,,Du bist was?"
,,Ein Spiegelgeher."
Ungläubiges Schweigen.
,,Das kann nicht sein. Ich träume. Ich träume von dir. Mein Gott bin ich gestört."
,, Nicht gestört. Nur anders."
,,Soll mich das jetzt aufmuntern? Dann war das ein ziemlich mieser Versuch."
,,Das war die Wahrheit."
Erneutes Schweigen.
Dann ein leises:
,,Wie anders?"
,,Du siehst Leute wie mich."
,,Spiegelgeher."
Es klang wie eine Frage.
,,Ganz genau."
,,Hm."
Im Hintergrund ertönt eine Sirene, die langsam wieder verhallt.
,,Was macht man als Spiegelgeher?"
,,Man kann durch so ziemlich jeden Spiegel auf dieser Welt schauen. Nach Belieben zwischen ihnen wechseln."
Unbehagen lag dick und schwer in der Luft, waberte in zähen Schlieren umher.
Und dann Begreifen.
,, Jeder Spiegel."
Die andere Stimme sagte nichts.
,,Und du siehst mich seit 15 Jahren."
Immer noch kein Wort.
,,Jeden Tag, alle paar Stunden. Um nach mir zu sehen."
Eine schwache Bestätigung ging durch den Raum; der andere muss genickt haben.
Nun gesellte sich grelle Wut und Scham zu den anderen Emotionen; sendeten kleine Blitze durch mein Bewusstsein.
,,Wir haben drei verschiedene Spiegel in unserem Bad."
Die Worte waren scharf, spitz, warteten nur darauf Schaden anzurichten.
,,Ich habe nie..."
,,Woher solltest du das denn wissen? Und sei es auch nur ganz kurz, du hast mich trotzdem gesehen!"
,,So war das nicht, du verstehst..."
,,So war das nicht? So war das nicht!? Du bist ein kranker Stalker! Du siehst anderen beim Duschen zu!"
Die Wut überlagerte die Scham und vertrieb alle Vernunft.
,,Das kann ich gar nicht! Es geht nicht! Alle...kritischen Stellen sind irgendwie verdeckt. Meine Augen gleiten davon ab. Sie sind wie beschlagene Flecken auf einer Scheibe."
Aber die Wut war schon zu weit, drang nun auch durch die Stimme des zweiten Sprechers.
,, Und das soll ich dir glauben? Ich kenne dich überhaupt nicht! Du bist bloß der perverse Junge, der in meinem Spiegel sitzt!"
Drei.
,,Da gäbe es ja auch nicht viel zu sehen!"
Zwei.
,,Denkst du ehrlich du bist auch nur ansatzweise begehrenswert?"
Eins.
,,Denn wenn du wirklich so toll bist, wo sind dann deine Eltern, die dich einfach ausgesetzt haben?"
Die Worte hingen kurz in der Luft, funkelnd gegen die Dunkelheit hinter meinen Augen.
Dann stürzten sie sich auf die erste Stimme und zerfetzten ihr Herz.
Der erste gequälte Atemzug.
Fegten durch ihren Geist.
Der zweite.
Und brannten ihre Seele nieder, bis sie kalt und leer wurde.
Ein Röcheln.
Ein Wimmern.
Dann ein helles Klirren.
Überall Scherben am Boden.
Die größte nahm die erste Stimme.
Setzte sie an.
Ließ alles Leben aus sich heraus strömen.
Und mit dem dritten und letzten Atemzug
verwehte sie.
Nun hing keine Wut mehr im Raum.
Kein Zorn.
Nicht einmal Reue oder Trauer, denn die zweite Stimme war ebenfalls fort.
Zerbrochen mit dem Spiegel.
Was blieb, ist der Tod.
,,Pro auxilio tuo gratiam ago." sang er.
,,Immer wieder gern."dachte ich und schlug meine Augen auf.
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Deal
Misterio / SuspensoIch habe einen Deal abgeschlossen. Mit dem Tod. Und jetzt muss ich damit leben. - Ich höre alle reden. Und bringe sie dann um.