Kapitel I

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Es war mal wieder einer dieser Tage, an dem ich mir dachte, schlimmer könnte es nicht werden... aber ich lag falsch.

Schon bevor ich durch die Tür nach Hause kam, hörte ich lautstark den Streitlärm. Mom war vermutlich mal wieder betrunken und deshalb total aggressiv. In den sechs Jahren, in denen sie keine Arbeit mehr hatte, weil die Gesellschaft nur noch Männer als Arbeiter akzeptiert, da diese ja "robuster" sind, ist sie ständig am Alkohol trinken. Mir ist das inzwischen egal, denn ich hab meine eigenen Probleme, aber wenn sie auf meinen kleinen Bruder losgeht, dann wurde sie von mir zurechtgewiesen; auch wenn ich dabei etwas gröber vorgehen musste. Klar kommt jetzt bestimmt jemand auf die Idee zu sagen, dass man seine Mutter nicht schlägt, aber im Jahr 2328 war das kein Thema. Männer wurden in der Gesellschaft mehr bevorzugt als Frauen, weshalb meine Mutter auch froh war, dass sie zwei Jungen zur Welt brachte. Viel davon merkte man allerdings nichts mehr.
Also ging ich nach dem anstrengendsten Schultag der Woche in unsere kleine, aber gemütliche Wohnung am Rand des Stadtkerns. Doch nur, um fast eine Schüssel an den Kopf zu bekommen. Aus welchem Grund auch immer...

Ich ging in die Küche, wo ich sah, dass meine wütende Mom meinen Bruder an die Schranktür hing und lallte: "Jetzt weißt du was es heißt, hängengelassen zu werden!". In mir stieg eine Wut auf, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Ich rannte auf Mom zu, die mich nach dem Schüsselabwurf vergessen hatte und stieß sie mit voller Kraft gegen die Schrankwand, worauf sie vor Schmerz aufschrie. "Bist du verrückt geworden?! Erst zu spät nach Hause kommen und dann so was!". Ich blickte nur auf das Display, das in meiner Brille eingelassen war, 16:33 Uhr zeigte und entgegnete gelassen, aber bestimmt: "Ich bin pünktlich hier gewesen, aber was ist mit dir?! Was soll das mit Tommy?"

"Tja dein vorlauter Bruder meinte mal wieder, er könne alles tun und lassen was er will." Aha. So war das also.. ich blickte an ihr vorbei auf meinen heulenden Bruder.
Er war für seine neun Jahre groß, aber das war bei jedem Jungen so, denn wir wurden direkt nach der Geburt gentechnisch verändert. Dabei gab es neben der "Grundausstattung", welche aus Größe, Stärke und Klugheit bestand, noch für jeden eine zufällige Spezialfähigkeit. Seine war es, im Dunkeln zu sehen (in meinen Augen eher unnötig), welche sehr häufig vorkam und damit eine der schlechteren Fähigkeiten war. Meine hingegen war eine, die es vorher noch nicht gab. Denn ich hatte eine sehr seltene und anscheinend starke Fähigkeit bekommen. Ich konnte Gegenstände bis zu einem bestimmten Grad verändern, sei es die Form, die Farbe oder sonst was. Viele Leute meinten, diese Fähigkeit ist mit Abstand die Mächtigste auf der Erde, aber ehrlich gesagt war ich nicht glücklich damit, weil das Verändern von Dingen Kraft kostete und auch nicht einfach war. Mal ganz abgesehen davon, dass ich bei den meisten Sachen eh nicht viel verändern konnte.

In der Schule war ich deshalb, zu meinem Leidwesen, sehr bekannt, denn es war nicht jeder begeistert von meiner Fähigkeit. Ein paar Jungs waren sehr neidisch, weil sie "nur" eine der schlechteren oder mittelstarken Fähigkeiten bekommen hatten.
Aber zurück zu meiner Mom. Die hatte sich inzwischen wieder Tommy zugewandt, um ihm zu sagen, dass er aufhören sollte zu weinen. Das war eine der Sachen, die ich an ihm hasste. Bei jeder Kleinigkeit fing er an zu heulen und das nicht gerade wenig. Deshalb hatte er auch zu Recht nur eine der unteren Fähigkeiten.
Ich schob also meine Mom beiseite und hob Tommy vom Schrank. " Hör auf zu heulen. Das ist ja unerträglich!" redete ich auf ihn ein. "Wenn du später mal jemand Wichtiges werden möchtest, dann solltest du anfangen, etwas mehr tough zu sein."

