Zwischen den Gefühlen

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Nachdem wir uns dann wieder gefangen und beruhigt hatten, gingen wir mit einer etwas besseren Laune zur nächsten Unterrichtsstunde.

Als der Tag für mich um halb fünf dann endlich vorbei war, beschloss ich noch mal ins Krankenhaus zu fahren.
Karin hatte schon vor mir aus und dementsprechend konnte ich sie auch nicht Fragen, ob sie mich nicht begleiten wollte. Aber ich wollte sie auch nicht anrufen. Das würde nur unglaublich anhänglich wirken und so wollte ich mich wirklich nicht vor ihr zeigen.
Ich war doch immer ein eigenständiger Mensch, der gut alleine zurecht gekommen ist und unabhängig von anderen lebt und Entscheidungen trifft. Wenn ich allerdings ehrlich zu mir selbst war, war ich schon lange nicht mehr dieser eigenständige Mensch, genau genommen seit ich sie das erste mal gesehen habe.
Außerdem hatte ich zwar das Gefühl, dass wir uns in den letzten Tagen schon auf eine gewisse Weise näher gekommen sind, aber offiziell war sie ja immer noch mit Michael zusammen.
Ach, wahrscheinlich hatte das in den letzten Tagen auch alles nichts zu bedeuten, zum mindestens für sie nicht. Wir hatten einfach viel gemeinsam zu tun und wenn Michael da wäre, würde sie auch nicht mehr mit mir machen, als wir das sonst als gute Freunde taten.

Ich schüttelte die Gedanken beiseite und konzentrierte mich wieder auf das eigentlich wichtige. In mir stieg eine Angst auf, Angst vor dem Ergebnis, was gleich im Krankenhaus auf mich zukommen würde, hoffentlich! Oder doch nicht hoffentlich? Vielleicht doch eher hoffentlich nicht? Ich wusste es nicht.
Mittlerweile war ich im Krankenhaus angekommen, doch überlegte nach den Gedanken an das Ergebnis, was gleich auf mich warten könnte, gleich wieder umzudrehen und die Treppenstufen, die ich schon erklommen hatte, einfach wieder runter zu laufen.
'Aber Nein! Das ist doch keine Lösung! Weglaufen ist keine Lösung! Du bist ein erwachsener Mann, du solltest der Wahrheit ins Auge sehen können, auch wenn das möglicherweise weh tut - du brauchst keinen zum Händchenhalten! Wo kommen wir denn da hin?'
So nahm ich weiter Treppenstufe um Treppenstufe, bis ich endlich die richtige Etage erreichte. Ich hatte mich entschieden zu laufen und nicht im Fahrstuhl zu fahren, man sagt doch immer das gibt einen freien Kopf... Doch den hatte ich immer noch nicht.

Umso erleichterter war ich, als ich Felix Eltern auf dem Flur entdeckte.
Doch - sie weinten! Jetzt wo ich näher kam, könnte ich es um so deutlicher erkennen.

'Scheiße! Das wird jetzt ja wohl gerade nicht ernsthaft das sein, was ich denke - oder?'

Ich ging nun schneller, aber mit einem noch stärkerem unguten Gefühl auf die Eltern von Felix zu. Im Augenwinkel sah ich, dass das Zimmer, in dem heute morgen noch Felix gelegen hatte, nicht leer war. Aber ich war so fixiert auf die Eltern, dass ich diese kleine Entdeckung überhaupt gar nicht realisierte.

Felix Vater bemerkte mich zuerst und kam ein Stück auf mich zu. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, aber wenn ich es mir so überlegte - traurig war dieser eher nicht.
“Herr Vollmer, schön dass sie da sind! Wir hätten sie auch gleich angerufen, aber stellen sie sich vor Felix lebt!“
In diesem Moment fielen mir - wahrscheinlich laut hörbar - ganze Felsbrocken vom Herzen. Allerdings hatte ich wohl geguckt wie ein Auto, denn Felix Vater setzte noch zu einer Erklärung an.
“Er kam vor 5 Minuten aus dem OP und die Ärzte sagen, er hätte alles den Umständen entsprechend gut überstanden. Er wäre wohl noch zu schwach um ihn aus dem künstlichen Koma zu erwecken, aber das dürfte wohl auch nicht mehr lange dauern. Die Ärzte meinen sogar, dass es sein kann, dass Felix überhaupt keine Schäden zurück behält, aber das könnte man wohl erst sicher sagen, wenn er wach ist!“
Das wäre etwas womit ich gerade in diesem Moment überhaupt nicht gerechnet hätte. Ich hatte mühe meine Fassung zu wahren und meine Tränen zurückzuhalten.
Ich freute mich so unglaublich für Felix Eltern und natürlich auch für Felix.
Nachdem wir uns noch kurz unterhalten hatten, verabschiedete ich mich von ihnen und wünschte noch alles Gute und auch gute Besserung für Felix. Sie wollten sicher allein sein und auch ich musste das erst mal für mich selber verdauen.
'Könnte es wirklich sein, dass sich die Situation so stark gewendet und Felix so unwahrscheinliches Glück gehabt hatte?'

Du lässt mich einfach nicht mehr los... Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt