/Kapitel 2\

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Jetzt stand ich vor dem Gebäude, das mir jahrelange Qualen bereitet hatte. Schule, wenn ich das Wort schon höre. Langsam und mit Bedacht setzte ich einen vor den anderen Fuß und kam mir etwas blöd vor. 

War es die richtige Entscheidung? Selbst wenn nicht, jetzt war es zu spät.

Auf dem Grundstück der wunderschönen Highschool lauerten schon diverse Leute und innerlich, also ganz tief in meinem Inneren, bereitete ich mich auf das Schlimmste vor. 

Aber es geschah nichts, jedenfalls nicht das, was ich erwartet hatte. Das Einzige was auf mich traf, waren freundliche und einladene Blicke. Ich meinte sogar die herausfordernden Blicke der Jungs zu sehen.

Ich atmete abermals tief durch.

Das wird schon. Es muss ja irgendwie gehen, oder? 

Ein paar Leute zogen ihre Augenbrauen hoch, wahrscheinlich musste ich auf die wie so eine Gestörte wirken, die gerade durch ihr schnelles Luftholen vor einer gewaltigen Panikattacke stand.

Vielleicht sollte ich auch gar nicht so verzweifelt sein, vielleicht sollte ich mich auch einfach mal von der Stelle bewegen.

Genau.

Mit einer etwas geraderen Haltung, die mich hoffentlich etwas selbstbewusster aussehen ließ, schulterte ich meine Tasche und setzte im gleichbleibenden Takt wieder einen Fuß vor den anderen, sodass ich bald in der Eingangshalle der Schule ankam. Und irgendwie hatte sich hier nichts verändert.

Genau vor mir gab es diese komischen Treppen, die von zwei Seiten nach oben führten und in der ersten Etage diese Empore haben, von der man nochmal nach unten zum Eingang schauen konnte.

Links und rechts von mir gab es die typischen Highschoolgänge, ausgestattet mit etlichen Schließfächern, und die zu den Klassenräumen im Erdgeschoss führten.

Tja und da, wo die Wand größtenteils frei war, gab es überall Plakate, wohin man auch schauen konnte. Auf vielen stand die Ankündigung irgendeines Herbstball's nächste Woche Freitag, dann noch Teilnehmerlisten für verschiedene Sportkurse, Schnappschüsse aus dem letzten Jahrbuch und, und, und. 

Ach und dann war noch zwischen dem ganzen Zeug das schwarze Brett, was für mich eigentlich im Moment am interessantesten sein sollte, denn darauf stand, wo ich als nächstes hin musste.

Also wartete ich geduldig, bis die Sicht auf den Vertretungsplan frei war. 

Aha.

Ich sollte in den Raum 434, was sich ziemlich weit entfernt anhört, und mit einer gewissen Mrs Shephard die Einweisung für dieses Schuljahr erhalten. Ist ja alles schön und gut, nur wo war dieser Raum? Im vierten Stock? 

Mit dem Strom der Schüler ließ ich mich ein paar Stockwerke höher treiben, nur um Herauszufinden, dass die allgemeine Nummer '400' hier nicht vorzufinden ist.

Nach diversem Stöbern der Feuerpläne, die die Raumnummern zeigten, gelang es mir dann endlich nach zehn Minuten, diesen Raum zu finden, der in einem ganz anderen Anbau war. War es der zweite oder dritte?

Man müsste meinen, dass ich das alles eigentlich kennen sollte, aber ein Jahr war dann doch schon eine ziemlich lange Zeit und dieses Schulhaus war schon immer verwirrend.

Als ich in den Raum 434 eintrat, konnte ich mit Erleichterung feststellen, dass dieser spezielle Typ, den ich jetzt nicht so unbedingt sehen wollte, sich zum Glück hier nicht aufhielt. Generell saßen hier nur unbekannte Gesichter auf den Stühlen, redeten oder waren mit ihrem Handy beschäftigt, sodass es nicht weiter auffiel, dass ich mich in die hintere Reihe auf einen der Plätze sinken ließ.

