Seufzend ließ sie sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen und begann damit, laut die Sekunden zu zählen. Dreißig Sekunden, bis sie sich ihren Hausaufgaben widmen würde. Zwanzig Sekunden, bis sie endlich mit Mathe beginnen würde. Zehn Sekunden, bis sie den Stift in die Hand nehmen würde.
Doch sie tat nichts von alledem, denn sie wurde abgelenkt. Der altbekannte Ton des Facebook Messengers unterbrach sie in ihrem Vorhaben. Als sie bemerkte, wer ihr geschrieben hatte, trocknete ihr Mund förmlich aus und ihr blieb wortwörtlich die Spucke weg. Den Atem hielt sie noch immer an, auch, als sie die Nachricht öffnete.
Und als sie dann den Absender sah, kam es ihr noch unglaubwürdiger vor.
Er war es, der ihr eine Nachricht geschrieben hatte. Es kam ihr vor wie ein Traum, doch sie wusste, dass es nichts Gutes heißen konnte.
Sie konnte nicht anders, als augenblicklich zu antworten. Normalerweise hielt sie solche Mädchen für unzurechnungsfähig. Jetzt dachte er wahrscheinlich, dass sie ewig auf eine Nachricht von ihm gewartet hatte. Doch das hatte sie nicht. Sie hatte immer Angst davor, was passieren würde, wenn er sie so weit bekam, dass sie alles für ihn machen würde. Sie wusste, dass er das schaffen könnte, wenn er es wollte. Er hatte es schon bei vielen Mädchen geschafft. Dass gerade sie eine Ausnahme darstellen sollte, glaubte sie nicht. Niemand konnte seinem Charme widerstehen.
Ihre zittrigen Finger wanderten über die Tastatur, während sie wie verbissen den Laptopbildschirm anstarrte und noch immer wünschte, dass das alles nur ein Traum war. Ein schlechter Traum, aus dem sie jeden Moment erwachen würde.
Doch das erneute Ertönen des Facebook Messengers zeigte ihr, dass es kein Traum war. Kein Albtraum, den sie jeden Moment beenden könnte.
Normalerweise würde sie jetzt nicht antworten, doch er hatte sie bereits von Anfang an fasziniert. Wie konnte sie also nicht antworten? Obwohl sie wusste, dass es ein schlechtes Zeichen war, dass er ihr schrieb, dass er wahrscheinlich sowieso nur mit ihr spielte, freute sich sich über seine Nachricht. Ein kleiner Funken Hoffnung in ihr existierte noch, der besagte, dass er es mit ihr vielleicht sogar ernst meinte. Vielleicht.
Ihre Hausaufgaben, Mathe und der Stift waren vergessen, für sie zählte nur das Hier und Jetzt. Er.
Sie versank in ihren Träumen, dachte an seine braunen Locken und die grünen Augen, die einen praktisch durchbohrten und sie jedes Mal aufs Neue in ihren Bann zogen. Sein Lächeln, das er immer aufsetzte, wenn er ein Mädchen von sich überzeugen wollte. Seine Grübchen, die erschienen, wenn er lachte. Sein Lachen, das so rau und wie Gesang in ihren Ohren klang. Seine großen Hände, die ihre kleinen perfekt umfassen könnten. Was er mit diesen Händen wohl alles anstellen konnte?
Sie schlug sich ihre Gedanken wieder aus dem Kopf und beschloss, sich jetzt definitiv ihren Hausaufgaben zu widmen, denn die machten sich nicht von allein. Tief atmete sie durch, schluckte schwer und schloss den Laptop, ohne noch einmal nachzusehen, ob er geschrieben hatte. Dann legte sie ihn beiseite und wandte sich ihren Mathehausaufgaben zu.
Wie sie Mathe doch liebte.Die nächsten Tage verliefen relativ unspektakulär. Sie hatte begonnen, mehr mit ihm zu schreiben, doch in der Schule schenkten sie sich noch immer keine Beachtung. Nur hin und wieder blickte sie so unauffällig, wie es ihr möglich war, zu ihm herüber. Doch sie sprachen kein Wort miteinander. Es schien, als würde dieser Kontakt nur im Internet und via SMS existieren, nachdem er ihre Handynummer bekommen hatte. Es stimmte sie ein wenig traurig und sie fragte sich, ob er sich dafür schämte, mit ihr Kontakt zu haben. Sie war verunsichert, ließ sich von ihm verunsichern.
An diesem Abend war es jedoch nicht er, der ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Nein, es war ein ihr unbekannter Junge, der ihr eine Freundschaftsanfrage auf Facebook geschickt hatte, die sehnlichst auf eine Annahme wartete. Sie klickte sich auf sein Profil, betrachtete seine Bilder und nahm die Anfrage an. Wer würde es nicht tun? Der Fremde sah gut aus, schwarzes Haar, gebräunte Haut und ein scheinbar makelloses Gesicht. Wie froh sie in dem Moment war, dass auf ihrem Profilbild nur ihr Gesicht zu sehen war. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrem Körper, im Gegenteil. Schon lange wollte sie abnehmen, schaffte es jedoch nur, sich um wenige Kilogramm zu erleichtern, die aber nicht lange brauchten, bis sie ihren Weg zu ihr zurückfanden. So konnte er ihre Problemzonen nicht sehen, sondern nur ihr Gesicht, welches sie zumindest sehen mochte. Hässlich war sie nicht, sie fühlte sich auch nicht so. Dennoch verglich sie sich ständig mit den anderen Mädchen in ihrem Alter. Die sieht viel besser aus als ich. Die da ist viel hübscher als ich. Und die hat eine Traumfigur. Ihr Bauch ist so schön flach. Solche Gedanken schwebten durch ihren Kopf, schwelgten in ihrem Gehirn und ließen sie nicht in Ruhe, sobald sie ein gutaussehendes Mädchen sah. Und das geschah oft.Eine kalte Brise fuhr an ihrer Haut entlang, hinterließ eine Gänsehaut an den Stellen, die von ihr betroffen waren, und beförderte sie somit in die Gegenwart zurück. Schnell verdrängte sie ihre Gedanken, bestätigte die Anfrage, schickte allerdings sogleich eine Nachricht mit. „Hey. :) Kennt man sich?"
Nur wenige Sekunden später wurde das Nachrichten-Icon mit einer weißen Eins in einem roten Kasten verschönert. Neugierig fuhr sie mit der Computermaus auf die Eins, betätigte die rechte Maustaste – sie war Linkshänderin – und las zugleich die Nachricht, die jetzt auf ihrem Bildschirm zu lesen war.
„Nein, aber man kann sich ja kennenlernen? :D"
Der Junge war ihr sogleich sympathisch. Nicht, weil er sofort zurückschrieb, sondern weil er Emoticons verwendete. Sie konnte es nicht leiden, wenn jemand ohne jegliche Art von Emotionen schrieb, gar Satzzeichen ausließ.
„Vielleicht :D", schrieb sie zurück. Sie wusste nicht, was sie da ritt, als sie dies erwiderte. Normalerweise war sie nicht der Typ, der Jungs einfach so an sich heranließ oder auf Fremde einging. Sie war eigentlich reserviert, zurückhaltend und besonders verschlossen. Doch genau dieser Charakterzug war plötzlich völlig verschwunden, als sie ihn am meisten gebraucht hätte.So kam es, dass sie den ganzen Tag über mit diesem Jungen schrieb, meist bis tief in die Nacht. Irgendwann hatten sie ihre Handynummern ausgetauscht, schrieben sich den ganzen Tag über SMS oder Nachrichten bei WhatsApp. Wochenlang ging das so weiter, bis eine Zeile von ihm dafür sorgte, dass sie in ihr altes Muster verfiel. Sie hatte gerade begonnen, sich bei ihm wohlzufühlen, sich ihm zu öffnen, ihm zu vertrauen. Und jetzt wendete diese Nachricht die Geschehnisse um 180 Grad, sorgte dafür, dass sie wieder unsicher wurde, sich nichts mehr zutraute und ihre Türen und Fenster in ihrem Inneren verschloss.
„Wollen wir uns vielleicht mal treffen? :) ♥"
Das Herzchen dahinter schien es etwas zu lockern, dennoch war dies keine entspannte Anlegenheit für sie. Im Gegenteil. Ihre Figur machte ihr zu schaffen. Was, wenn er sie nicht mochte, wie sie war? Wenn er sie zu dick fand? Wenn ihr Bauch nicht flach genug war? Ihre Beine nicht dünn genug, nicht lang genug? Wenn ihre Oberarme beim Bewegen hin und her schwabbelten?
Sie war noch nie diejenige gewesen, die sich mit fremden Leuten traf, die sie nur über Facebook kannte und das auch nur von Fotos. Sie war eigentlich immer skeptisch, ließ keine Fremden in ihr Leben und hörte auf das, was ihre Mutter ihr immer versucht hatte, einzutrichtern: „Triff dich niemals mit Leuten aus dem Internet!" Das waren die Worte, die ihre Mutter ihr jedes Mal vermitteln wollte, wenn sie vor dem Laptop saß und mit ihren Internetbekanntschafen – von denen sie übrigens viele hatte – schrieb. Häufig kannte sie diese von Foren, auf denen sie angemeldet war, doch hatte sie vor einiger Zeit auch mal einige Spiele ausprobiert, durch welche sie einige gute Freunde gefunden hatte, mit denen sie seit mehreren Jahren noch immer in Kontakt stand.
Dennoch suchte sie keine Ausrede, um sich nicht mit ihm treffen zu müssen. Nein, sie tat das, womit sie niemals gerechnet hätte. Was sie niemals von sich erwartet hätte, um ehrlich zu sein.Sie sagte zu.
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Buuuujaaaa ich bin so stolz auf dieses Kapitel, obwohl ich ewig nach einem Namen für das Mädchen gesucht habe! Obwohl der gar nicht so wichtig ist, ich hab schließlich nur die ganze Zeit "sie" geschrieben, haha :DHoffe, euch hat das Kapitel gefallen. Würde mich über Votes, Kommis und Follower seeeehr freuen :)
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Caught // Harry Styles AU { on hold }
FanfictionLiebe ist etwas Seltsames. Wir würden alles dafür geben, diese eine Person an unserer Seite zu haben, nur um ... ja, was eigentlich? Glücklich zu sein? Aber ist Liebe zwingend etwas Schönes, etwas, was glücklich macht? Phoebe dachte dies zumindest...