the girl with the black dress

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ℰs schien eine Art Tradition zu sein, an Beerdigungen schwarz zu tragen. 

Es war ein Gebot, das sie alle zu vereinen schien, die sich auf dem schmalen Pier eingefunden hatten. Wenn sie den Kopf wandte, sah sie auf ein Meer auf Schwarz, auf einen Ozean der Trauerkleidung, in dem selbst schon der eigentliche Zweck lag. Denn wer musste schon eine Trauermiene zeigen, wenn der Aufzug es für einen erledigte? Ihr Vater, zum Beispiel, tat es nicht.

Der Himmel über der Trauergemeinde strahlte in einem reinen Weiß. Er schien damit in einen wütenden Kontrast mit der menschengemachten Szenerie zu stehen, denn auch die Natur hatte zu trauern. Einer ihrer Liebsten war von ihr gegangen. Der Sommer.

In den vergangenen Tagen war es überraschend Herbst geworden. Ein wenig zu früh, vielleicht, früher, als der Kalender es vorgesehen hatte, aber dennoch war er unweigerlich eintreten. Die Bäume in ihrem Rücken hatten schon begonnen, erste kupferne Verfärbungen aufzuzeigen und unter ihrem Lackschuh hatte sich eines ihrer Blätter verfangen.

Ja, der Sommer war zu früh von ihnen gegangen. Und so verhielt es sich mit dem jungen Mann, der im Sarg lag, über dem der Pfarrer gerade seine letzten Worte gesprochen hatte.

Nun schwieg die Gesellschaft.

Sie sah nicht zu dem schlichten schwarzen Sarg, der vorne auf der Empore aufgebahrt war. Konnte den Anblick nicht ertragen.

Die Tränen, die in ihren Augen schimmerten, waren dennoch um ihretwillen. Gladys trauerte.

Sie trauerte um die Unschuld, die sie verloren hatte, um die Jahre, die ihr geraubt worden waren, durch die Selbstsüchtigkeit eines einzelnen Mannes.

Er lag dort vorne in Samt und Satin, versteckt durch das Holz eines Sarges, den sie ausgewählt hatte. Noch immer trug man ihr diese Aufgaben zu, wenngleich sie am liebsten geschrien hätte, wenn jemand ihn als ihren Ehemann bezeichnete.

Zayn Malik war nicht ihr Gemahl gewesen, genauso wenig wie Revan King. Er hatte sie für etwas verwendet, das so abscheulich war, das nicht einmal die Zeitungen darüber berichten wollten. Damit hatte er ihren Zuspruch verloren, ganz gleich, ob in Tod oder Leben. Und sie war doch froh, dass der erste der Zustände den zweiten abgelöst hatte.

Obwohl sie fühlte, wie ihr Herz bei diesen Worten versteinerte, wiederholte sie die Bedeutung in ihrem Kopf wie ein Mantra, an das es sich zu erinnern galt: Sie war nicht seine Frau. Sie war wieder frei. Sie war nicht seine Frau.

Und als der Priester seine Bibel zuklappte, den Einband des Buches gegen seine Brust drückte, so zog ein lauer Wind vom Meer zu ihnen auf. Es war das letzte Aufbäumen des Sommers, das allerletzte Mal, dass er sich über New York erheben würde und dabei Bedeutung hatte. Nun war es sein Ende.

Zayn würde nie wieder Macht über sie haben, nie wieder irgendeine Form der Bedeutung.

Nein, er war tot.

Und sie war frei.

Gladys musste nur den Kopf wenden, um ihn zu sehen. Er stand ein paar Reihen hinter ihr und hatte das Augenmerk gesenkt.

Ein wenig wirkte er wie damals, als sie ihn zuallererst erblickt hatte. Als sie noch nicht gewusst hatte, dass er es sein würde, der das pochende, mitgenommene Ding in ihrer Brust eines Tages sein Eigen nennen würde.

Als er den Blick hob und ihre Augen inmitten des feindlichen Gebiets aufeinander trafen, und sie die Wahrheit im dunklen Amethyst erkennen konnte, da wogte der warme Wind ein allerletztes Mal auf, bevor er nach Süden verschwand. Ein paar Blätter nahm er noch mit.  

blue heaven; l.t.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt