Der Wert eines Plagiats

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Der Wert eines Plagiats

Die Geschichte über den Wert von Kopien, Betrug und Fälschung führt uns mitten in das Arbeitszimmer einer mittelständigen Familie. Der junge Gymnasiast Roland, 12 Jahre, sieht seinem Vater, auch bekannt als der autoritäre Deutschlehrer Herr Lanigiro, beim Korrigieren seiner jüngsten Klausuren zu.

„Hach, wie ärgerlich für den Peter!", schnauzte der Vater empört, " da hat er doch tatsächlich gedacht, dass er meine scharfen Augen täuschen kann. Mir bleibt nichts Anderes übrig, als ihm die Note sechs zu erteilen."

„Papa, Papa, was hat der Peter denn verbrochen?", fragte Roland unwissend.

„Er hat abgeschrieben Sohnemann. Die geschriebenen Worte auf diesem Papier entsprechen den Gedankengängen eines anderen. Ein Plagiat!", erklärte der Vater.

„Aber Papa, hat der Peter nicht durch diese Tatsache etwas Großartiges geleistet?", fragte Roland wieder.

„Roland, rede doch nicht solch einen Blödsinn! Es gibt nichts schlimmeres, als die Leistung anderer als seine eigene zu präsentieren. Sowas ist falsch und unverschämt!" Herr Lanigiro legt erbost den Stift beiseite.

„Aber Papa, der Peter wollte bestimmt niemandem mutwillig schaden. Er hat doch bloß die Aussichtslosigkeit seines fehlenden Talents akzeptiert und diese mit der wundervollen Schrift eines anderen ausgeglichen. Ist Peter nicht dadurch selbst Teil dieser Gedankenwelt geworden? Und wenn der Urheber der Ursprung eines Werkes ist, erfüllt der Peter nicht dann die Rolle der Fortsetzung?", wollte Roland wissen.

„Wo hast du denn diese nicht vorbildlichen Beispiele her?", schießt der Vater zurück, " es gibt nichts Positives am Plagiieren."

„Dann verrate mir doch Papa, ob das Theater etwas Schlechtes ist? Versuchen denn die Schauspieler nicht das Gleiche wie der Peter? Eine Rolle darzustellen, die sie gar nicht aus eigenem Gedankengut erschaffen haben?", setzt Roland seine Fragen fort.

„Das Schauspiel, Roland, ist die Bühnenkunst. Das hat nichts mit dem Plagiat zu tun", erklärt der Vater weiter, " dort werden Illustrationen gezeigt, die die Schönheit eines Textes darstellen sollen!"

Wütend erhebt sich der Vater von seinem Stuhl: „Nun ist aber mal Schluss mit dieser Fragerei Roland. Konzentriere dich lieber darauf aus eigener Leistung etwas zu erschaffen, anstatt dich an der harten Arbeit anderer zu ergötzen. So einen Humbug möchte ich nie wieder aus deinem Munde hören."

„Papa, eine letzte Frage habe ich aber noch", wirft Roland dazwischen, " was wäre denn passiert, wenn du gar nicht erst herausgefunden hättest, dass der Peter abgeschrieben hat? Dann wäre er doch mit einer guten Note nach Hause gegangen und du hättest keinen Gedanken mehr an diese Klausur verschwendet. Oder nicht?"

Roland unterbricht kurz, führt aber nach einer fragenden Miene des Vaters seinen Dialog fort:

„Gib mir bitte noch die Gelegenheit es an einem besseren Beispiel zu erklären. Stell dir vor, dass jemand in seiner Doktorarbeit plagiiert, es daraufhin schafft ein waschechter Arzt zu werden und der Betrug erst nach 20 Jahren Arbeit zwischen Halbtoten und Kranken auffällt. Macht es diese Person dann automatisch zu einem schlechten Arzt? Auch wenn er in seiner Zeit als Lebensretter hunderte Menschen vor dem Tod bewahren konnte? Es wäre doch wahrlich unfair diese Person aus seiner Position zu entheben, nur weil er in seiner früheren Verzweiflung einen Fehler begangen hat."

Der Vater setzte sich kurz. Die kritischen Worte des jungen Roland überraschten ihn so sehr, dass der anfangs von seinem Standpunkt überzeugte Mann für einen Moment Inne hielt.

„Und was ist mit Politikern? Das Beispiel mit der Doktorarbeit lässt sich doch auch wunderbar auf die Politik übertragen, oder Papa?", ergänzt Roland weiter, " bei einem Politiker, der Jahr für Jahr zielstrebig und verantwortungsbewusst als Volksvertreter gearbeitet und immer zur vollsten Zufriedenheit der Bürger entschieden hat, kommt plötzlich heraus, dass in seiner Doktorarbeit plagiiert wurde. Macht diese Tatsache seine ganzen Erfolge, die er im Namen des Volkes erreichen konnte nun bedeutungslos? Oder kann man über diesen einmaligen Fehler hinwegsehen und immer noch im Vordergrund behalten, was diese Person bereits alles geleistet hat?"

„Nun Roland, da hast du unter all deinen Fragen endlich mal einen Standpunkt gefunden, über den es sich zu diskutieren lohnt", antwortet der Vater, " hierbei stellt sich jedoch die Frage, ob du dich von einem Arzt behandeln lassen würdest, von dem du wissentlich weißt, dass er abgeschrieben hat? Ich glaube nämlich, dass die Menschen diesen Arzt mit anderen Augen anschauen würden. Auf einmal kommen Personen, die die Kompetenz dieses Arztes in Frage stellen werden. Die Sache mit dem Vertrauen und der Kompetenz lässt sich auch auf den Politiker übertragen. So ist es nun mal unserer steifen Gesellschaft Roland. Ein einziger Fehler könnte dein gesamtes zukünftiges Leben auf den Kopf stellen. Pass daher sehr gut auf, was du in deinem jugendlichen Leichtsinn anstellst!"

Rolands neugieriger Blick fällt nun auf die Klausur des jungen Peters.

„Trotz all den Dingen, die du mir erzählt hast Papa, glaube ich, dass manche Menschen vom Plagiieren sehr stark profitieren können. Sie entnehmen die Gedankengänge eines anderen, vermischen sie mit den eigenen und erschaffen daraus ein neues, wundervolles Werk. Wie der Regisseur, der eine meisterhafte Idee verschwendet und daraufhin einen der schlechtesten Filme produziert. Wäre es dann falsch von einem anderen Regisseur, wenn er diese Idee entwendet um daraus einen Film zu schaffen, der nicht an der Umsetzung scheitert? Wenn alle dieselbe Einstellung hätten wie du Papa, dann wäre dieser wunderschöne Film niemals produziert worden." Roland hebt triumphierend den Finger in die Luft.

„Mensch Roland, das überrascht mich tatsächlich, dass du in deinem Alter schon so denken kannst. Deine ausgeprägten Worte haben mich wahrlich ein wenig mulmig werden lassen, also hör nun gut zu, was ich dir zu sagen habe!", ruft der Vater stolz, " nun, auch ich habe in meiner Zeit im Studium abgeschrieben! Ich erinnere mich noch ganz speziell an einen Schreibwettbewerb an meiner Universität. Jeder hatte die Aufgabe, aus eigenen Gedanken eine Kurzgeschichte zu erschaffen. Ich habe den Wettbewerb gewonnen Roland, doch wusste niemand, dass mein Werk das meines Großvaters war, welcher seine Schrift in der Ecke verstauben ließ. Bis heute ist der Schwindel nicht aufgefallen. Deshalb verstehe mich, ich wollte dich davor bewahren ein genauso unkreativer alter Herr zu werden wie ich es damals war, Roland. Du wirst dir in Zukunft viele Probleme ersparen, wenn du deine Arbeit ehrlich und offen erledigst."

„Nun Papa, damit hast du die Diskussion für einen weiteren Streitpunkt eröffnet. Doch lassen wir es gut sein und uns über den Peter unterhalten, den du ja soeben erwischt hast." Roland hält die Klausur von Peter in die Luft.

„Nachdem du mich mit deiner Vielzahl an Standpunkten überhäuft hast, kannst du mir ja nun gerne verraten, welche Note du dem Peter geben würdest?", fragte Herr Lanigiro erwartungsvoll.

„Papa, trag dem Peter die Note ein, die er verdient. Wer blöd genug ist sich beim Plagiieren erwischen zu lassen, der verdient nichts anderes, als die Note sechs. Auch die Kunst des Betrügens erfordert ein gewisses Maß an Fleiß, Überlegenheit und Kreativität!", kam es plötzlich aus Rolands Munde geschossen. Seine Rede wird von einem herzhaften Lacher seitens seines Vater untermauert.

Händereibend und mit meinem frechen Grinsen im Gesicht entfernt sich Roland anschließend aus dem Zimmer.

Der Wert eines PlagiatsWhere stories live. Discover now