Kapitel 4

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„Papa! Kannst du mir kurz helfen?"

„Warte kurz, Schatz, sonst brennt es an..."

Leonie seufzte auf und  zog den Koffer mit einem Ruck die zweite Stufe hoch. Etwas zersprang,  und dann fielen weisse, kleine Splitter klirrend auf den Boden. Caitlin  und Leonie schauten sich bestürzt an und schlugen sich wie in Zeitlupe  die Hand vor den Mund. Das war eine der teuersten Vasen, die sie  besassen, und zudem ein Erbstück...

„Was war das?"

„Äh..."

Ihr Vater hastete nun sofort in den Gang und erkannte die Situation mit einem Blick.

„Diese Vase...", begann er und raufte sich die grau melierten Haare.

Caitlin wusste, was nun passieren würde.

„Tut mir leid...?", flüsterte Leonie nun. Das war noch nie ein guter Satz gewesen.

Ihr Vater lief knallrot an.

„Es tut dir leid? Die Vase war ein Erbstück!", schrie er.

„Von meinem Vater, und dessen Vater und dessen Vater!"

Leonie presste die Lippen zusammen und nickte schnell, während ihr Vater tief Luft holte.

„Hausarrest. 4 Tage", brachte er schliesslich mit bebender Stimme hervor. Seine Halsschlagader pulsierte gefährlich.

„Was?"

Leonie erstarrte.

„Aber... es sind Ferien... und ich treffe mich in einer viertel Stunde mit Katie..."

Die Halsschlagader pulsierte noch mehr.

„Dann verschieb es."

Caitlin blickte ihre  Schwester mitleidig an und hörte gleichzeitig, wie jemand sich der  Haustür näherte. Ihre Augen weiteten sich, doch bevor sie auch nur eine  Silbe herausbringen konnte, klingelte es.

„Das... ist Katie."

Leonie lächelte schwach. Ihr Vater blickte sie stumm an, nur sein Kopf wurde noch roter.

„Ich werde ihr kurz...", meinte Leonie und machte einen Schritt in Richtung Tür. Ihr Vater hielt ihren Arm fest.

„Du wirst nicht. Ich erklär's ihr."

Catlins Augen wurden  noch grösser. Sie stellte sich vor, wie ihr Vater, hochrot und mit  gepresster Stimme Katie erklärte, dass sie für die nächsten vier Tage  nicht zu kommen brauchte, und dies vermutlich nicht gerade im  höflichsten Ton.

„Äh, Papa...", mischte  sie sich schnell ein und stellte sich vor die Tür. Es klingelte ein  zweites Mal. Caitlin fühlte ein heisses Kribbeln in ihrem ganzen Körper,  während sie standhaft zu bleiben versuchte und bocksteif vor der Tür  stehen blieb.

„Jetzt hab ein wenig  Geduld!", schrie ihr Vater so laut, dass selbst Caitlin zusammenzuckte.  Katie hatte dies hundertprozentig gehört.

„Papa!", rief Leonie nun vorwurfsvoll und riss sich los.

„Bleib hier! Ich klär  das", erwiderte ihr Vater mit fester Stimme, drehte sich dann zu seiner  zweiten Tochter um und schob sie zur Seite. Caitlin stolperte und fühlte  Wut in ihr aufkochen. Vermutlich war ihr Gesicht jetzt ähnlich rot wie  das ihres Vaters. Sie drehte sich blitzschnell zu ihrem Vater um, und  der Schwung liess ihre langen, schwarzen Haare nach vorn schwenken. Nun  ging alles wie in Zeitlupe. Ihre Haare wehten ihr vors Gesicht, und  urplötzlich waren sie schwer und hart und leuchteten wie Eisen in der  Sonne. Sie schwangen weiter und streiften ihren Vater. Caitlin konnte  nichts sehen ausser ihre weiss blendenden Haare, doch sie hört ihren  Vater augenblicklich aufschreien. Ihre Haare verloren den Schwung und  senkten sich wieder ab, so leicht und weich  und schwarz wie immer.  Caitlin hob hektisch eine Hand zu ihren Haaren und strich darüber, aber  nichts hatte sich verändert. Sie hob den Blick und sah in das entsetzte  Gesicht ihrer Schwester, dann in die geschockten, fast schon  verängstigten Augen ihres Vaters. Seine Hand lag auf seiner Wange, und  als er sie langsam senkte, sah Caitlin mehrere rote, leicht blutende  Kratzer auf seinem Gesicht, die sich bis fast zu seiner Lippe  erstreckten. Sie öffnete den Mund, doch ihr Hirn schien wie leer, und  sie brachte keinen einzigen Ton heraus. Ihr Vater machte einen langsamen  Schritt zurück, worauf Caitlin zusammenzuckte. Er hatte Angst vor ihr.

„Ich...ich weiss nicht, was..."

Ihre Stimme war lediglich ein dünnes Piepsen.

Ihr Vater hatte Angst vor ihr.

„Leonie? Caitlin? Was ist denn los?"

Caitlin wandte sich um  und entdeckte ihre Mutter am Treppenrand. Auch ihr Vater drehte sich nun  um, und plötzlich kam wieder Bewegung in ihn.

„Du...", raunte er in Caitlins Richtung und streckte langsam einen Finger aus.

„Du bist nicht Caitlin. Du bist nicht meine Tochter!"

Caitlin keuchte  verzweifelt auf und spürte, wie Tränen in ihre Augen schossen. Die Worte  fühlten sich an wie eine Hand, die ihr Herz zusammenquetschte.

„Ich..."

Wer war sie?

„Caitlin..."

Das war Leonie. Sie hatte nun ebenfalls Tränen in den Augen.

Sie hat mir das hier zugefügt! Das ist nicht Caitlin!"

Ihr Vater hatte sich nun  wieder seiner Frau zugewandt, die mit offenem Mund auf das Szenario vor  ihr starrte und sich keinen Zentimeter bewegte.

„Caitlin... der Arzt  hatte vielleicht recht...", flüsterte sie nun und blickte ihre Tochter  direkt an. Sie hatte keine Angst. Sie war bloss besorgt. Und traurig.  Caitlins Blick verschwamm. Sie schüttelte heftig den Kopf, sodass die  Tränenschleier verschwanden.

„Nein", widersprach sie mit weinerlicher Stimme, doch die Aussage war klar.

„Du!"

Ihr Vater packte sie an den Armen und schüttelte sie.

„Gib mir meine Tochter zurück!"

Caitlin sah durch die  wieder aufkommenden Tränen zu ihm auf, doch sie konnte sein Gesicht  durch den Schleier von Tränen und schwarzen Haaren, die ihr ins Gesicht  fielen, nicht erkennen.

„Papa, lass sie in Ruhe!", schrie Leonie nun, doch ihr Vater beachtete sie nicht.

Erneut spürte Caitlin  Wut wie kochendes Wasser in ihr aufbrodeln. Sie wollte den Kopf drehen  und Leonie etwas sagen, irgendwas – doch wieder waren ihre Haare  ungewöhnlich schwer und behinderten die Bewegung. Diesmal hörte sie  ihren Vater schreien, bevor sie ihre Haare aufblitzen sah, wie sie  langsam seiner Brust entlang glitten und dann wieder wie gewohnt hinter  ihre Schultern den Rücken herab fielen. Noch im selben Moment drehte sie  den Kopf und erblickte das Blut, das durch das Hemd ihres Vaters  sickerte. Ihre Mutter stiess einen kurzen Schrei aus, ihre Schwester  wimmerte und Caitlin selbst schlug sich unwillkürlich die Hand vor den  Mund. Ihr Vater krachte nach hinten an die Kommode und stöhnte auf, doch  Caitlin konnte nichts mehr von alledem hören. Es schien, als hätten  ihre Ohren aus Schreck beschlossen, fortan nichts mehr durchdringen zu  lassen.

Ein Luftzug streifte  ihre Wange, und Caitlin realisierte, wie ihre Mutter nach vorn stürmte  und sich neben ihren Mann kniete. Ihr Blick galt einzig und allein ihm,  nur ihm. Ihre Hände zitterten, als sie versuchte, seine Brust von dem  Stoff des Hemdes zu befreien.

Das Hemd war rot. Caitlin versuchte zu atmen, doch es viel ihr schwer. Fast so, als wäre sie diejenige, die verletzt war.

Papa...

Ihre Worte erreichte die Umwelt nicht.

Doch die Worte, die nun aus dem Munde ihres Vaters kamen, würde sie ihr Leben lang sehr genau in Erinnerung behalten.

„Du bist nicht meine Tochter... Du bist ein M...ein Monster..."

Leonie wimmerte erneut,  und nun stürzte auch sie zu ihrem Vater vor, bereits das Handy in der  Hand, um den Notruf zu wählen. Caitlin stand noch immer bloss da.

Es tut mir leid...

Ihr Atem beschleunigte  sich; ein kläglicher Versuch ihres Körpers, die Tränen zurückzuhalten.  Caitlin hörte nichts mehr. Sie schwang herum, stolperte über ihre  eigenen Füsse, riss die Tür auf und  rannte.

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Langsam nimmt die Geschichte eine erste Wendung...

Was findet ihr? Und wie hättet ihr reagiert - wäret auch ihr weggerannt?

Freue mich auf Antworten! <3

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 05, 2017 ⏰

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