschnitt an unserem Bahngleis, die Türen öffneten sich und es war an der Zeit, aufzubrechen.
"Tschüss Mama!" Meine Freundin umarmte aufgeregt ihre Mutter und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. "Und tschüss, Frau Hansen!"
"Tschüss Helena! Viel Spaß!" Auch meine Mutter zog mich in eine kurze Umarmung zum Abschied, fuhr mit ihrer Hand durch meine mittellangen, braunen Haare und küsste mich auf die Stirn. "Mach es gut, Anni. Hab dich lieb!"
"Ich dich auch!" Fröhlich, aber auch ein wenig traurig über den Abschied löste ich mich aus ihren Armen und lächelte. Schnell verabschiedete sich auch Frau Michalis von mir, dann nahmen Helli und ich unsere Koffer und schleppten sie in den Zug hinein. Wir winkten noch einmal kurz unseren Müttern zum Abschied, ehe wir uns eine freie Sitzbank am Fenster suchten und Platz nahmen.
"Ich kann es immer noch nicht fassen...", murmelte Helena ein wenig ungläubig. "Wir fahren tatsächlich nach Neukirchberg. Mitten ins Sauerland. Mitten in eine neue Welt."
Ich lachte herzhaft und stimmte ihr zu: "Na, du bist ja auch immer in deinem geliebten Leverkusen geblieben. Da merkt man gar nicht, dass es außerhalb noch eine Welt gibt."
"Ich weiß. Es ist ja schon ein Wunder, dass du nach deinem Umzug immer noch meine Schule besuchen konntest!"
"Na, mit der Straßenbahn ist auch eine Fahrt von Refrath bis zu dir möglich. Ist zwar umständlich, aber machbar."
"Ja... Ich bin echt froh, dass du dir das jeden Morgen angetan hast. Sonst stünden wir wahrscheinlich heute nicht hier!"
"Ich weiß." Ich guckte verträumt aus dem Fenster zu meiner linken und sah meinem Geburtsort Leverkusen hinterher, bis der Bahnhof aus der Entfernung nur noch wie ein winziger Punkt wirkte. "Aber ab jetzt beginnt ein neues Leben für uns! Das Reitinternat wartet!"
Helli jauchzte vorfreudig und bereits im Zug führten wir uns auf, als wären wir schon angekommen. Dennoch stand uns die einstündige Zugfahrt noch bevor, bis wir endlich an unserem heißersehnten Ziel ankämen.
Breit grinsend holte meine beste Freundin die Broschüre des Internats aus ihrer schwarzen Jacke hervor. Viele Knickspuren zeichneten sich bereits auf dem glänzenden Papier ab, man sah eindeutig, wie oft Helli den Zettel mit sich herumschleppte und immer wieder auffaltete. Sie war bereits seit ihrer frühen Kindheit eine begnadete Reiterin, es war ihr absoluter Traum, dieses Reitinternat zu besuchen. Ich hingegen hatte mich eher angeschlossen und wusste noch nicht ganz, ob das Reiten etwas für mich war - dennoch freute ich mich, als hätte ich nie andere Träume gehabt.
Je weiter wir uns von den rheinischen Städten entfernten, desto ländlicher wurde die Umgebung hier. Bäume über Bäume, saftige Wiesen, Kühe, Pferde und Schafe in der Sommersonne. Wirklich traumhaft und idyllisch, das war mal etwas ganz anderes als der tägliche Trubel ein einer kleineren Großstadt.
Helena holte nach einer Weile ihr Handy aus der Tasche und bot mir einen ihrer In-Ear-Kopfhörer an. Ich nahm ihn dankend an und ließ mich ein wenig von den schönen Klängen ihres Lieblingslieds verzaubern. 'River deep, Mountain high', und was für eine tolle Version davon. Eigentlich stand ich mehr auf Musik aus den 2000ern, aber das hier war auch wunderbar anzuhören. Als das Lied zu Ende war, folgte 'Human'. Wir beide warfen uns einen alles sagenden Blick zu und begannen dann, inbrünstig mitzusingen - na ja, oder eher mitzugrölen. Die anderen Passagiere guckten uns schon ein wenig verstört an, doch wir sangen einfach weiter, als gäbe es kein Morgen mehr.
Nachdem uns langsam die Puste vom Singen ausgegangen war, fertigten wir To-do-Listen für das Internat an, damit wir genau wussten, was wir dort erleben wollten. Während Helli sehr sinnvolle und ernst gemeinte Sachen aufschrieb, notierte ich eher weniger ernste Sachen. So notierte ich unter anderem, dass ich sehen wollte, wie ein Pferd vor einer Apotheke kotzte, und dass ich einem meiner neuen Lehrer zur Begrüßung einen Eimer Wasser aus der Pferdetränke über den Türrahmen des Klassenraums stellen wollte. Das klang doch nach einem guten Plan!"Ach Anni, du Streberchen, du würdest dich doch eh nicht direkt am ersten Schultag unbeliebt machen!", neckte meine Freundin mich, als sie einen Blick auf meine Liste warf. "Du immer mit deinen Angebernoten!"
"Na, okay", lachte ich, "vielleicht erhalte ich mein Streberimage ja lieber aufrecht. Und, was hast hast du geschrieben?"
"Ich will mit dir und unseren Pflegepferden in den Bergen sitzen und die schöne Aussicht genießen." Sie begann, über sich selbst zu grinsen: "Ich weiß, klingt mega kitschig und langweilig. Aber ich fände das cool."
"Und ich will an einem heißen Sommernachmittag mit dir und den Pferden zu einem See reiten und schwimmen gehen. Ich will mit voller Wucht über einen Steg sausen und eine Arschbombe ins Wasser machen." Fleißig kritzelte ich den nächsten Satz aufs Papier.
"Wenn das dein Wunsch ist", kicherte Helena. "Oh Mann, ich glaube, wir werden eine grandiose Zeit haben."
"Stimmt! Sonst noch eine Idee, was wir machen könnten?" Wir hatten nur noch jeweils ein kleines bisschen Platz auf den Listen zur Verfügung, deshalb wollten wir den letzten Satz mit Bedacht wählen.
Helli biss sich auf die Unterlippe und suchte ihre Broschüre nach Inspiration ab: "Hm... Ha, ich hab was! Neukirchberg hat eine Schulmannschaft."
"Schulmannschaft? Für welchen Sport?"
"Für alle Reitsportarten, unter anderem auch Springreiten. Und wir haben doch Springreiten gewählt."
"Das heißt also? Nächstes Ziel: Schulmannschaft!"
"Erfasst, Anni! Wir müssen da einfach rein!"
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Reitinternat Neukirchberg
General FictionDas Reitinternat Neukirchberg - ein Traum vieler Pferdeliebhaber aus ganz Deutschland! So zieht es auch die 14-jährigen Freundinnen Helena und Anni ins Sauerland, um dort ihre Pferdeträume zu verwirklichen. Mit ihren Pflegepferden Caliza und Alyson...