Prolog

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Ich lief eine verlassene Straße entlang. Es war dunkel und kalt. Feiner Nieselregen fiel vom Himmel herab und durchnässte meine Kleidung. Ich schauderte. Zitternd hob ich meine vor Kälte schon ganz blaue Hand und schob mir die triefnassen Haare aus dem Gesicht.
Die Stille, die mich umgab, war mir unheimlich. Man hörte nichts außer den Wind, der durch die Gassen pfiff und die Geräusche meiner Schuhe, die schnell über den feuchten Asphalt gingen.

Plötzlich durchbrach ein markerschütternder Schrei die gespenstische Stille. Es klang wie sterbendes Tier, das vom Schlachter hingerichtet wird, der allerdings den Kopf verfehlt und fünfmal auf das Tier einhacken muss, bis es schließlich tot ist. Erschrocken sah ich mich um. Was konnte das bloß gewesen sein?
Mit einem beunruhigten Gefühl im Bauch, das immer schlimmer zu werden schien, bog ich um die nächste Ecke. Mich traf fast der Schlag. Um nicht Ohnmächtig zu werden, musste ich mich an der Mauer abstützen. ‚Nein', dachte ich entsetzt, ‚nein, das kann nicht sein, das ist nicht real, das ist ein Traum, eine Halluzination, eine Wahnvorstellung...'
Ein ersticktes Schluchzen bahnte sich den Weg durch meine Kehle. Völlig geschockt starrte ich auf den Körper meines kleinen Bruders, der am anderen Ende der Straße auf dem Boden lag. Ein Messer steckte tief in seiner Brust. Scharlachrotes Blut schoss aus der Wunder hervor und färbte die Straße rot. Es drehte mir den Magen um. Ich war kurz davor, mich zu übergeben, als eine kleine Bewegung mich innehalten ließ. Hatte ich mir das nur eingebildet, oder hat sich mein Bruder gerade bewegt? Tatsächlich, er atmete noch! Diese Feststellung ließ einen Schwall Adrenalin durch meine Adern schießen.
Blitzschnell rannte ich auf ihn zu und kniete mich neben ihn. Er war schon gefährlich bleich und starrte mit glasigen, halb geöffneten Augen in den Himmel. Vorsichtig fühlte ich seinen Puls. Sein Herz schlug noch, doch es wurde immer langsamer und unregelmäßiger, sein Atem ging schnell und flach. Trotz der Eiseskälte zog ich meinen Pullover aus und drückte ihn auf seine Wunde, um die Blutung zu stoppen. „Nein!", rief ich verzweifelt. „Luca, kannst du mich hören? Bleib bei mir, bitte, du darfst jetzt nicht sterben!"

Tief in meinem Inneren wusste ich, dass es für Luca bereits zu spät war. Er hatte schon viel zu viel Blut verloren. Außerdem hatte das Messer sowohl seine Lunge als auch seinen linken Herzflügel getroffen. Selbst wenn er durchhalten würde, bis ein Notarzt kommt, würde er spätestens auf dem Weg ins Krankenhaus sterben.
Wenige Augenblicke später wurde auch mein letztes bisschen Hoffnung, er könnte es vielleicht doch irgendwie schaffen, an das ich mich die ganze Zeit verzweifelt geklammert hatte, als wäre es ein Floß, das mich vor dem Ertrinken rettet, zunichte gemacht. Nach einem letzten tiefen Atemzug blieb er schließlich regungslos liegen.
Sofort presste ich meine Hand auf seine Brust. Kein Herzschlag. Nichts. Es war vorbei. Die Welt blieb stehen. Ich sah alles nur noch durch einen verschwommenen Schleier.

Auf einmal spürte ich weder die Nässe noch die Kälte, die langsam in meine Knochen krochen. Ich spürte gar nichts mehr, außer einer gähnenden Leere, die mich langsam von Innen auffraß und zu ersticken drohte. Jegliches Zeitgefühl ging verloren. Ich konnte nicht mehr sagen, wie lange ich über Lucas Leiche gekauert hatte. Waren es Sekunden, Minuten, Stunden?
Irgendwann hörte ich dumpfe Schreie und Rufe, die ich allerdings nur noch am Rande meines Bewusstseins wahrnahm. Um mich herum versank alles in tiefer Dunkelheit.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 17, 2017 ⏰

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