Kapitel 8

49 4 1
                                    

Sonntags beschäftigte ich mich meistens mit Hausaufgaben und Lernen, doch heute konnte ich mich nicht richtig konzentrieren und rief Jin an und fragte ihn, ob er heute Zeit hätte. Mit seiner Reaktion war nur zu rechnen.

"Warte, willst du wirklich mit mir rausgehen??? Kleines heute ist nicht der 1.April! Habe ich beim Lotto gewonnen?"

Ich verknief mir ein Lachen und wir verhandelten noch einige Minuten, was wir heute zusammen unternehmen würden und entschieden uns für einen schönen Nachmittag in einem der neuen Cafés in der Innenstadt, das Jin noch nicht ausprobiert hatte. Das In-and-Out. Wir hatten schon viel darüber gehört und hatten schon vor Wochen vor dort hinzugehen, jedoch hatten die Zeit dafür gefunden uns gemütlich dort rein zu setzen.

Die letzten zwei Stunden bis zu meinem Treffen mit Jin verbrachte ich damit meinen inneren Schweinehund zu bekämpfen und meine Hausaufgaben zu erledigen. Chang-gyun, der sich um 13 Uhr an einem Sonntag immernoch in seinem Schlafanzug befand, stellte mir ab und zu ein Glas Wasser auf den Schreibtisch und setzte sich neben mich um in seinem Block rumzukritzeln. Eun-mi hatte heute Nacht gut geschlafen und mich heute morgen gefragt, ob "dieser gutaussehende junge Mann" denn wirklich hier gewesen ist. Glücklicherweise hatte sie nicht wirklich nachgehackt, woher und wie ich ihn kennengelernt hatte. Ich sprach nicht gerne über soetwas. Allgemein wollte ich einfach den gestrigen Tag für mich behalten. Hoseok für mich behalten. Zwischen uns lieg nichts und würde nichts laufen, aber mir war der Gedanke unangenehm, das meine Tante ihn mit mir in ihren Gedanken verband. Wir waren keine Freunde. Lediglich Klassenkameraden.

Das Klingeln meines Handys riss mich aus meiner Trance, in der ich seit einigen Minuten auf den Stift in meiner Hand geblickt und gehofft hatte, dass er von alleine weiter schrieb.

Jin.
"Hallo?", ich räusperte.
"Kleines, willst du dann auch mal vorbei kommen? Alleine im Regen stehen macht nicht allzu viel Spaß."
Geschockt blickte ich von den Blättern auf dem Schreibtisch auf und beäugte die Uhr, die über dem Tisch hing.
Verdammt. Ich hatte die Zeut völlig vergessen.
"Scheiße. Ich komme."
"Tschüssi!"
Mit einem schnellen Klick legte ich auf, warf mir meine Regenjacke über und zog meine Schuhe an. Ich hasste es zu spät zu kommen. Küsste meine Tante auf die Wangen und umarmte Chang-gyun zum Abschied. Und schon stand ich auf der Straße und blickte einen über beide Ohren grinsenden Jin an, der nebenbei bemerkt mit seiner Jacke vor einem strahlend blauem Himmel stand.

"Seit wann bist du so ein Witzbold, Jin?"
Sein Lächeln erstarb blitzartig und sein Gesichtsausdruck wechselte zu "Wie-konntest-du-das-nur-sagen-?"-Blick.
Er stemmte seine Arme in die Hüfte.
"Ich war schon immer witzig!"
Ich musste kichern. Ein roter Schimmer war auf seinen Wangen zu erkennen. Das passierte immer, wenn er sich über mich aufregte.
"Jaja, hats Spaß gemacht auf mich zu warten?"
"Ich stand wirklich wegen dir 30 Minuten vorm Shop bis ich hierhergegangen bin um zu sehen, wie du aus dem Haus stürmst und dich angerufen habe."
"Na dann sind wir ja quitt", antwortete ich locker und gesellte mich zu ihm.
"Jap, und jetzt lass uns endlich zum Café gehen, okay?"
Ich nickte und wir gingen los.

Ich verbrachte den ganzen Weg damit stillschweigend neben Jin herzugehen und ihm dabei zuzuhören, was er heute alles zu erzählen hatte. Ich antwortete entweder mit einem Nicken oder Lächeln, wen er einen neuen Witz bei mir versuchte. Heute war das Wetter schön. Der klare blaue Himmel ließ mich klarer denken. Ich versuchte nicht ständig an Hoseok oder meine Familie zu denken. Ans Tanzen zu denken. Dann blieb er plötzlich stehen und blickte mich besorgt an.

"Was ist passiert?"
Verwirrt antwortete ich mit einem nichtssagenden Kopfschütteln. Er trat einige Schritte auf mich zu und nahm meine Hand in seine. Ich dachte über den gestrigen Tag nach. Über das Tanzen. Chang-gyun. Eun-mi...

Ich schaute ihm in seine braunen Augen.Vermutlich zum ersten Mal seitdem er heute vor meiner Tür stand. Ich mochte seine Augen. Sie erinnerten mich an den Herbst. Meine Lieblingsjahreszeit, wenn es sowas überhaupt gab. Doch heute ließ mich sein kalter Blick erstarren, nicht lange konnte ich diesem standhalten und blickte zu Boden.

Er drückte meine Hand und versuchte mich dazuzurbringen ihn wieder anzusehen. Er drückte immer fester und fester. Ich schloss meine Augen und um mich herum wurde es still, ich bildete mir Regen  und Schreie ein. Männliche wie auch weibliche. Meinen eigenen? Mir wurde schwindelig und ich konnte meinen Körper nicht zuordnen.

Stand ich? Saß ich? Lag ich?

Ich hörte fremde Stimmen, die an mir herumzerrten. Mein ganzer Körper bebte und ich ein unverwechselbarer Geruch stieg in mir in die Nase, von dem mir schlecht wurde. Ich spürte wie mir etwas die Speiseröhre hochrutschte und mit einem Mal ,durch das Öffnen meines Mundes, meinen Körper verließ. Ich übergab mich. Wieder und wieder. Es schien nicht aufzuhören. Meine Augen waren immernoch geschlossen. Oder war es dunkel?
Ich spürte eine bekannte Hand um meine Hüfte. Jins. Mit der anderen hielt er mir die Haare zurück. Irgendwann war das Elend vorbei und hustend versuchte ich mich aufzurichten. Ich öffnete meine Augen und verschommen sah ich Jin vor mir mit seinem Handy am Ohr mit irgendwem telefonierte.

Dann wurde es wieder schwarz und ich begann zu fallen.

Erneut. Tiefer und tiefer. Und es war kein Ende zu erwarten.

HorizontWo Geschichten leben. Entdecke jetzt