Kapitel 1

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Samys Sicht

Ich spürte, dass ich lag. Doch der Untergrund worauf ich lag, fühlte sich merkwürdig an. Seltsam hart... Ich ließ meine Hände über den Boden streifen. War das...Sand? Wo kommt der Sand her? Ich traute mich nicht, die Augen zu öffnen. Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, was geschehen war...genau wir waren auf diesem Kreuzfahrtschiff. Aber warum lag ich dann auf Sand?! Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich Wellen rauschen hörte. Und das ziemlich deutlich und laut. Meine Beine wurden von Wasser umspült. Ich schlug die Augen auf. Und gleich darauf wieder zu. Nein, das konnte nicht sein. Das war nur ein böser Traum. Nur ein böser Traum... Langsam öffnete ich die Augen wieder. Es war kein Traum. Ich lag an einem Strand, im feuchten Sand mit nassen Sachen. Schlafsachen. Und plötzlich kehrten meine Erinnerungen zurück. Der Knall, der Felsen, das sinkende Schiff, all die Panik...wir sind gestrandet! Auf einer verdammten tropischen Insel, wie ich an den Palmen feststellte. Ich stemmte die Arme in den Sand und rappelte mich auf. Um mich herum lagen meine Klassenkameraden verteilt. Arme und Beine von sich gestreckt. Alle hatten die Augen geschlossen und schienen nicht zu bemerken, dass sie teilweise halb im Wasser lagen. Hoffentlich leben alle noch, dachte ich erschrocken. Ich wüsste nicht, was ich dann tun würde...wenn Francis oder Ryan einfach ertrunken wären. „Leute?", rief ich zaghaft. Marlow, der ein paar Meter entfernt lag, gab ein leises Grummeln von sich. Gott sei Dank! Ich stürzte zu ihm und kniete mich neben ihn in den Sand. „Wo sind..." Er hielt im Sprechen inne und sah sich mit großen Augen um. Die Brille hing ihm schief im Gesicht. Wahrscheinlich kehrten auch seine Erinnerungen gerade allmählich zurück. „Wir müssen nachsehen ob es den anderen gut geht!", drängte ich. Marlow nickte. Ich entdeckte nur bekannte Gesichter. Andere Fahrgäste schienen es nicht in unser Rettungsboot geschafft zu haben.

Zum Glück war niemand umgekommen von denen, die wir auf der Insel gefunden hatten. Wir sammelten uns alle am Rettungsboot, mit dem wir hier hergekommen waren. Miles hatte unweit von der Insel den Felsen entdeckt, mit dem unser Schiff kollidiert war. Es bestand also die Hoffnung, dass wir den Rest von uns noch finden würden, bevor es zu spät war. Falls sie überhaupt noch auf dem Schiff waren...Bei genauerem Hinsehen konnte man noch das gute vordere Drittel des Schiffes erkennen, welches noch aus dem Wasser herausragte. Marlow ergriff schließlich das Wort. „Es ist gut möglich, dass der Rest von uns noch am Leben ist. Zwar wissen wir nicht genau, ob sie noch auf dem Schiff sind, aber es muss noch Überlebende geben. Ich finde, wir sollten so schnell wie möglich zurück und nachsehen, wer noch am Leben ist." Zustimmendes Gemurmel kam von denen, die sich bereits halbwegs von ihrem Schock erholt hatten. „Ich finde wir sollten erst jemanden bestimmen der für die nächste Zeit das Kommando hat. Außerdem würde ich nur einen kleinen Teil unserer Gruppe mit dem Rettungsboot zum Schiff schicken. Wir wissen ja nicht, was uns dort erwartet...", zweifelte Violet. Marlow und Liam schienen als Anführer vorerst am ehesten in der Lage zu sein. 'Und wenn wir die anderen gerettet haben, würde dann sicherlich Frau Weißbach das Kommando übernehmen wollen. Alles würde gut werden. Bald werden sie auf dem Festland Suchtrupps losschicken und wir wären gerettet. Dann müssten wir gar nicht so lange auf dieser Insel bleiben und einfach nur überleben, bis wir gefunden werden würden', dachte ich. „Guter Vorschlag, nur musst du bedenken, dass das Schiff immer noch sinkt, und wenn wir zu lange warten, könnte es bereits zu spät sein.", gab Liam zu bedenken. Und das durften wir auf keinen Fall zulassen. Schon allein deshalb, weil es womöglich um das Leben unserer Freunde ging! „Das Schiff wird sich noch ein paar Stunden über Wasser halten können, ehe es ganz versinkt. Wir haben genug Zeit um vorher wenigstens einen Gruppenführer zu bestimmen, dann könnte sich der Suchtrupp ja schon auf den Weg machen. Ich stimme Violet zu.", erklärte Lucius. „Gut dann stimmen wir jetzt ab, wer vorerst der Anführer wird. Dann bestimmen wir, wer mit dem Rettungsboot zurück zum Schiff fährt, während sich der Rest um Nahrung und Wasser kümmert.", sagte Marlow. „Diejenigen die glauben, dass sie die Gruppe vorerst anführen können, sollen vortreten!" Liam und Marlow traten vor. Und nach kurzem Zögern stellte sich auch Ryan zu ihnen. „Schreibt am besten eure Anfangsbuchstaben in den Sand! Jeder von uns setzt dann einen Strich unter den Buchstaben, und der mit den meisten Stimmen wird erstmal Anführer!", schlug ich vor. „Gut, so machen wir es.", stimmte Liam mir zu und schrieb ein großes L in den Sand. Marlow und Ryan folgten seinem Beispiel. Mira machte den Anfang und gab ihre Stimme für Liam. Er war der Älteste von uns...aber ob er deswegen auch am besten mit der Situation umzugehen weiß? Nacheinander gaben wir unsere Stimmen ab. Ich stimmte für Marlow. Er war immerhin ein guter Freund von mir und schien im Moment am geeignetsten, um die Gruppe zu führen. Das Ergebnis war knapp. Ryan hatte keine Stimmen erhalten, was auch irgendwie verständlich war. Schließlich war er nicht für seine Fähigkeit anzuführen bekannt gewesen. Marlow hatte 5 Stimmen erhalten, wohingegen Liam mit vier Stimmen den Kürzeren zog. „Gut dann würde ich sagen, du hast die Wahl gewonnen, Marlow!", meinte Liam und klopfte ihm auf die Schulter. „Gut gemacht, Marlow!", gratulierte ich ihm und auch die anderen wünschten ihm Glück. Marlow nickte verlegen, dann hob er die Stimme. „Dann nehme ich das Amt als Anführer hiermit an und ernenne Liam zu meinem Stellvertreter!" Überrascht sah ihn Liam an. Offensichtlich hatte er es nicht erwartet, aber was konnte man in unserer Situation auch schon vorhersagen? „Jetzt müssen wir allerdings mal langsam etwas unternehmen!", drängte Violet und Besorgnis trat in ihre Augen. Marlow nickte erneut. „Gut dann teilen wir mal die Gruppen ein! Liam, Violet und Miles! Ihr schnappt euch das Rettungsboot und fahrt zurück zum Schiff. Ihr seht euch nur nach Überlebenden um! Gegenstände holen wir ein andermal. Außerdem wird davon sowieso einiges angespült werden....Shea, Lucius und Lilia! Ihr sucht Wasser. Es ist wichtig, dass wir welches finden! Hebt zur Not ein Loch aus, wenn ihr nichts findet und sucht nach Grundwasser. Solltet ihr auf irgendwelche Gefahren stoßen, kommt so schnell wie möglich wieder zurück. Ryan, Francis, Mira und Luke! Ihr seht euch nach Nahrung um! Was Gefahren anbelangt, gilt für euch das gleiche. Spitzt meinetwegen Stöcke an und jagt irgendwelches Viehzeug oder sammelt Früchte. Hauptsache ihr findet etwas Essbares. Ich bleibe in der Zeit mit Samy und Jodie hier und versuche schon mal, Äste und Stöcke für eventuelle Hütten und Feuer zu sammeln! Noch Fragen?!", verkündete Marlow. Wir hatten auf jeden Fall die richtige Wahl mit ihm getroffen! „Könnt ihr uns erstmal helfen das Rettungsboot wieder umzudrehen?", fragte Liam. Das umgekippte Rettungsboot war ziemlich schwer. Wir stellten uns alle auf der linken Seite auf und drehten das Boot mit vereinten Kräften wieder herum. „Passt auf, dass die Paddel nicht fortgespült werden!", warnte Ryan. In der Panik von gestern Nacht hatte ich sie gar nicht bemerkt. Jetzt lagen einige davon im Sand. „Also denkt daran! Noch keine Gegenstände bergen, sondern haltet nach Überlebenden Ausschau!", erinnerte sie Marlow. „Jaja keine Sorge, Marlow. Wir bringen sie sicher zurück!", versprach Violet zuversichtlich und schob das Boot mit den anderen ins Wasser. „Viel Glück!", rief ich. Entschlossenheit blitzte in Liams Augen auf als er sich nach Violet und Miles ins Boot schwang. 