Kapitel 3

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Die folgende Woche verlief ohne besondere Ereignisse. Riley und Ella lernten sich besser kennen und sprachen viel über die Vergangenheit und ihre Erinnerungen an Tante Moira. Am zweiten Tag fuhren sie los um einzukaufen, sodass sie jeden Tag frisch kochen konnten. Riley war in der Küche sehr begabt wie sich herausstellte. Hier gab es komplett andere Produkte zu kaufen als in Deutschland, aber das war auch eines der Dinge, auf die sie sich gefreut hatte. Schließlich geht man nicht auf Reisen um dort alles so zu haben wie Zuhause. Gelegentlich sprachen sie noch über das unterirdische Schloss, dass angeblich auf ihrem Grundstück versteckt liegen und verflucht sein sollte, aber besondere Beachtung schenkten sie der Geschichte nicht weiter. Am vierten Tag beschlossen sie, sich die Umgebung genauer anzusehen.  Ella packte ihre Kamera ein und sie fuhren aus dem Dorf heraus. Die Landschaft war viel zu schön, als dass man sie hätte auf einem Foto festhalten können. Selbst mit der besten Kamera der Welt könnte man nicht einfangen, wie überwältigend dieser Anblick war. Es gab Hügel und kleine Berge; zwar standen in dieser Gegend nicht besonders viele Bäume aber dafür sahen sie weitläufige Wiesen mit Blumen und vereinzelt kleinen Schafherden. Zwischendrin lagen schmale Bäche, derren Wasser trotz des einigermaßen warmen Wetters sehr kalt war. "Hier könnte ich länger bleiben.", sagte Ella verträumt. "Pass auf, sonst endest du genau so wie Tante Moira und wanderst aus.", scherzte Riley. Inzwischen sprachen sie hauptsächlich auf englisch miteinander, da dies für Riley einfacher war. Am Montag Mittag der zweiten Woche ihres Aufenthaltes schlenderten sie ein wenig durch den Ort und sprachen über ihr Leben in Deutschland beziehungsweise England. Nach einigen Metern bemerkte Ella, dass sie jemand von der anderen Straßenseite aus anstarrte. Ein ziemlich unheinlich aussehender älterer Mann, der mit seiner Mütze und seiner Pfeife aussah wie ein typischer Seemann, verfolgte sie argwöhnisch mit seinen Blicken. "Siehst du den Kerl da drüben? Irgendwie ist der unheimlich.", flüsterte Ella ihrer Cousine zu. Sie blieben stehen und taten so, als würden sie etwas in Rileys Rucksack suchen, damit diese einen Blick auf ihn werfen konnte. "Wieso guckt der uns so an?", fragte Ella immer noch flüsternd. "Scheiße der kommt auf uns zu.", zischte Riley ihr zu und hastig wandten sie sich ab. "Hey Mädels!", rief er ihnen zu, als sie gerade weiter gehen wollten. Augenblicklich blieben sie stehen und drehten sich langsam um. Der Mann kam auf sie zugewankt, offensichtlich hatte er einen Hüftschaden. "Ich hab' gesehen dass ihr zwei jetzt in dem alten Haus oben am Ortsrand lebt. Habt ihr's gekauft oder so?", fragte er sie mit starkem schottischen Akzent. Sie runzelten die Stirn. "Wieso wollen Sie das wissen?", fragte Riley skeptisch. "Oh reine Negier, nichts weiter. Nein nur so aus Interesse, ist 'n kleiner Ort hier, da fällt es eben auf wenn neue Leute da sind.", sagte der Mann überschwänglich und winkte ab. "Das Haus gehört weiterhin unserer Tante. Sie ist allerdings verreist deswegen passen wir in der nächsten Zeit darauf auf.", antwortete Ella. "Ah interessant.. Okay okay.", sagte der Mann und strich sich übers Kinn. "Kennen Sie unsere Tante?", fragte Riley. "Ich? Naja nur so vom Sehen her... Nicht so richtig. Wie man sich eben so kennt in 'nem kleinen Dorf. Sagt mal, wisst ihr von wem sie es gekauft hat?", fragte der Mann weiter nach. Die beiden Mädchen sahen sich an. "Nein keine Ahnung. Wissen Sie denn nicht, wer dort vorher gewohnt hat, wenn Sie hier aus dem Dorf stammen?", fragte Ella. Sie hielt es für besser, sich ihm gegenüber so ahnungslos wie möglich zu geben. Der Mann trat ein Stück näher an sie heran, sodass sie etwas zurück weichen mussten. "Das weiß niemand hier. Gibt mehrere die die alte Hütte gerne gekauft hätten, so viel steht fest. Es war unbewohnt, daher wohl auch der Zustand.", sagte er und strich sich wieder übers Kinn. "Oh Moira hat es wieder schön hergerichtet.", warf Ella ein und der Mann winkte erneut ab. "Ja sicherlich, ganz bestimmt... Hat sie euch sonst noch was erzählt?", fragte er. So langsam wurde der komische Kauz ihnen unheimlich; sie verstanden nicht, was dieses Verhör sollte. "Nein, wieso?", fragte Riley jetzt ernster. "Oh nur so, einfach so. Wollte halt mal nachfragen, nichts für ungut. Muss dann auch mal weiter, schönen Tag euch beiden noch." Damit hinkte er wieder davon und Ella und Riley sahen ihm noch einen Augenblick lang nach, bis er weit genug entfernt war, dass er sie nicht mehr hören konnte. "Was war das denn für einer?", fragte Ella, die nun doch etwas belustigt war. "Keine Ahnung, vielleicht ist er einfach ein Verrückter. Aber schon komisch, dass er so viel über das Haus von Moira wissen wollte oder?", erwiderte Riley. Ella nickte. "Vielleicht weiß er etwas. Immerhin stammt er aus diesem Dorf.", sagte sie. "Kann schon sein. Oder aber er war einfach selbst scharf auf das Haus und hätte es gern gekauft. Deshalb ärgert er sich jetzt, dass er nichts von dem Verkauf an Moira wusste.", sagte Riley. "Stimmt. Wenn er uns einfach so darüber ausfragt weil er von der Legende über das Schloss weiß, hätte er mit Sicherheit auch bereits Moira angequatscht.", überlegte Ella. "Und davon hätte uns Moira garantiert erzählt und uns gewarnt, damit wir ihm nichts sagen. Ich glaube der Alte spinnt einfach ein bisschen.", sagte Riley. Ella nickte und sie gingen weiter; der seltsame Mann war bereits außer Sichtweite. Sie konnte auch einfach vergessen haben, von ihm zu erzählen, immerhin war der Abend sehr kurz für so viele Informationen, dachte sie. Doch schnell verwarf sie diesen Gedanken wieder, sie wollte keine Angst vor irgendwelchen alten Männern haben, die es möglicherweise auf das Haus abgesehen haben könnten. Besonders viele Menschen waren nicht unterwegs, was wohl auch daran lag, dass an diesem Ort einfach nicht so viele Menschen lebten. Als sie wieder im Haus waren fing es draußen an zu regnen und sie beschlossen, sich etwas zu essen zu machen. Während der Gemüseauflauf im Ofen backte, fingen sie an, das Erdgeschoss zu säubern. "Wir dürfen gar nicht erst damit anfangen, die Hausarbeit schleifen zu lassen. Sonst ist Moira nachher schneller wieder da als uns lieb ist und ein Haufen Arbeit wartet auf uns.", sagte Riley. Zum Glück gab es eine Waschmaschine im Hauswirtschaftsraum. Einen Keller hatte das Haus ja nicht. Während Riley sich um ihre abgetragene Wäsche kümmerte, befasste Ella sich mit dem Abstauben aller Gegenstände im Wohnzimmer. Da Moira viel kleines Zeug herumstehen hatte, was ein wahrer Staubfänger war, war dies ziemlich aufwendig. Beim Abstauben einer alten Kommode fiel ihr auf, dass einer der Schubladen nicht richtig zu war. Sie drückte kräftig dagegen, doch die Schublade bewegte sich nicht. Diese alte Kommode hatte keine Schienen, sondern die Schubladen wurden einfach so hinein geschoben. Sie ruckelte daran und zog sie schließlich ein Stück heraus, um sie wieder gerade rein zu schieben, doch dann hielt sie inne. Der Inhalt der Schublade weckte auf irgendeine Weise ihr Interesse. Darin befand sich eine zerfledderte Mappe, auf der ein dicker goldener Türknauf lag. Sie griff nach dem kugelrunden Knauf, dessen hinterer Stab, mit dem man ihn normalerweise in seine Fassung steckte, seltsam verbogen schien. Wahrscheinlich konnte man ihn deshalb nicht mehr verwenden. Sie legte den Knauf zurück und zog die Mappe vorsichtig heraus. Das erste Blatt darin stellte sich als eine Eigentümerurkunde heraus. Sie bezog sich auf dieses Haus! Laut der Urkunde gehörte das Haus einem gewissen Sir Henry Cowen und stammte aus dem Jahr 1967. Das war der Mann, von dem Moira das Haus gekauft hatte. Ob er eigentlich irgendeine wichtige Persönlichkeit war? Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft ärgerte es sie richtig, dass sie keinen Kontakt zu Moira hatten. Zu gern würde sie sie einfach anrufen und ihr  all die Fragen stellen, die sich seit ihrer Abreise aufgetan hatten. Wie verwöhnt man doch von der modernen Technik war! Das nächste Blatt war ein merkwürdiges Dokument und Ella konnte nicht zuordnen, ob es vom Verkäufer des Hauses oder von irgendeiner Behörde stammte. Oben auf dem Blatt stand nur: "Auflagen an Moira Gambon für Grundstück B264, Silverstreet 12". Darunter befand sich eine Auflistung, von denen Moira ihnen auch bereits einige Punkte genannt hatte: "1. Erdarbeiten, die tiefer als einen Meter reichen, sind verboten; 2. Die historischen Fliesen in einigen Räumen dürfen nicht entfernt oder mit etwas überlagert werden, das ihnen Schaden zufügt; 3. An der Statik des Hauses darf nichts verändert werden; 4. Anbauten am Haus sind aufgrund des instabilen Untergrundes verboten." Bevor sie weiterlesen konnte, kam Riley ins Zimmer. "Was machst du da?", fragte sie verwundert. Ella fühlte sich irgendwie ertappt, eigentlich wollte sie ja nicht in Moiras Sachen herumschnüffeln. "Das hier habe ich gerade zufällig gefunden, als die Schublade klemmte.", sagte sie und zeigte Riley die Mappe, die sie sich neugierig ansah. „Moira hat ja erzählt, dass sie hier strenge Auflagen beachten muss. Das hier scheint eine Liste mit den Dingen zu sein, für die man hohe Strafen bekommen kann, wenn man sich nicht daran hält.", sagte sie. „Ich muss immer wieder an diesen komischen Mann denken, was der wohl von uns wollte? Er schien sich irgendwie besonders für dieses Haus zu interessieren.", sagte Ella. „Naja falls er es tatsächlich einfach nur selbst kaufen wollte, wirkte er dafür ziemlich neugierig.  Natürlich ist es ein echt schönes altes Haus aber du siehst ja wie viel Arbeit Moira hier rein stecken muss und was sie alles beachten muss. Sie darf ja nicht mal eine Wand raus nehmen oder eine neue ziehen. Außerdem ist dieser Ort doch voll von schönen Altbauten. Da hat man es doch normalerweise nicht so sehr auf ein altes Ding wie dieses abgesehen.", erwiderte Riley. „Da hast du auch wieder recht.", seufzte Ella und legte die Mappe zurück in die Schublade. Der Mann vom Vormittag war ihr unheimlich und zum ersten Mal war sie richtig froh, hier nicht alleine zu sein. "Wenn er wirklich von dem Schloss weiß, müssen wir sehr vorsichtig sein. Egal wen wir hier kennen lernen, wir dürfen niemandem auch nur eine Andeutung verraten. Ich hoffe nur, dass er uns nicht noch einmal belästigt.", sagte Riley und strich ihre langen Haare zurück. Nun war Ella bewusst, weshalb Moira sie beide hierher eingeladen hatte. In ihrer kurzen Vorbereitungszeit hatte sie sich keine Gedanken darüber gemacht, aber es wäre bestimmt sehr einsam hier geworden. Und unheimlich.

Am nächsten Tag regnete es durchgehend. Die beiden Mädchen saßen im Wohnzimmer auf den Sofas und hatten im Kamin ein Feuer gemacht. Auch wenn es Sommer war, war es an diesem Nachmittag doch ziemlich kalt in dem alten Haus ihrer Tante. Sie spielten Scrabble; das Spiel hatten sie in Moiras Wohnzimmerregal entdeckt. Ohne Fernseher musste man sich bei schlechtem Wetter schließlich auch irgendwie beschäftigen. Zu gern würden sie etwas von Moira hören, wenigstens Bescheid wissen, dass sie gut in Indien angekommen war. „Vielleicht schreibt sie uns ja, nur dann dauert es noch etwas bis der Brief ankommt.", überlegte Riley. „Sie war wie wir wissen schon immer gut darin, sich nicht zu melden.", sagte Ella und schmunzelte. Gerade hatte sie das Wort ‚candle' gelegt und wollte ihre Punkte zusammenzählen, als es an der Tür klingelte. Einen Moment lang sahen sie sich erstaunt an. Mit Besuch hatte keiner von ihnen gerechnet. Ella stand auf und ging an die Tür. Kühle Luft die nach Regen roch stieg ihr in die Nase, doch auf dem Absatz vor der Tür war niemand zu sehen. Sie streckte den Kopf nach draußen und sah sich um, doch auch rechts und links befand sich niemand. Es schüttete jetzt wie aus Eimern und auch Riley trat in den Türrahmen. "Was ist los?", fragte sie verwundert. "Keine Ahnung. Hier ist keiner.", sagte Ella. "Da vorne!" Riley deutete zur Grundstücksauffahrt, wo hinter dessen schiefer Steinmauer eine Person im gelben Regenmantel stand. Da sie die Kapuze ins Gesicht gezogen hatte konnten sie nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war. "Hallo? Haben Sie geklingelt?", rief Riley gegen das Dröhnen des Regens an. Die Person antwortete nicht, sie stand einfach da. "Was wollen Sie von uns?", rief jetzt Ella, doch wieder keine Reaktion. "Jetzt reicht's. Ich lass mich doch nicht verarschen.", knurrte Riley und lief Barfuß hinaus in den Regen auf die Person zu, die sich augenblicklich umdrehte und ging. Perplex blieb Riley nach ein paar Schritten stehen, ihre Kleider waren bereits vollkommen durchnässt. Daraufhin blieb auch die Person kurz stehen, als ob sie von hinten durch ihren leuchtenden Regenmantel sehen konnte, was Riley tat. Doch dann ging sie eiligen Schrittes weiter und entfernte sich immer mehr vom Grundstück. "Verschwinden Sie!", rief sie ihr noch wütend hinterher, dann drehte sie sich um und ging wieder zurück zum Haus. In der Ferne konnten sie sehen, wie der gelbe Regenmantel immer weiter auf der veregneten Straße verschwand, wie jemand, der in einen Nebel hinein ging. "Was war das denn für eine Aktion?", fragte Riley genervt und wrang ihre Haare vor der Haustür aus. Sie war komplett durchnässt von dem starken Regen und an ihren nackten Füßen klebte Schlamm von der Auffahrt. "Das war ziemlich seltsam. Glaubst du, da wollte uns jemand Angst machen?", fragte Ella. "Vielleicht war das auch nur ein dummer Streich von Jugendlichen, die mitbekommen haben, dass wir hier neu sind. Ansonsten wüsste ich nicht, wer ewas gegen uns haben könnte.", sagte Riley. "Ich hoffe es war nicht dieser Mann aus dem Dorf.", sagte Ella und verschränkte die Arme vor der Brust. "Glaube ich nicht, der hat doch gehumpelt.", antwortete Riley und begann, ihre nassen Klamotten auszuziehen. "Ich gehe erstmal duschen und mich umziehen." Sie verschwand nach oben und Ella stellte sich noch eine Weile hinters Fenster um zu beobachten, ob die Person zurück kam. Doch es war niemand zu sehen, für den ganzen restlichen Tag nicht.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 16, 2019 ⏰

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