Kapitel 1

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Ich saß am Dach eines Hochhauses, auf einem dieser weißen Plastikstühle und betrachtete die Stadt unter mir.
Es herrschte um diese Zeit nicht allzu viel Leben in ihr, lediglich einzelne Autos durchquerten ihre Straßen.
Man sah vereinzelt noch Lichter in anderen Häusern brennen, deren Anzahl nahm aber auch minütlich ab.
Ich kuschelte mich in meinen viel zu großen Pullover und sah dann noch oben in den wolkenfreien Sternenhimmel. Ich versuchte den kleinen Wagen auszumachen, was mir auch sehr schnell gelang da ich ihn beinahe jeden Abend gesucht hatte als ich noch ein kleines Kind gewesen war. Mittlerweile war ich 18 Jahre alt und kam nicht mehr so oft auf dieses Dach, außer ich brauchte etwas Zeit für mich. Wieso genau ich hier her kam? Nicht etwa weil ich in dem dazugehörigen Gebäude lebte, viel mehr weil es der höchste Punkt der Stadt war und ich so alles im Blick hatte.
Ich wohnte mit meiner Mutter und meiner jüngeren Schwester ziemlich am Rande der Stadt. Wir hatten nur eine kleine Wohnung, da meine Mutter nicht viel verdiente. Sie arbeitete als Kellnerin in einem kleinen Café im Stadtzentrum. Ich selbst hatte keine Arbeit,weshalb ich auf oft ins streiten mit ihr kam. Ich wollte etwas arbeiten, das mir Spaß machte,sie war allerdings war der Meinung es war egal was für einen Job ich hatte, die Hauptsache war ich verdiente Geld. Das hieß mehr Geld. Ich verdiente einen kleinen Betrag indem ich auf der Straße Gitarre spielte, etwas das mir wirklich Spaß machte. Musik war mein Leben, aber das würde sie wohl nie verstehen.
Ich schnappte mir meine Vodkaflasche die ich neben meinen Stuhl gestellt hatte und trank ein, zwei Schlücke bevor ich aufstand und begann auf der Kante des Hochhauses zu balancieren. Manche würden sagen dies war Lebensmüde, was auch in gewisser Weise stimmte, aber ich liebte den Adrenalinkick den man bekam, wenn man kurz das Gleichgewicht verlor. Man konnte schon fast sagen ich war süchtig danach.
Grinsend lief ich auf der Kante entlang, die Vodkaflasche in der einen Hand, den anderen Arm ausgestreckt um das Gleichgewicht zu halten.
Ich schloss die Augen und sog die frische Luft tief in mich hinein.
"Da bist du ja!"
Ich zuckte zusammen als ich plötzlich die Stimme meiner Schwester hörte und ließ dabei die Flasche in den Abgrund fallen.
"Mum sucht schon überall nach dir. Ich soll dir sagen, dass es ihr leid tut."
Sie kam zu mir gelaufen, ihre blonden langen Haare wehten im Wind. Sie rieb sich die Arme. Offensichtlich war ihr kalt, was auch verständlich war da sie nur in einem T-Shirt mitten im September rum lief.
Ich zog meinen Pullover aus und hielt ihn ihr hin. Mir machte die Kälte recht wenig aus.
Sie ergriff ihn und zog ihn sich sogleich über. "Komm bitte wieder nach Hause. Sie macht sich Sorgen."
Ihre grünen Augen sahen mich eindringlich an.
Ich schnaubte nur genervt und verdrehte die Augen. "Kann sein dass sie sich Sorgen macht, aber sie ist selbst Schuld."
Meine Schwester griff nach meinem Arm. "Katie, sie hat es nicht so gemeint und das weißt du genauso gut wie ich. Und jetzt komm,lass uns..."
"Nein."
Ich wollte nicht zurück, noch nicht.
Vorsichtig löste ich mich aus ihrem Griff, stieg von der Kante und setzte mich wieder auf den Stuhl.
Ich sah nach oben und betrachtete die unzähligen Sterne. Dieses Mal war meine Mutter einfach zu weit gegangen. Es war okay von ihr gewesen mich einmal wieder darauf hinzuweisen, ich solle mir endlich einen vernünftigen Job suchen, aber meinen Vater in die ganze Sache mit rein zu ziehen war nicht fair gewesen.
Meine Schwester platzierte sich mit verschränkten Armen vor mir, doch ich sah sie nicht an, sondern suchte wieder den kleinen Wagen am Himmel.
"Sei doch nicht so kindisch und komm mit nach Hause!" Sie klang genervt, doch das interessierte mich recht wenig.
"Du hast gehört was sie gesagt hat. Ich bin ein Nichtsnutz, genau wie Dad und ich soll nicht mehr nach Hause kommen bevor ich einen Job gefunden habe", entgegnete ich ruhig.
Sie seufzte und fasste mit erneut an den Arm. "Es ist gefährlich nachts hier draußen zu sein, dass weißt du. Es sind in letzter Zeit so viele Menschen aus der Gegend verschwunden..."
Ich sah sie an. Sie hatte ja Recht, ich sollte momentan nicht alleine hier draußen sein. In den letzten beiden vergangenen Monaten waren in der Stadt 10 Personen einfach so verschwunden, alle zwischen 16 und 30 Jahren. Die Polizei war bei ihren Ermittlungen immer noch nicht weiter.
Ich fasste in meine Hosentasche und ertastete das Pefferspray. Aber ich hatte ja das hier. Im Notfall könnte ich mich schon verteidigen.
"Geh nach Hause, Amber. Sag Mum ich komme später wieder und sie soll sich nicht zu viele Sorgen machen."
Sie seufzte und zog den Pullover wieder aus. "Dann behalte wenigstens den bei dir, nicht dass du noch krank wirst."
Ich nickte und nahm ihn zurück. Sie schenkte mir noch eine Umarmung, dann verschwand sie und ließ mich wieder alleine auf dem Dach des Hochhauses zurück, alleine mit meinen Gedanken.
Ich vermisste meinen Vater so sehr. Er war damals bei einem Zugunglück ums Leben gekommen. Er hatte zwar nie viel verdient, aber er war so glücklich mit seiner Arbeit in der Gärtnerei gewesen, dass wir ihm das nie übel genommen hatten. Und genau wie ihm kam es mir nicht auf das Geld an, sondern darauf glücklich zu sein.
Plötzlich hörte ich das laute Quietschen vor Autoreifen. Völlig ungewöhnlich für diese Uhrzeit, aber möglicherweise waren das einfach nur irgendwelche Angeber die sich mit ihrer Karre unheimlich cool fühlten.
Da ich dennoch neugierig war, erhob ich mich und lief zur Kante. Ich sah sie Amber gerade das Gebäude verließ und der mysteriös Wagen direkt auf sie zusteuerte.
Alles in meinem Magen zog sich zusammen. Da stimmte etwas nicht. Mein ungutes Gefühl bewahrheitete sich als der weiße BMW genau neben ihr hielt und ein maskierter Mensch ausstieg.
Mein Herz setzte zum schlagen aus. Nein! Ich drehte um und raste Richtung Treppenhaus. So schnell war ich die 17 Stockwerke noch nie nach unten gerannt.
Als ich unten ankam sah ich gerade noch wie der Mann Amber irgendein Tuch vor die Nase hielt und sie langsam das Bewusstsein verlor.
"Hey! Lass sie los!", brüllte ich so laut ich konnte und stürmte auf den Typen zu.
Er stieß meine Schwester in den Wagen und wollte einsteigen, doch ich war schnell genug. Ich riss ihn an den Schultern zurück und zog mein Pefferspray aus der Tasche. Doch bevor ich es einsetzten konnte, packte der Typ mich am Hals, drückte mich gegen das Fahrzeug und nahm es mir aus der Hand.Ich bekam Panik, da ich keine Luft mehr bekam. Meine Lungen begannen zu brennen und ich schwor auf alles, einen solchen Schmerz hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gespürt. Doch ich gab nicht auf. Verzweifelt versuchte ich ihn von mir weg zu drücken, aber ich hatte keine Kraft dazu. Dann blieb nur noch eine Möglichkeit . Ich holte aus und trat ihm zwischen die Beine. Brüllend ließ er von mir ab. Ich stützte mich am Auto und sog die Luft gierig in mich ein.
Doch so schnell wie er von mir abgelassen hatte, packte er mich wieder. Und dieses mal hatte ich keine Kraft mehr mich auf irgendeine Weise dagegen zu wehren.
Alles begann um mich herum zu verschwimmen. Würde er mich umbringen? Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, meine Lungen brannten wie Feuer. Ich versuchte dagegen anzukämpfen, versuchte mich wach zu halten, doch ich verlor den Kampf. Alles wurde schwarz und es fühlte sich an als würde ich in ein tiefes Loch stürzen. Und so nahm die Geschichte ihren Lauf.

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⏰ Last updated: Apr 23, 2017 ⏰

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