So gut wie tot

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Am nächsten Morgen reißt Stiles' Wecker uns unsanft aus dem Schlaf, naja, er reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Stiles dagegen scheint das ohrenbetäubende Klingeln nicht zur Kenntnis zu nehmen.
"Stiles, wach auf.", sage ich müde, doch er hört wieder nicht zu. Ich stehe auf und drücke die Schlummer-Taste. Dann stehe ich vor Stiles' Bett und entscheide mich, ihn wachzurütteln.

Er reißt erschrocken die Augen auf und schlägt um sich, während ich jeden Schlag abwehre. "Du musst aufstehen, sonst kommst du zu spät zu deinem Test." Stiles schaut mich entsetzt an und springt von seinem Bett auf.
"Ich wusste gar nicht, dass Menschen
so früh am Morgen so viel Energie haben können.", bemerke ich, worauf er ein frustrierte "Ich auch nicht" erwiedert. Er stopft seine Sachen in den Rucksack und ruft: "Dad?! Kannst du mich zur Schule fahren?"

Es kommt keine Antwort. "Er schläft bestimmt, er hatte doch Nachtschicht.", sage ich und biete ihm an: "Ich kann dich fahren, wenn du willst." Stiles nickt und bedankt sich. Wir laufen schnell die Treppe hinunter und begeben uns in mein Auto.

Drinnen seufze ich einmal. "Du schreibst keinen Mathetest, warum also so ein langes Gesicht?"
"Ich muss noch Arbeit finden.", schnaube ich, "Ich kenne mich hier nicht aus."
"Du könntest doch in der Tierklinik arbeiten, in der Scott auch arbeitet.", schlägt er vor und ich lächle glücklich.

Ach, Scott.

Ich merke, wie mein Herzschlag sich unwillkürlich verschnellert.

Dieses Angebot kann ich mir noch entgehen lassen.

"Klar, wo ist das?", frage ich, als wir vor der Schule ankommen. "Frag doch Scott nach der Schule. Er hat heute eine Mittagspause um 13 Uhr. Ich sag ihm, dass du davor auf ihn wartest. Der Besitzer der Praxis ist ein guter Freund von uns.", antowortet er und schaut auf die Uhr, "Ich sollte jetzt los, nach der Schule unternehme ich etwas mit Malia, wir sehen uns heute Abend also."

Als er aussteigt, wünsche ich ihm noch viel Erfolg, bevor er die Tür schließt und mir kurz winkt. Als er im Gebäude verschwunden ist, versuche ich einen kühlen Kopf zu bewahren.

Scott ist nur ein Junge, ich weiß nicht viel über ihn. Stiles hat mir ein paar Dinge erzählt, die wirklich beeindruckend sind, doch jeder hat seine Macken, selbst Scott, obwohl er perfekt zu sein scheint.
Ich finde es bewundernswert, wie er sein Rudel leitet, obwohl er nicht sehr lange ein Wolf ist.
Anders als ich und meine Familie, denn wir sind schon seit Generationen ein Rudel. Ich könnte mir kein Leben ohne den Mond als meinen Fixpunkt vorstellen.

Seit ich ein kleines Mädchen bin, wurde mir beigebracht: Das Rudel ist die Familie und umgekehrt.
Es gibt kein Leben außerhalb eines Rudels, jedenfalls nicht für uns Werwölfe.

"Bist du ein Omega, bist du so gut wie tot."

Das hat mein Onkel mich gelehrt und das ist eins der wenigen Dinge, in denen ich ihm zustimme.
Schon als ich ein kleines Kind war, habe ich immer sehr viel Respekt vor ihm gehabt, jedoch war immer ein bisschen Furcht dabei.
Ein großer, dunkelhaariger und blauäugiger Muskelprotz. Alles in allem haben er und mein Vater sich sehr ähnlich gesehen.

Der gravierende Unterschied war die Ausstrahlung. Mein Vater hat eine Güte, eine Freundlichkeit ausgestrahlt, mein Onkel eine einschüchternde Macht Und Kontrolle. Seine Paranoia steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Das ist auch der Grund, weshalb mein Vater jetzt tot ist.

Niemand traut sich es auszusprechen, außer ich. Jeder weiß es, niemand sagt etwas, denn er ist der große, böse Alpha und ich war einmal sein Liebling. Nun bin ich eine Verstoßene und schlimmeres...

Um die trüben Gedanken abzuschütteln, fahre ich in Richtung Wald, wo ich in letzter Zeit immer Ruhe finden konnte. Keine Menschenseele, obwohl ich immer wieder etwas gerochen habe.
Diesen Geruch will ich jetzt verfolgen.

Ich fahre bis zum Waldrand und schaue auf die Uhr, ich habe noch genug Zeit, um abzuschalten, bis ich dann zu Stiles gehe und mich zurecht mache, nicht zuletzt für Scott.
Schnell versuche ich wieder Klarheit zu schaffen, mich zu fokussieren auf meine eigentliche Aufgabe: Das finden eines Rudels.
Bei dieser Aufgabe käme mir Sympathie seitens Scott jedoch gelegen.

Suche ich gerade nach Ausreden mich an den Alpha ranzuschmeißen?

Ja.

Eine Sache habe ich allerdings vergessen: Ich suche keine Ausreden. Ich mache das, was ich will.
Wenn Scott das ist, was ich will, wird mir nichts im Wege stehen. Denn obwohl dieser Junge ein Frischling ist, zieht er mich magisch an.

Alpha Und Omega • Scott McCallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt