The last Time
„Pia!"Ich stand mit weit aufgerissenen Augen vor dem Abgrund, der gerade zum Grab meiner besten Freundin wurde. Ich versuchte noch panisch etwas zu unternehmen, um sie vor dem Ende zu bewahren, doch in meinem Inneren wusste ich, dass Nichts und Niemand meiner Freundin noch helfen konnte. Ich sank auf die Knie und starrte in die unter mir liegende Finsternis, die Pia vor wenigen Augenblicken verschlang und auf ewig zu sich holte.
Wie konnte ich es nur soweit kommen lassen? Die Gedanken in meinem Kopf rasten allesamt durcheinander. All das hat mit unserer hirnrissigen Idee angefangen, aus dem Waisenhaus abzuhauen und ein eigenes Leben zu beginnen. Zur Erklärung, ich habe meine Eltern vor fünf Jahren bei einem Brand verloren und andere Familienmitglieder, die mich hätten aufnehmen können gab es keine. So kam ich also mit zwölf Jahren ins Waisenhaus von Toketee Falls, eine kleine Stadt im US-Bundesstaat Oregon. Ich fühlte mich allein und hilflos, bis ich ein Jahr später Pia kennen lernte. Die Ärmste hatte ihre Eltern durch einen Raubüberfall verloren, der Dieb hatte ebenfalls versucht Pia umzubringen, doch sie konnte fliehen.
Wir zwei haben uns auf Anhieb gut verstanden. Ihre fröhliche und lustige Art,sowie ihre strahlenden, blau leuchtenden Augen bereicherten jedem Menschen den Tag. Doch an Pia zerrte immer ein starker Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung. Es verging eigentlich kein Tag, an dem sie nicht von der weiten Welt träumte und wie sie alles entdeckte,was es zu entdecken gab. Vor ein paar Wochen kam Pia dann auf mich zu und fragte „Finn, hast du es nicht auch satt, dich immer an Regeln zu halten und immer nur am selben Ort zu sein?" Ich antwortete mit„Nein, eigentlich nicht, immerhin kann ich nächstes Jahr alles selbst entscheiden, da macht die kurze Zeit es jetzt auch nicht mehr aus."
Pia schüttelte darauf hin nur mit dem Kopf, dabei flogen ihre langen,blonden Haare schwungvoll durch die Luft. „Du bist mir echt ein Rätsel, Finn. Ich brauche dringend einen Tapetenwechsel, deshalb habe ich auch beschlossen, heute Nacht das Weite zu suchen. Ich willentlich etwas von der Welt sehen!" Ich konnte es damals nicht fassen. Naja, jetzt eigentlich auch noch nicht, aber Pia war nun mal seitdem ich sie kennen gelernt habe ein Freigeist. Mit fünfzehn Jahren um die Welt reisen zu wollen war allerdings purer Wahnsinn.Das sagte ich ihr auch genau so.
Meine Worte waren jedoch, so erschien es mir zumindest, etwas zu grob gewählt.Man hatte wirklich sehen können, wie ihr sanftes Herz anbrach, weil ich ihr Vorhaben nicht unterstützte. Dabei wollte ich sie doch nur vor der harten Realität bewahren, denn die Welt war längst nicht so rosig und friedlich, wie Pia sich das immer vorstellte. Eigentlich sollte sie das auch wissen, immerhin wurde sie fast ermordet. Doch sie glaubte nach wie vor an das Gute in der Welt und darum beneidete ich die Kleine wirklich.
Ich wusste zwar, dass ich sie eigentlich nicht von ihrem Fluchtversuch abhalten konnte, doch ich versuchte es noch den ganzen restlichen Tag, ohne Erfolg. In der Nacht stand Pia dann in meiner Tür und wollte sich von mir verabschieden. Dazu ließ ich sie aber gar nicht erst kommen,ich schnappte mir meine Tasche, die ich zuvor noch mit geklauten Essensvorräten aus der Kantine vollgestopft hatte und sagte zuversichtlich überraschten Pia gewandt „Du hast doch nicht wirklich gedacht, dass ich dich alleine gehen lasse?" Daraufhin erfüllte ein Strahlen ihr Gesicht und wir brachen auf, zu unserer Odyssee durch die weite Welt.
Eine Zeit lang ging auch alles gut, wir waren bereits einige Kilometer von unserem „Zuhause" entfernt und Pia konnte ihren Entdeckerdrang überhaupt nicht mehr zügeln. Alles was wir auf unserer Reise sahen,begeisterte sie so sehr, dass ich es überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Einmal kamen wir an einem kleinen See in einem Wald vorbei und Pia warf nur ihre Sachen auf den Boden und sprang einfach mal so in den See. Es kümmerte sie nicht, was da drinnen lebte, ob es gefährlich war oder sie verletzen könnte, aber sie war so glücklich, dass ich sie einfach machen ließ.
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