'Sie können es schaffen!', dachte ich und sah ihnen hinterher. Lucius brach ebenfalls mit seiner Gruppe auf und auch Francis verschwand mit dem Jagdtrupp in dem noch unbekannten Wald. „Ich würde erstmal die Sachen der anderen irgendwo sammeln!", schlug Marlow vor. „Gute Idee!", antwortete ich. Vielleicht hatte der ein oder andere noch ein paar nützliche Gegenstände dabei. Dann fiel mein Blick auf Jodie. Sie hatte sich bis jetzt im Hintergrund gehalten und kein Wort gesagt. „Alles gut?", fragte ich vorsichtig. „Gar nichts ist gut, Samy!", schrie sie und Tränen rannen ihr übers Gesicht. „Katria, Sunny und die anderen sind noch auf dem Schiff oder längst ertrunken! Und da fragst du ob alles gut ist?! Wenn sie tot sind, was soll ich dann machen?" Heulend warf sie sich in meine Arme. Ich stand stocksteif da. Verzweifelt suchte ich nach den richtigen Worten. „Jodie...wir dürfen nicht aufgeben! Wir müssen dafür sorgen, dass wir überleben, bis wir gefunden werden. Und Katria und die anderen sind ganz bestimmt noch am Leben. Sie sind klug genug, um auf dem Schiff zu bleiben und sich nicht kopflos ins Wasser zu stürzen. Wenn sie nicht schon mit einem anderem Rettungsboot flüchten konnten. Liams Suchtrupp wird sie finden und sicher hierher bringen!", sagte ich zuversichtlich. „Und wenn sie zurück kehren, müssen wir vorbereitet sein und Holz gesammelt haben. Also hilfst du uns?" Jodie löste sich aus meinen Armen, sah mich mit feuchten Augen an und nickte schwach. Ein wenig erleichtert atmete ich auf. „Helft ihr mir jetzt mal?", rief Marlow ungeduldig, der mittlerweile die Taschen und Rucksäcke von denjenigen, die daran gedacht hatten etwas mitzunehmen, gestapelt hatte. „Es sind nicht alle so gefasst wie du nach einem verdammten Schiffsuntergang, Marlow!", rief ich leicht verärgert. An seiner Rücksichtsname würde man noch arbeiten müssen..., dachte ich. Daraufhin schwieg Marlow schuldbewusst. Ich warf einen erneuten Blick aufs Meer. Weit war das Rettungsboot noch nicht gekommen, es würde noch eine Weile dauern, bis sie am Schiff sein würden. „Am besten fangen wir jetzt mal an, ein bisschen Holz zu sammeln!", schlug Marlow vor. Jodie nickte und ging zum Waldrand. Ich folgte ihr. Das Licht im Wald war spärlicher als am Strand. Wie ich bereits vermutet hatte, waren es überwiegend tropische Pflanzen, die hier wuchsen. Und ich fragte mich, wo wir wohl gestrandet waren. Das Schiff musste jedenfalls stark vom Kurs abgekommen sein, sonst wäre es nicht gegen den Felsen gefahren, der einen halben Kilometer vor einer Insel lag. Ich stolperte über einen krummen Ast. 'Konzentrier dich doch mal, Samy!', schimpfte ich mit mir selbst, und packte den Ast. Er war größer und schwerer als ich gedacht hatte und ich musste mich ziemlich anstrengen, um ihn aus dem Wald zu bugsieren. Zum Glück hatte er nur in der Nähe gelegen. „Das wird aber ein ganz schönes Feuer, wenn wir den verbrennen!", scherzte Marlow der einen Stapel Zweige und kleine Äste ablud. „Ich dachte, wir sammeln auch Holz für die Hütten, mh?", entgegnete ich. Marlow sah ihn nachdenklich an. „Vielleicht hätte ich lieber dich anstatt Liam zum Stellvertreter ernennen sollen?", meinte er zweifelnd. "Oh nein, Liam ist schon die beste Wahl!", entgegnete ich abwehrend. „Ich dachte, wir wollten Holz und sowas sammeln und nicht quatschen?", rief Jodie vorwurfsvoll und ließ einige Palmenwedel fallen. „Jaja wir machen ja schon weiter!", sagte Marlow schnell und verschwand zwischen den Palmen.

Reif für die Insel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt