/Kapitel 1\

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Angespannt klammerte ich mich an meinem Lenkrad fest, zittrig atmete ich tief ein und sah ein letztes Mal in den Spiegel, um mich zu vergewissern, wie ich aussah.

Meine Haare waren vor meinem Neustart ständig fettig und filzig oder total zerzaust gewesen, aber da war es mir egal. Nicht mal einen Blick wagte ich auf das, was mich zu dieser Zeit ausmachte. Figurtechnisch gesehen war ich auch nicht gerade die Schönste. 

Ich hatte einfach nicht wie jedes andere "normale" Mädchen auf solche Unwichtigkeiten geachtet, einfach deshalb, weil sie mir nicht wichtig genug erschienen. Unwichtigkeiten, die mich und mein neues Selbstbewusstsein im Hier und Jetzt auszeichneten. 

Wegen meinem früheren Ich wurde ich damals zu einem typischen Mobbingopfer. Vor allem auch deswegen, weil ich zu dieser Zeit sowieso kein Mensch war, der besonders viel Selbstvertrauen von Natur aus besaß. Da war es dann wesentlich leichter, mich mit meiner ständigen Unsicherheit fertig zu machen.

Es gab keinen einzigen Tag, an dem ich nicht gern Zuhause geblieben wäre. Der entscheidende Grund dafür war ein bestimmter Typ, der es immer maßlos übertrieben hatte. Jegliche Freunde sind mir abhanden gekommen, als das alles anfing. Und ich kann nicht mal genau sagen, wann. 

Alle außer meine beste Freundin Amalia. 

In unserer Ständeordnung stand sie zwar nicht (so wie ich) in der unteren Schicht, aber sie war trotzdem die Person gewesen, die (egal wann) zu mir gehalten hatte. Komischerweise wurde sie nicht runtergezogen, obwohl sie so viel Zeit bei mir verbrachte. 

Ich hatte das Gefühl, sie hätten es tatsächlich nur auf mich abgesehen. Und dieses Gefühl war das schrecklichste, das ich bis jetzt erleben durfte. 

Shane. 

Der Name, der wieder und wieder in meinem Hinterkopf umherstolzierte. Er war der Junge, der mich gebrochen hatte. Der, der mich zu einem sensiblen und leichten Opfer gemacht hatte. Und der, der dafür sorgte, dass ich Angst davor hatte in die Schule zu gehen. Unglücklicherweise war er aber nicht der Einzige. 

Wahrscheinlich war es um nicht selbst tief zu fallen, aber es wurden auch immer mehr meiner Mitschüler, die einfach mitmachten. Die Anzahl meiner Fehltage stieg und die unbeantworteten Anrufe auf unserem Haustelefon wurden auch nicht weniger. 

Irgendwann war es soweit, dass ich wieder gegangen bin. 

Jedoch nicht ohne die Befürchtung, niemanden dort zu haben. Mein schlechtes Gewissen plagte mich und ich fand heraus, dass die Idee nicht zu gehen mein Leben um Einiges schöner gemacht hätte. 

Es veränderte sich nichts. Wie denn auch? 

Danach gab es viel mehr Stoff, mit dem man mich aufziehen konnte. Es kam so weit, dass ich versuchte es nur noch über mich ergehen zu lassen. Ich versuchte es zu ignorieren, aber wie kann man das? 

Garnicht. 

Mir wird sogar jetzt noch schlecht wenn ich an all diese Tage zurückdenke. Mein Leben war die Hölle auf Erden und niemand hatte etwas unternommen. Nicht im Geringsten. Ich hoffte, es würde aufhören und wirklich niemand, der es nicht selbst durchlebt hat, weiß, wie schlecht es mir dabei ging. 

Irgendwann später hatte ich mit meinen Eltern über alles gesprochen und mir kam eine extrem gute Idee. Ich wollte weg. Anfangs gab es zwar Schwierigkeiten, aber nach einiger Zeit war es beschlossen: Ich wechselte die Schule. Zunächst wollten meine Eltern, dass ich definitiv in der Nähe blieb, aber ich wollte und musste das Ganze hinter mir lassen. Meine Entscheidung bestand darin viel weiter weg zu sein. 

Nach gewissen Vorbereitungen, wie Wohnort und Anmeldung für die Schule, war ich bereit. Ich zog also von Carpinteria (Kalifornien) nach New Orleans (Louisiana). Ich fand, das war weit genug. Länger hätte ich das nicht mitgemacht. Die Freude stand mir förmlich im Gesicht geschrieben, als es hieß: Bye bye. 

So begann mein neues Leben in einer neuen Stadt mit neuen Leuten. Ich hatte mir fest vorgenommen, das zu tun, was ich wollte. Ich wollte nicht weiterhin Angst haben müssen, Angst davor, dass mir dasselbe auch hier passieren könnte. Sport und gesunde Ernährung waren das A und O für mich gewesen. Ich habe es knallhart durchgezogen, um mich endlich wieder wohlfühlen zu können. 

Natürlich ging es nicht von jetzt auf gleich, es hat gedauert, aber nach und nach fand ich mich auch selbst schön. Dazu habe ich außerdem meine Haare gepflegt; insgesamt hab ich mich eigentlich nur wieder aufgebaut. Wäre ich nur ein bisschen poetisch hätte ich vielleicht sowas wie "die Scherben meines Lebens zusammenkleben" gesagt, aber ich bin keineswegs gut darin.

Ich konnte wieder positiv denken und habe mich gefragt, was für einen Mist ich eigentlich geredet hatte. Wahrscheinlich war ich einfach zu pessimistisch und konnte mich nicht durchsetzen. 

Genau das hätte ich getan: Ich hätte mich wehren sollen, wenn da nur nicht so viel 'hätte' wäre. Ich beschloss, nicht mehr auf das "Was-wäre-wenn" zu achten, sondern ein normales Leben zu führen. 

Und das hab ich.

 Ein Jahr lang war ich in New Orleans. Ich hatte sogar einen Freund gefunden, der echt toll war. Ich war glücklich, doch mein Problem war, dass er älter war. So ging er aufs College, während ich immer noch in der Highschool festsaß. 

Das war auch der Moment, in dem ich spontan entschied, noch ein Mal meinen Alltag umzukrempeln, ich wollte es ihnen beweisen, ihnen allen. Auch wenn ich nur wenige Monate mit meinem Freund zusammen war, beschlossen wir, uns zu trennen. 

Ich weiß, das ist alles zu aprupt und schnell gewesen, aber ich vermisste mein Zuhause. Glaubt ja nicht, die Trennung wäre einfach gewesen, denn das war sie nicht. Ich machte mich auf den Weg zurück zu meinen Eltern, aber nicht von einem auf den nächsten Moment. Bisher hatte ich alles vorher gut durchdacht und geplant. 

Also landete ich wieder in Carpinteria. 

Und genau jetzt stieg ich aus meinem Auto aus und stand direkt vor meiner ehemaligen Highschool, die ich so sehr verachtet hatte. 

Never mind itWo Geschichten leben. Entdecke jetzt