"Ich bin tough! Mom wollte nur mal wieder ihren Frust an mir auslassen." antwortete Tommy schluchzend. "Nun hör mal junger Mann! Du weißt ganz genau, das ich oftmals ein wenig aufgebracht bin über die aktuelle Situation im Land. Wenn dann mir jemand dumm kommt und dieser Jemand auch noch viel jünger ist als ich, dann braucht er sich nicht zu wundern." entgegnete meine Mutter immer noch leicht lallend. Ich hatte keine Lust mich mit den Beiden zu streiten und ging deshalb in mein Zimmer. Dort warf ich die Schultasche in eine Ecke und warf den Computer an. Vier neue Nachrichten, zeigte ein Fenster auf dem Bildschirm an, davon 2 von meinem besten Freund Nico. Er fragte, ob ich Lust hätte, eine Runde Rise of a star zu spielen. Ich antwortete mit einem knappen "Klar doch" und startete das Spiel. Dann nahm ich meine Brille ab und legte mich in das Ding, das so aussah wie eine große metallische Kiste und setzte das Headset auf. Sofort fragte mich eine Stimme nach Benutzernamen und Passwort.
Ich sagte: "Laioner... sk54gp61.." und um mich herum verwandelten sich die Wände in ein Schloss.

Nach fast fünf Stunden des Spielens verabschiedete ich mich von meinen Freunden und loggte mich aus. Es war mittlerweile nach 22 Uhr weshalb ich leise in die Küche ging, um mir noch was zu essen zu holen. Ich musste auch noch mir den Schulstoff für morgen anschauen! Das hatte ich vor lauter Spielspaß fast vergessen. Zum Glück erinnerte mich eine Einblendung auf meiner Brille daran. Völkergeschichte und Mathe standen an. Nicht gerade meine Lieblingsfächer, aber da musste ich nun mal durch. Während ich also vor mich hin lernte, übte ich ein wenig, meine Fähigkeit besser zu kontrollieren, denn Dinge zu verändern verlangt viel Konzentration. Doch bereits nach einer halben Stunde hörte ich auf und legte mich schlafen.

Der nächste Tag ging genauso weiter, wie der letzte aufgehört hatte; ich war müde, genervt von meiner Mutter und meinem Bruder und konnte immer noch nicht so richtig Mathe.
In der Schule warteten Paul und Nico auf mich am Tor. Die Schule auf die wir alle gingen war eine reine Jungenschule und auch eine der besten der Stadt. Hier wurden wir neben dem normalen Unterricht auch in anderen Dingen, welche auch mit den Fähigkeiten zu tun hatten, unterrichtet. "Hey Sam, hast du schon gehört? Demnächst finden die Schulwettkämpfe in New York statt." sagte Paul begeistert. "Echt?! Die waren doch gefühlt vor zwei Monaten..." antwortete ich. Bei den Schulwettkämpfen konnten Schulen und Schüler zeigen, was sie drauf hatten. Unsere Schule gewann eh meistens, weshalb ich mich nicht all zu sehr dafür begeisterte. Ich dachte viel mehr an die bevorstehenden Wahlen im Parteitag, denn mein "Vater" oder besser gesagt, der Typ der mich mit meiner Mutter gezeugt hatte und dann verschwand, stand in der engeren Auswahl zum neuen Vorsitzenden. In diese Auswahl kam man nur, wenn man in der Schule sehr gut war, und auch mindestens eine der mittelstarken Fähigkeiten hatte. Mein Ziel war es auch, diesen Weg zu gehen, weil ich die Benachteiligung gegenüber den Frauen nicht mochte. Außerdem hasste ich es wie die Pest, dass es Leute gab, die aufgrund der Fähigkeiten Stress anfingen. Doch erstmal musste ich die bevorstehende Mathestunde schaffen.

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