3. Teil

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Für Andreas

Voller Schock wacht er nach Luft schnappend auf, und plötzlich ist alles weg. Der Friedhof, Chris, die grüne Wiese. Das Grab seiner Tochter. Sein Herz schlägt bis zum Hals und er versucht hastig, Luft zu kriegen. Andreas springt aus dem Bett auf und steht im Raum. Seine Frau redet auf ihn ein, sie hat ihn schon verzweifelt gerufen. Furchtbar hat er ausgesehen, kämpfend, um endlich aus dem Alptraum aufzuwachen. So hat sie ihn noch nie erlebt. „Schatz, was ist denn los... was hast du denn so Furchtbares geträumt, dass du so... Hey, beruhige dich...", sagt Maike immer wieder, und er wischt sich den Schweiß von der Stirn. Setzt sich langsam wieder auf das Bett. Die Nachtischlampen sind beide an. Es ist gut, dass es grade hell ist, denkt sich Andreas. Sein Herzschlag normalisiert sich wieder. Es war ein Traum. Nur ein schrecklicher, unfassbar realistischer Traum. Es kam mir wirklich real vor. Wow, wie krass war das denn... Seine Frau streichelt beruhigend über seinen Rücken. „Was hast du denn so Schlimmes geträumt?", fragt sie ihn sanft, und denkt sich dabei: Vielleicht ja von seinem Vater, doch das spricht sie nicht laut aus. „Ich... also, nein... das will ich nicht erzählen..." Niemals wird er ihr davon erzählen! Viel zu schlimm ist alleine der Gedanke, das eigene Kind zu verlieren. Und dann auch noch verpackt in einem so schön ausgemalten Drama. Grauenvoll! Zum Glück liegt Lina im wahren Leben seelenruhig in ihrem Bett. Das tut sie doch, oder? „Vertrau mir, das ist zu schlimm, dass ich das erzähle. Nicht jetzt. Ich muss mal kurz nach Lina sehen..." Verwirrt mustert Maike seine besorgte, noch immer geschockte Miene. Es hat also etwas mit ihr zu tun... „Okay", sagt sie und lächelt ihm zu, während er ihre Hand drückt und sie wieder gefasst anschaut. Andreas steht auf und tappt leise in den Flur. Nochmals fährt er sich durch sein Gesicht. Sogar geweint hat er im Schlaf. Oh man, was war denn eben nur los mit mir... Ein wenig Angst hat er schon, dass sein Traum eine gewisse Wahrheit in sich trägt. Denn das tut er. Er hat am Abend nicht mehr mit ihr geredet, obwohl er ihr das versprochen hat.

Zitternd schleicht er den Flur entlang, vorbei an den Zimmern seiner Jungs, bis er vor Linas Zimmertür steht. Da sieht er plötzlich einen schwachen Lichtstrahl unter der Tür durchscheinen. Warum ist dort Licht zu sehen? Ist sie etwa noch wach? Es ist mitten in der Nacht. Stirnrunzelnd nimmt ihr Vater die Türklinke in die Hand und drückt sie herunter. Sie hört nichts, bis auf einmal ein Knarren die Stille zerreißt und ihre Tür aufgeht. Ganz langsam. Heftig zuckt Lina zusammen, und erwartet erst einen ihrer Brüder, doch dann sieht sie ihren Vater dort stehen. Ertappt reißt sie die Augen auf und sagt schnell etwas von: „Tut mir leid, Dad, ich geh sofort ins Bett, guck..." Sie will ihren Laptop schließen, welchen sie auf ihrem Schoß stehen hat, und löscht das Nachtlicht, doch Andreas macht es sofort wieder an. Er schaut sie ungläubig und geschockt an. „Lina! Hey, nein, alles gut... Aber was um Himmels Willen machst du um... zwei Uhr Nachts hier wach in deinem Zimmer, mit dem Laptop? Kannst du nicht schlafen, oder wie?", fragt er, etwas streng, aber auch leicht besorgt. Er mustert sie prüfend, und erst da bemerkt er, dass sie am Weinen ist. „Ich... Ich mache ja schon aus...", flüstert sie leise. Sie schämt sich sehr, warum muss auch ausgerechnet jetzt ihr Vater zu ihr kommen. Sie streicht sich schnell ihre Tränen vom Gesicht, damit er es nicht sieht, doch sie bemerkt, dass es bereits zu spät ist. „Lina... Du weinst ja, Süße... Mach doch mal Platz...", flüstert Andreas fürsorglich und setzt sich zu ihr auf das Bett.

Besorgt mustert er seine Tochter. Seine kleine Prinzessin. „Was ist denn los, meine Kleine...", fragt er sie eindringlich, doch sie sagt nur: „Ist... Ist egal, Papa, wirklich..." Er legt seine Hand auf ihren Arm, atmet tief durch und sagt: „Nein meine Maus, das ist nicht egal. Es tut mir übrigens leid, dass ich heute Abend nicht mehr gekommen bin, um mit dir zu reden. Das war nicht schön von mir..." Leicht kleinlaut wird er am Ende, denn er schämt sich dafür. Er hat sich nur um seine Jungs gekümmert, und nicht um sie, und nun sitzt sie hier alleine, mitten in der Nacht an ihrem PC und ist am weinen! Aber jetzt bin ich ja da, denkt er sich beruhigend. Jetzt wird alles gut. Nicht so, wie in meinem Traum. „Ist doch okay... Ben und Lukas Probleme sind sowieso viel wichtiger als mein Kinderkram...", wiederholt Lina schluchzend die Worte ihres kleinen Bruders. Getroffen von ihren Worten lenkt ihr Vater sofort um: „Hey, halt, was sagst du denn da? Das ist völliger Quatsch Maus, du bist genauso wichtig..." „Das sagst du jetzt! Du bist doch nicht gekommen heute Abend!", erwidert sie verletzt. Es trifft Andreas mitten ins Herz. „Ja, das stimmt, das bin ich nicht. Und es tut mir wirklich leid... Aber ich bin jetzt da...", versucht er, sich zu entschuldigen. „Ja... und was machst du überhaupt hier?", fragt sie leicht verwirrt. Mist, wie erkläre ich das denn jetzt? „Ja, das ist eine gute Frage...", murmelt er darauf aber nur. Lina versucht grade, unauffällig ihren Laptop unter ihr Bett zu schieben, doch ihr Vater sieht es trotzdem. „Hey, was ist mit dem Laptop...", fragt er, und Lina hebt ihre zitternde Hand vom Gerät. „Nichts, alles gut...", schluchzt sie. Überhaupt nichts ist gut mit seiner Kleinen, und das weiß Andreas. „Maus, du kannst mir alles sagen, wenn dich etwas bedrückt, das weißt du..." „Ja, aber meine Brüder sind doch-" Andreas unterbricht sie sanft: „Nein, hör zu, jetzt grade geht es nur um dich. Dich allein, okay?" Sie holt tief Luft. Sehr gut. „Also... was hast du dir so spät abends noch angesehen? Anstatt zu schlafen?" Weil morgen ist doch Schule, denkt er sich noch dazu, sagt es aber nicht. Sie stottert leise: „Also... also das i-ist... so, dass..." Er lässt sie zu Ende reden, auch wenn es ihn fertig macht, sie so zu sehen. „Ich... die haben ein Bild von mir gemacht... das ist jetzt auf Facebook... und... es hört nicht auf...", schluchzt sie los, und bricht in Tränen aus. Nach Halt suchend lehnt sie sich in Richtung ihres Papas, der sie geschockt in den Arm nimmt. „Was? Was denn für ein Bild? Was hört nicht auf? Oh meine Süße, du brauchst dich doch nicht zu schämen...", versucht ihr Vater, sie zu trösten. Vergebens. Sie weint und weint, und sagt immer wieder Sätze wie: „Es tut mir so leid, Papa, ich schäme mich so...". „Das brauchst du nicht, Schatz...", flüstert Andreas ihr ins Ohr und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 20, 2017 ⏰

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