Weit weg vom System

III | Betrunken & fertig

"Yeah, we did it!" Ich kann nicht mal annähernd beschreiben, wie glücklich wir waren, als wir dieses grottige Stück hinter uns hatten. Unsere Szene hatte richtig gut geklappt: Kaum stand ich auf der Bühne, war ich nicht mehr so aufgeregt und alles lief ganz nice. Den anderen ging es genauso. Das Beste war aber die Verbeugung. Beim Abgang ist Ardy gegen irgend so einen Kartenständer, der aus unerklärlichen Gründen herum stand, gelaufen und das Teil ist halt umgekippt. Ohne Scheiß, wir mussten uns mega zusammenreißen, um nicht vor versammeltem Publikum loszuprusten. Ardy ist so rot angelaufen, dass man sein Face kaum mehr von der Haaren unterscheiden konnte, kein Witz. Und jetzt stellt euch das mal bildlich vor, so genau wie möglich.
Das war aber noch nicht alles. Als Vik in der letzten Szene als "Retter von uns allen" (ja, das Stück ist sehr bescheuert) hochgehoben und bejubelt wurde, ist Kelly auf die glorreiche Idee gekommen, sich einen perversen Witz zu erlauben. Sie hat einfach den Besen, der neben ihr an der Wand lehnte, genommen und Vik damit möglichst unauffällig von hinten angestupst. An einer nicht so tollen Stelle. Ja, überhaupt keine Anspielung, ich sag nur #StockImArsch ...

Kaum waren wir im Klassenzimmer verschwunden, brachen wir deshalb in schallendes Gelächter aus und ich machte mir schon Sorgen, dass man uns draußen hören könnte. Okay, okay, eher das Gegenteil. Wieso denn auch? Wir hatten es geschafft. Die ganzen Leute sahen wir heute zum Großteil das letzte Mal und nie wieder, da war mir deren Meinung sowas von egal.
In Freuden begannen wir, so ziemlich alles und jeden zu umarmen. Zuerst fiel Luna über mich her. Sie drückte mich so fest, dass ich kaum Luft bekam. "Ich bin so froh!", kreischte die Dunkelhaarige übermütig und machte sich auch schon daran, ihr nächstes Opfer zu sichten. Jop, genau so war es! Marley und Alex zeigten sich da mit normalen Umarmungen schon etwas zurückhaltender. Den Preis für den Verrücktesten müsste ich allerdings zweifellos Ardy überreichen. Er hatte anscheinend noch mehr getrunken, als ich dachte. Es wäre wohl besser gewesen, jemand hätte ihn beim Trinken aufgehalten. Ich hätte es automatisch übernommen, wenn nicht meine Aufregung gewesen wäre. Der Typ drückte mich noch fester als seine Freundin an sich und bedeckte mich nur so mit Küssen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er angefangen hätte, Französisch oder Italienisch zu reden. Ich glaube ihr könnt euch vorstellen wieso.
Das Finale bildete trotzdem Taddl. Nicht, weil er freaky war oder so, aber nach der Sache von vorhin war ich schon etwas geil auf ihn. Hormone sind so miese, kleine Dinger, die einem das Leben völlig auf den Kopf stellen. Er umarmte mich zwar nur, aber länger als die anderen. Es fühlte sich einfach gut an, an ihm zu lehnen. Menschen sind schlicht und ergreifend besser als jede Heizung. Vor allem ein Mensch. Derjenige, der nur über meinen Rücken zu streichen brauchte, damit ich eine angenehme Gänsehaut bekam.

Mit der Zeit gingen die Zuschauer, und auch einige von uns machten 'nen Abgang. Eine hübsche Masse blieb allerdings noch da, verteilte sich in die üblichen Grüppchen und schnackte - so auch wir.
"Was macht ihr jetzt noch so?" "Na was denn wohl." Ardy grinste und legte seinen Arm noch enger um Luna, als wäre sie sein Privateigentum. "Wir machen uns zu zweit eine schöne Zeit, nicht wahr?" Sie nickte und lächelte. Am Anfang haben die beiden immer versucht, zu vertuschen, wie sehr sie ineinander verliebt sind, doch zum Glück sind sie schon seit geraumer Zeit über diesen Berg weg. So ein schönes Pärchen sieht man nicht alle Tage. "Und ihr?"
Marley meldete sich zu Wort: "Kein Plan. Vielleicht ein bisschen an den Beats arbeiten oder so. Tut immer gut, vor allem nach so nem Abend." Er war schon immer der mit Abstand Musikalischste unter uns. Der Rest kann zwar rappen oder singen, aber lange nicht so professionell. Dafür wirklich Respekt! "Und du?", wollte Luna nun von mir wissen. Na toll, ich hatte echt keinen Plan. Vielleicht eine DVD schauen oder so. Oder auch einfach nur Kopfhörer auf, Musik an, Welt aus. Geht beides recht gut. "Kein Plan." "Willst du vielleicht zu mir kommen? Es ist doch echt kein Ding, diesen Abend alleine zu verbringen." Ich starrte Taddl ungläubig an. Meinte der Junge das ernst?
Mary schnaubte gespielt verächtlich, weil er nicht eingeladen wurde. "Du kannst auch mitkommen, wenn du willst." "Ach ne, ich mach lieber mit den Beats weiter.", winkte der Blonde dann allerdings doch ab. Ich check die Logik von ihm immer noch nicht, aber muss ja auch nicht sein, oder? "Was ist jetzt mit dir?" Ich war mir nicht ganz sicher, aber konnte Taddls Hundeblick dann doch nicht widerstehen. Außerdem konnte es ja lustig werden, auf jeden Fall besser als alleine auf der Couch. Ich hatte nichts zu verlieren, nicht wahr? Erst recht nicht bei so einem netten Typen. "Gerne." "Cool!"

Mittlerweile lösten sich auch die Grüppchen auf. Mir fiel auf, dass sich alle in anderen Aufteilungen als sonst auf den Weg machten. Normalerweise gibt es nämlich die Bustruppe, mehrere Fahrradgruppen und dann noch die Fußgänger, die in der Nähe wohnen. Nun gab es aber andere Arten: die Lone Wolves wie Mary, Gruppen, aber auch ziemlich viele Pärchen wie Luna mit Ardy oder ich mit Taddl. Vor allem Pärchen, wie beknackt hört sich das an ... vor allem trifft es auf den Großteil gar nicht einmal zu. Yolo.
"Na dann bis morgen!" Mary umarmte uns alle nochmal, bevor er sich Kopfhörer reinstöpselte und in Richtung Haltestelle ging. "Ja, wir sehen uns."
Wir standen etwas unschlüssig da, bis auch die anderen weg wollten. Es wunderte mich nicht sonderlich, denn sie waren schon etwas länger recht zappelig drauf gewesen. Den Grund konnte ja nur einer sein... Kein Kommentar. "Viel Spaß!", rief ich Ardy und Luna deshalb noch hinterher. Sie antworteten nur noch "Danke, werden wir haben. Euch auch 'ne geile Nacht!", ehe sie von der Dunkelheit verschluckt wurden.
Fragend sah ich Taddl an: "Weißt du, was mit denen los ist? Mir wird das langsam zu creepy." "Hallo?!" Er sah mich nur verständnislos an. "Ist dir nicht aufgefallen, wie viel Alk wir vorhin konsumiert haben? Da ist das doch selbstverständlich!" Wir mussten beide lachen, weil dieses Gekreische einfach mal so verdammt sinnlos und komisch war.

"Also, gehen wir jetzt? Ich hab kein Bock, hier noch länger rumzustehen."
"Klaro."
Taddl hielt mir immer noch schief grinsend einen Arm hin, weshalb ich mich sofort einhakte. Dann setzten wir uns auch schon in Bewegung und verschwanden hinter der Ecke.