Kapitel 1

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Flensburg, Deutschland, im Jahr 2006

Ella rannte so schnell sie konnte im strömenden Regen durch die Straßen. Zum Glück war dies ein besonders heißer Sommertag, denn sie war bereits von oben bis unten durchnässt. Ihre schulterlangen blonden Haare klebten ihr im Gesicht und in ihren Sneakern stand schon das Wasser. Endlich erreichte sie die Allee in einem Randbezirk von Flensburg, wo sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder lebte. Sie hüpfte die Treppen zur Eingangstür herauf und schloss auf. Im Treppenhaus wrang sie erst einmal ihr nassen Haare und Klamotten aus und schüttete das Wasser aus ihren Schuhen, bevor sie hoch bis ins Dachgeschoss zu ihrer Wohung stieg. Sie liebte die gemütliche Altbauwohnung mit Dielenboden und den großen Fenstern. Seit der Trennung ihrer Eltern als sie sieben Jahre alt war lebten sie hier. Sie besuchte ihren Vater zwar regelmäßig in Hamburg aber das eigentliche Familienleben spielte sich für sie hier ab. Ihre Mutter saß gerade in der Küche und las etwas, als Ella schnell an ihr vorbei huschte. Erstmal brauchte sie jetzt eine Dusche. Sie hatte einen langen Sommer vor sich, den sie voll und ganz genießen würde. Seit 2 Wochen war sie nun komplett fertig mit der Schule und erst im Oktober würde ihr Studium beginnen. Psychlologie, das hatte sie schon immer interessant gefunden. Dann würde ein vollkommen neuer Lebenabschnitt beginnen, auf den sie sich aber bereits sehr freute. Als sie fertig geduscht hatte, schlüpfte sie in eine Jogginghose und ging zu ihrer Mutter in die Küche. Diese war immer noch vertieft in ein Blatt Papier, welches wie ein Brief aussah. "Du warst aber ganz schön schnell wieder da.", sagte sie und sah auf, als sich ihre Tochter ihr gegenüber setzte. "Ich bin ja auch den kompletten Rückweg gerannt, es hat wie verrückt angefangen zu schütten.", entgegnete Ella. "Aber das Paket habe ich abgeschickt, unversehrt und trocken." Nebenbei betrieb ihre Mutter einen kleinen Onlineshop, in dem sie selbstgenähte Babykleidung verkaufte und der sogar richtig gut lief. Sie hatte auch wirklich ein Talent dafür und Ella half ihr oft dabei Stoffe und Muster auszzusuchen oder Schriftzüge zu entwerfen, die sie dann später auf die Strampler sticken konnte. Dieses mal hatte jemand einen langen geblümten Strampler bestellt, auf den der Name des Babys gestickt werden sollte und Ella sollte das fertige Paket zur Post bringen. "Das hast du gut gemacht.", sagte ihre Mutter und lächelte aber irgendwie wirkte sie abwesend. "Ist was passiert?", fragte Ella. "Nein aber... vorhin waren 2 Briefe von Tante Moira im Briefkasten. Einen für mich und einen für dich." Ella runzelte die Stirn. Seit über einem Jahr hatten sie nichts mehr von Tante Moira gehört, der Schwester ihrer Mutter die in England lebte. Eigentlich hatten sie immer guten Kontakt zu einander gehabt, bis Moira aus heiterem Himmel erzählte, sie habe ein Haus in Schottland gekauft und würde nun dorthin ziehen. Seit dem hatte sie weder Telefon noch Internet und hat auch sonst nichts mehr von sich hören oder sehen gelassen. Nicht mal ihre neue Adresse kannten sie - bis jetzt. Ihre Mutter war gebürtige Engländerin, bis sie ihren Vater kennen lernte und mit ihm in seine Heimat Deutschland zog. Das war vor 21 Jahren. Ein wenig hörte man ihr den britischen Akzent auch immer noch an. Sie war damals ziemlich bestürzt gewesen als Moira so plötzlich untergetaucht war. "Was schreibt sie denn?", fragte Ella neugierig. "Sie schreibt mir, dass es ihr leid tut dass sie sich bisher nicht gemeldet hat und dass sie ein Angebot für dich hat. Sie will mich darüber in Kentniss setzen, damit ich nicht denke sie will hinter meinem Rücken Kontakt zu dir aufnehmen. Es geht um ihr Haus. Am besten liest du deinen Brief auch mal.", sagte ihre Mutter und schob ihr einen Umschlag hin. Kurz betrachtete Ella den Umschlag, dann riss sie ihn auf und las den Brief leise für sich:

"Liebe Ella, ich hoffe dir geht es gut. Wir haben ja länger nichts voneinander gehört. Trotzdem habe ich eine Bitte an dich und ich will dass deine Mutter auch davon weiß. Du hast ja mitbekommen dass ich mir ein Haus gekauft habe um es zu renovieren und daraus mein Eigenheim zu machen. Das ist mir auch bisher ganz gut gelungen, ich fühle mich richtig wohl hier. Von Anfang an habe ich daran gedacht, dass ihr mich unbedingt mal besuchen kommen müsst wenn ich fertig bin. Fertig bin ich noch nicht ganz, aber die Umstände die sich ergeben haben zwingen mich mein Haus für zwei Monate zu verlassen. Ich reise wieder nach Indien, mein Patenkind und die Organisation die ich dort unterstütze brauchen meine Hilfe. Es geht schon am 19. los, weshalb meine Bitte etwas eilt. Mir ist nicht wohl dabei mein Haus 2 Monate ganz allein zu lassen, darin sind so viele persönliche Erinnerungen und Dinge die mir wichtig sind. Deshab frage ich dich, ob du in dieser Zeit darauf aufpassen könntest. Du bekommst dafür auch ein wöchentliches Taschengeld von mir. Ich habe dich ausgewählt weil ich dir vertrauen kann und du nach meiner Information ja jetzt Ferien haben müsstest. Das habe ich mir extra gemerkt! Natürlich kann ich verstehen wenn du mittlerweile andere Pläne für den Sommer hast aber es würde mich wirklich sehr freuen. Meine Adresse findest du ja auf dem Umschlag, es wäre schön wenn du mir bald antwortest. Mein Flug geht wie erwähnt am 19., wenn du also Lust hast kannst du bis dahin gerne her kommen und ansonsten teile mir deine Absage einfach per Brief mit. Ich wünsche dir, Evelyn und Toby alles Gute! Deine Tante Moira."

Sleeping Things- Was unter der Erde liegtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt