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"Guten Tag verehrte Schülerinnen und Schüler! Ich begrüße euch hiermit ganz herzlich zu einem weiteren Jahr auf unserem Reitinternat im herrlichen Neukirchberg!", begrüßte uns einige Minuten später die Schulleiterin, Frau Meier, in der altmodischen, aber gemütlichen Aula des Internats. Die Frau mittleren Alters hielt selbstsicher ihr Mikrofon fest und schaute von der großen Bühne auf uns alle herab, während sie weitersprach: "Wie auch im vorigen Jahr werdet ihr unsere Partnerschulen in der Stadt besuchen, dazu zählen das Neukirchbergische Gymnasium und die Realschule am Kirchberger See. Ich werde euch nun nach und nach mit euren Mitschülerinnen und Mitschülern den jeweiligen Klassen zuteilen. Mit dazu stelle ich euch eure Betreuer vor, die euch während des Reitunterrichts beaufsichtigen und euch bei Fragen zur Seite stehen. Diese werden euch außerdem eure Pflegepferden zuteilen."

"Wir bekommen also extra noch Betreuer...", flüsterte Helli, "hoffentlich ist er oder sie nett!"

"Das wäre wünschenswert", stimmte ich zu.

Frau Meier unterbrach uns durch das Vorlesen der einzelnen Namen. Langsam, aber sicher näherte sie sich auf ihrer Liste dem Buchstaben 'H', so wurde nun auch endlich mein vollständiger, schrecklicher Name vorgelesen.
"Ann-Theresa Hansen?"

"Anwesend!", rief ich und streckte meine Hand in die Höhe.

"Sehr gut. Du wirst das Neukirchbergische Gymnasium besuchen. Deine Betreuerin ist Frau Sauerwein."
Sauerwein... Hm... Egal, wie lang ich diesen Namen innerlich zerkaute, ich konnte mir irgendwie nichts darunter vorstellen.

Ein paar Augenblicke danach war auch Helli dran. "Helena Michalis?"

"Hier." Meine Freundin meldete sich zaghaft zu Wort.

"Du gehst auf das Gymnasium, deine Betreuerin ist wie beim Rest deiner Zimmergenossinen Frau Sauerwein", lächelte die Frau. Schließlich fuhr sie fort und ließ dann die Betreuer sich vorstellen.
Helena und ich tuschelten so lang, spinnten herum und schenkten dem Bühnenprogramm keine Beachtung, bis der Name unserer Betreuerin fiel.

"Sauerwein mein Name. Ich bringe jahrelange Erfahrung mit mir und unterrichte meine Reitschüler traditionell und streng", krähte eine furchtbare, unangenehme Stimme. Ein kurzer Blickwechsel zwischen mir und meiner Freundin genügte um festzustellen, dass man uns tatsächlich den alten Knochen vom Empfang zugeteilt hatte.
Warum? Warum?!

"Mein elitärer Kurs für den Springreitunterricht kommt nun schleunigst auf die Bühne", befahl die alte Schnepfe, und man konnte allen, die nicht diesem Kurs angehörten, die Erleichterung aus dem Gesicht lesen.

Helli murmelte, während wir uns von unseren Plätzen erhoben und durch den Mittelgang mit den anderen zur Bühne gingen: "Gott bewahre... Nicht die..."

Sobald sich alle in einer Reihe hinter dem Monster, welches Helena und ich vorsorglich schon einmal auf den Namen Grässlon tauften, aufgestellt hatten, wurde ein Gruppenfoto geschossen. Darauf, dass ich schrecklich hatte niesen müssen, wurde natürlich keine Rücksicht genommen. Somit hatten wir also schon mal ein schönes, jahrbuchreifes Horrorfoto von mir, bevor der Spaß überhaupt losgehen konnte.
Nach dem Foto verließ das Grässlon mit uns allen die Bühne, die nächsten Kurse waren an der Reihe, wir hingegen wanderten in Richtung Stall.

"So", meinte das alte Etwas, "das hier sind unsere Stallungen. Hier findet ihr eure Pflegepferde. Keine freie Wahl, es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!"

"Aber wir wollen die Pferde doch nicht essen", kicherte ich, woraufhin Helli miteinfiel.

Erbost wandte sich Frau Sauerwein zu mir und schrie: "Sofort Ruhe! Zweifelst du gerade meinen Unterricht und meine Eignung als Fachkraft an?!"

"Äh...", stammelte ich. "Nein, Frau Sauerwein, tu ich nicht..."

"Gut! Dann spar dir solche Kommentare, Ann-Theresa! Wir sind auf einem elitären Institut, da wählt man seine Worte mit Bedacht!"

Nun schaltete sich auch unklugerweise Helena mit ein: "Entschuldigen Sie? Darf ich Sie darauf hinweisen, dass sie lieber Anni genannt werden möchte?"

"Nein, darfst du nicht! Spitznamen sind kein Zeichen für professionellen Unterricht. Außerdem hast du schon mal gar nichts zu kamellen, Ausländer."
Unverschämter ging es ja wohl gar nicht! Hatte die ihr restliches Leben auf einem Baum verbracht oder was? Rassismus war das allerletzte, und gerade von einer Betreuerin hätte ich mehr erwartet als so eine Unverschämtheit! Das war ja wohl die Höhe!

Helli und mir wurde diese Diskussion allmählich zu blöd und wir wandten uns vom Grässlon ab. Lieber konzentrierten wir uns auf die Führung durch den alten, aber gut gepflegten Stall und ließen unsere Blicke durch die einzelnen Boxen wandern. Pferdeköpfe in den verschiedensten Fellfarben und in den unterschiedlichsten Formen richteten sich neugierig auf uns. Die meisten der Boxen waren jedoch leer, ein Großteil der Pferde stand bei dem guten Wetter auf der Koppel. Während ich interessiert jedes einzelne Tier betrachtete, hatte Helli nur Augen für ein einziges Pferd. Es war eine schokoladenbraune Stute, und hätte ich mit meinem Amateurwissen ihre Rasse erraten müssen, hätte ich auf einen Andalusier getippt. Ein wirklich schönes Pferd, ich konnte gut nachvollziehen, dass meine Freundin sie so verliebt anstarrte.

Die Alte riss mich schnell wieder aus meinen Gedanken: "Damit wäre unsere Führung durch die Stallungen beendet. Ob ihr noch Fragen habt, interessiert mich, ehrlich gesagt, gar nicht, deshalb lassen wir das auch. Auf den Boxenschildern eurer Pflegepferde sind jeweils eure Namen verzeichnet. Getauscht wird nicht." Mit marschierenden Schritten verließ Frau Sauerwein den Stall, sodass wir mit einigen anderen Schülerinnen und Schülern wie die letzten Trottel in der Gegend standen. Die ersten tuschelten schon verwirrt, andere wiederum zogen ihre Handys hervor, und ganz andere, die schon mehrere Jahre hier verbracht hatten, machten sich sofort auf die Suche nach ihren Pflegepferden.

"Komm, wir gucken auch einmal rund", schlug ich Helli vor und wollte sie bereits am Arm von ihrem Traumpferd wegschleifen.

"Ich hab meins schon gefunden." Sie bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle und streckte dem Pferd ruhig die Hand entgegen.

"Ist das wirklich dein Pferd?" Ungläubig sah ich sie an und bekam dann schließlich das Schild an der Box gezeigt. Tatsächlich: Die Stute hieß Caliza, und als Pflegerin war tatsächlich Helena eingetragen.
"Da hast du aber echt Glück gehabt! Ich bin gespannt, was ich so bekomme..."

"Na, dann lass uns mal nachsehen. Bis gleich, Caliza!", verabschiedete Helli sich knapp von ihrem Pferd und durchforstete im Anschluss daran die halbe Stallgasse nach einem Schild mit meinem Namen. Nach einer Weile wurden wir fündig; die Box war ein wenig abseits gelegen und zurzeit leer. Auf dem alt wirkenden Holzschild standen mit Kreide geschrieben 'Alyson' und mein Name direkt darunter.
Alyson... Alyson also... Oder doch besser Ally.

In Gedanken ließ ich den Namen ein paar Mal auf mich einwirken. Er gefiel mir - wie wohl das Pferd dazu aussah?

"Schweizer Warmblut, acht Jahre alt", las Helli weiter. "Meine Caliza ist ein Pura Raza Española und ein, zwei Jahre älter."

"Was denkst du, wo Ally gerade ist?", fragte ich. "Wahrscheinlich bei dem guten Wetter auf der Koppel, oder?"

"Mit Sicherheit. Lass uns nachsehen gehen."
Zufrieden nickte ich und hakte mich bei ihr ein, ehe wir zusammen über das weitläufige, idyllische Gelände spazierten und nach der Koppel Ausschau hielten. Dies war nicht allzu schwer, schließlich hatte Helena diese von unserem Zimmer aus sehen können, so kamen wir also schnell am Gatter an.

"Und welche ist das jetzt?" Ratlos lachte ich und stellte mich auf einen kleinen Fels nahe des Zauns.

"Du kannst jetzt natürlich auf gut Glück mal rufen, aber das wird wahrscheinlich in die Hose gehen und-"

"Alyson!", rief ich über die ganze Weide. "Alyson! Komm her!"

In der Ferne hob eine große, sportlich wirkende Palominostute den Kopf und zuckte mit den Ohren.

"Ally!", versuchte ich es erneut, und schließlich kam die Stute mit erhobenem Kopf und ihren aufmerksamen, blauen Augen vorsichtig angetrabt.
Dann war das also meine Ally...

Reitinternat NeukirchbergWo Geschichten leben. Entdecke jetzt