Widergefunden

302 15 2
                                    

Der leichte Wind wehte durch ihre welligen Haare und flog weiter über die Wasseroberfläche. Sie spürte den Sand an ihren Füßen, welcher mit jeder Welle wieder durcheinandergewirbelt wurde. Sie liebte diese Ruhe, diese endlose Weite die das Meer ausstrahlte. Ein Rückzugsort, wenn sie mal aus der Realität flüchten wollte, wenn alles schief lief und ihr alles zu viel wurde. Schon einige Zeit stand sie mit den Füßen bis zum Knöchel im Wasser, beobachtete jede Unregelmäßigkeit auf der Oberfläche. Sie sah eine Möwe über das Wasser fliegen. Sie schien einsam, wusste nicht wohin sie flog. Rastlos. Und genau in diesem Moment kam die Sehnsucht in ihr hoch. Sehnsucht nach ihm. Sie erinnerte sich an den letzten Sommer, als sie und Thomas hierher gefahren sind. Als sie einfach ihre Sachen gepackt hatten, nachdem sie ihm gesagt hatte, dass sie ans Meer will. 
Sie haben sich einfach ins Auto gesetzt und sind losgefahren. Ziellos. Und dich hatten sie ihr Ziel am Ende erreicht. Diese wunderschöne alte Hütte an einem verlassenen Strand. Es war damals so perfekt gewesen. Vor fast genau einem Jahr.  Unwillkürlich musste sie lächeln, als sie daran zurückdachte. Wie sie Hand in Hand am Strand entlang spaziert sind und dabei den Sonnenuntergang beobachtet haben, wie sie nachts Sterne gezählt haben und im Schlafanzug schwimmen gegangen sind. Wie sie durch die Natur spaziert sind und dem Rauschen der Wellen zugehört haben. Und wie sie jeden Abend zwei Vögel beobachtet haben, die miteinander zu tanzen schienen.
Sie waren sich so unglaublich nah gewesen, so unglaublich vertraut. Wäre die letzte Nacht nicht gewesen, könnte das vielleicht heute noch so sein. Ein Stich durchfuhr ihren Körper, als sie daran zurückdachte, wie sie aufgewacht war und er nicht mehr da war. Wie er tagelang nicht mehr mit ihr gesprochen hat und sich von allem distanziert hat, um ihr schließlich mitzuteilen, dass er das nicht konnte. Dass er das mit ihnen beiden nicht konnte. Ohne das sie es wahrnahm, begannen Tränen über ihre Wangen zu laufen.
"Nicht weinen", flüsterte plötzlich eine Stimme hinter ihr. Sie stockte. "Thomas."
Ihr Herz schien für einen Moment auszusetzen. Langsam drehte sie sich um und sah ihm in die Augen. Wie er da stand, so typisch Thomas.
"Wa.. Was machst d..d.. du hier?", fragte sie leise, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. Doch er antwortete ihr nicht, ging auf ihr zu und nahm sie in den Arm. Wortlos. Sie ließ es zu, ließ sich einfach fallen und genoss die Wärme, die in ihr aufstieg, als seine warmen Hände ihre Haut berührten. So standen sie da, hielten sich fest. Nach einer Ewigkeit löste er sich ein wenig von ihr, um sie anzusehen. 
"Ich habe darüber nachgedacht, nein", sagte er mit einem leichten Lächeln im Gesicht und strich ihr eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. Fragend blickte sie ihn an, verstand nicht, was er meinte. 
"Du hast mich gefragt, ob das alles wichtiger ist, als unsere Liebe. Nein, ist es nicht. Nichts ist mir wichtiger als du", flüsterte er leise. Noch bevor sie irgendwas erwidern konnte, hatte er sich zu ihr runtergebeugt und seine Lippen sanft auf ihre gelegt. Überrascht seufzte sie auf, stellte sich auf die Zehenspitzen und erwiderte seinen Kuss. Ihre Hände legten sich in seinen Nacken, zogen ihn weiter zu sich runter. Seine Hände wanderten an ihre Hüfte, hielten sie fest, als ihre Knie drohten nachzugeben. Sie zogen sich immer näher, jeder Zentimeter zwischen ihnen war zu viel.
Sie lösten sich erst wieder voneinander, als sie ein lautes Kreischen wahrnahmen. Steff drehte sich um, schaute aufs Meer. Thomas ebenso, ließ dabei jedoch seinen Arm fest um ihrem zierlichen Körper liegen. Schweigend beobachteten sie die beiden Vögel. Wie sie um die Wette flogen, immer wieder Kreise zogen, bis sie schließlich langsam in den Sonnenuntergang flogen und schließlich am Horizont verschwanden. Anscheinend hatten sie sich widergefunden.
Lächelnd drehte sie sich wieder um und sah ihn an. Er erwiderte ihr Lächeln und zog sie wieder ein Stück näher zu sich. "Wieso versteckst du dich hier?" Zärtlich strich er über ihre Wange. "Vielleicht wollte ich ja gefunden werden", gab sie ebenso leise zurück und griff nach seiner Hand um sie mir ihrer zu verbinden. "Und wieso bist du hier?" "Weil ich dich finden wollte, weil ich dich liebe", flüsterte er leise, sodass seine Worte fast von den Wellen verschluckt wurden. Sie verstand jedoch jedes Wort.
Eine kleine Träne lief über ihre Wange, bevor sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihre Lippen liebevoll  auf seine legte. Langsam wurde der Kuss immer leidenschaftlicher, bis Thomas sie irgendwann hochhob und zurück zur Hütte trug, ohne seine Lippen auch nur eine Sekunde von ihren zu lösen. Er würde sie nicht mehr gehen lassen, nie mehr.
Ein warmer Sonnenstrahl kitzelte sie an der Nase, sodass sie schließlich aus ihrer Traumwelt erwachte. Sie blinzelte und genoss die Wärme auf ihrer Haut. Als ihr Blick durch das Zimmer schweifte, erblickte sie einen lächelnden Thomas auf ihrer Bettkante sitzen, der sie verträumt ansah. Sie lächelten sich eine Zeit lang einfach nur an, bevor er ihr eine Tasse mit Kaffee reichte. Ihre Tasse. Ganz.

Ans MeerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt