Theater

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Als der Zug in das Bahngleis einfährt übermannt mich die kurzzeitige Erkenntnis, dass fallen immer noch besser sein muss als einfach nur am Rand zu stehen.

Der Orkan, der sich eine Handbreit unter meinem Herzen befindet, setzt für eine kurze Zeit aus und schafft Platz für ein schwarzes, gähnendes Loch.

Die Welt der Menschen ist eine grausame. Ich frage mich ob ich je im Stande dazu sein werde ihre Kälte zu verstehen. Als Sandkorn geboren hätten sie die Möglichkeit etwas Großem anzugehören. Aneinander geschmiegt und in stillem Einklang würden sie die Wellen tragen und Zeuge des großen Wunders werden.

Doch sie entschlossen sich dagegen.

Das einzig Reine an ihnen scheinen ihre Nachkommen zu sein. Kinderseelen sind von einer zarten Zerbrechlichkeit wie sie die Erwachsenen nie wieder besitzen werden.

Doch zerbrechen können sie. Eine ganze Gattung die sich dazu entschlossen hat, sich selbst systematisch zu vernichten. Angefangen bei den Jüngsten.


Das Loch in mir klafft, und ist von so enormer Präsenz, dass der Rest unwichtig wird. 

Es tut gut seine Leere zu fühlen. Wie gerne würde ich jetzt eine schöne Seele treffen.

Ich würde sie in die Arme nehmen und das Loch mit ihrer Liebe füllen.

Ich bin enttäuscht von mir selbst aufgrund dieser Gedanken und erkenne, dass auch ich Raubtier bin und mich kaum unterscheide von den anderen.

Ich kann mich selbst von Sekunde zu Sekunde weniger leiden und kann mich deshalb von Sekunde zu Sekunde weniger leiden.

In meinem Kopf brummt in monotonem Rhythmus " Es gibt kein richtiges Leben im falschen".


Die künstliche Kulisse aus Plastik und Werbeplakaten um mich herum stößt mich ab wie ein Magnet den anderen.

Eine beruhigende Stimme in meinem Kopf versucht mir einzureden, dass dies nicht mein Planet, ja wahrscheinlich nicht einmal mein Universum sei. Ich glaube ihr.

Nicht einmal das Leben um mich herum scheint echt zu sein. 

Die ranzigen Fassaden aus Make-Up, modischen Klamotten und anderen Nichtigkeiten bröckeln schon lange. Sie scheinen es selbst nicht zu bemerken.

Der Orkan und das Loch kennen sich schon lange. Sie sind geübt in ihrem Handwerk. Das Eine kann nicht ohne das Andere. Ich bin dennoch froh, dass das Toben in mir, zumindest für den Moment gänzlich aufgehört hat. 

Nichts ist anstrengender als dieses zerstörerische Gefühl der Wut. In Trauer kann ich versinken. Trauer kann ich mögen, vielleicht sogar lieben. Sie lullt mich ein und legt sich wie ein Schleier auf all meine Sinne.

Das macht es leichter, da ich dadurch den ganzen künstlichen Bullshit um mich herum nicht mehr ertragen muss. Nur mich selbst kann sie nicht ausblenden.


Das Gefühl der Machtlosigkeit zersetzt mich Stück für Stück. Ich weiß nicht wann es angefangen hat aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass es jemals anders war.

Es ist nicht so als würde ich mich separieren von dieser kaputten Spezies.

Ich glaube, dass Orkan und Loch genau in dieser Tatsache ihren Ursprung finden.

Ich weiß, dass ich nicht erhaben bin. Dass auch ich Mensch bin. Dass auch ich eine Geißel dieses Scheiß Systems bin und weder mich noch Irgendwen anders davor retten kann.

Dass ich leben und dass ich sterben werde. Als Sandkorn.

Der Orkan in meiner Brust meldet sich wieder, ist längst mein treuer Begleiter geworden. Viel zu vertraut sein Toben.

Die Welt antwortet mir. Donner grollt in der Ferne und die Wolken über mir ziehen sich zu einem schwarzen Klumpen zusammen.


Es gibt nun mal kein richtiges Leben im falschen.

TheaterWhere stories live. Discover now