Wo war nur Amalia?

Hatte sie nicht gesagt, dass sie auch in meine Klasse ging? War sie etwa krank? Das wäre echt blöd, zumal ich in den Pausen nicht wirklich irgendwo alleine sitzen wollte und ich mich auch schon auf das Wiedersehen echt gefreut hatte -

"Hey, Süße. Wie heißt du?"

Ich richtete ruckartig meinen Kopf zu der Stimme und schaute in helle babyblaue Augen, die mich freundlich musterten. Er fuhr sich kurz durch seine pechschwarzen Haare, bevor er sich mit seinem Stuhl weiter nachhinten kippte, um sich mehr an meinem Tisch abstützen zu können.

Meine Güte, sahen die Jungs vor einem Jahr auch schon alle so gut aus wie er? Breit gebaut, muskulös und ziemlich heiß?

Wahrscheinlich ja, aber ich hatte es nicht bemerken können, weil ich davor nur mit gesenktem Kopf umhergehuscht bin, darauf bedacht, dass mich nicht jeder sah.

"Willst du mir deinen Namen etwa nicht verraten?", hakte er darauf nochmal belustigt nach.

Ich lächelte ihn vorsichtig an. "Mhm, also das ist jetzt kein Problem. Eher, ob du danach immer noch etwas mit mir zutun haben willst."

Er hob belustigt die dunklen Augenbrauen an. "Warum sollte das denn so sein?"

"Na, weil-"

Weiter kam ich nicht, da eine kleine schmale Person mit Aktentasche unter dem Arm geklemmt zusammen mit dem bekannten Klingeln in den Raum gestolpert kam und der nette Typ vor mir, sich grinsend wieder nach vorne umdrehte.

Die Lehrerin warf ein nervöses Lächeln in die Runde. "Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich hoffe Sie haben ihre Ferien gut zugebracht, denn-"

"Hey, haben wir etwa Neuzugang?", unterbrach sie jemand im überraschten Ton. Daraufhin schauten alle prompt zu mir nachhinten, auch der Braunhaarige mit dem Snapcap, der das gerade unbedingt so laut verkünden musste.

Hilfe, was sollte ich tun? Aufstehen und jedem die Hand schütteln bestimmt nicht...

Ich hob trotzdem meine Hand leicht an und wackelte mit den Fingern etwas zur Begrüßung, woraufhin mich alle erstmal amüsiert angrinsten, was nichtmal unfreundlich aussah sondern...hm...irgendwie herzlich.

"Achso, ja, genau, das ist-"

Irgendwie war es Mrs Shephard wohl nicht gegönnt, Sätze zu beenden, denn im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen - und Amalia stand mit dem Rücken zur Klasse, die braunen Locken flogen nochmal umher, als sie sich Richtung Flur umdrehte. "Tschüssi, Schatz, wir sehen uns dann nacher, ja?," schrie sie in den Flur.

"Natürlich, Baby," antwortete ihr eine tiefe Stimme zurück, die mir irgendwie sehr bekannt vorkam.

Amalia winkte nochmal wild in den Flur, bevor sie sich umdrehte, die Tür zumachte und Mrs Shephard angrinste. "Habe ich irgendetwas verpasst? Und es tut mir echt leid, dass ich zu spät gekommen bin, wirklich."

Die Lehrerin winkte nur ab. "Es ist ja nur der erste Schultag-"

"Hayden!!! Du bist ja wirklich gekommen!", quietschte meine beste Freundin aufeinmal wie verrückt los, als sie mich in der Schülermenge entdeckte. "Ich hatte deine Idee wirklich für einen Scherz gehalten."

Unter vielen verwirrten Blick raste sie zwischen den Tischen entlang, um mich fest in die Arme zu nehmen.

Jetzt weiß ich, was ich das ganze letzte Jahr irgendwie vermisst hatte.

Never mind itWo Geschichten leben. Entdecke jetzt