I. Voller Koffer und Abschied

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Es war Anfang August. Die Sonne warf ihre Strahlen durch mein Zimmerfenster und lies die kleinen Staubfusseln in der Luft sichtbar werden. Die Sommerferien hatten vor ein paar Tagen begonnen, mein Abi war mit Bravour bestanden und eigentlich sollte ich, wie es meine Eltern für richtig hielten, Ausschau nach einem Studienplatz halten. Irgendetwas was mich später absichern wird. Doch ich hatte ausnahmsweise andere Pläne. Denn normalerweise tat ich immer nur dass, was meine Eltern zu hundert Prozent glücklich stimmte. Doch dieses Mal war es anders, denn ein Jahr in Paris zu verbringen, war schon mein Traum seid ich elf war. Ein Traum der morgen in Erfüllung gehen sollte. Für zwölf Monate wird dann Frankreich meine neue Heimat sein. Ich werde als Au-pair in einer Familie leben, mich um die Kinder und den Haushalt kümmern. Klingt schon wieder so durchgeplant. Aber wer mich kennt, wird wissen, dass ich alles andere als spontan bin und diese Reise schon ziemlich an Mut und guten Zuspruch von meiner besten Freundin benötigt hat.
Ich bin eigentlich ein Mensch der lieber alles abgesichert hat und sich nicht gerne in ungewissen Sachen stürzt. Doch genau das Gegenteil tue ich gerade. Wer versichert mir, dass die Familie nett ist?
Außerdem spreche ich kaum Französisch was definitiv ein Nachteil ist. Doch ich liebe Paris und Maria, die Leiterin des Auslandsjahres und gleichzeitig Freundin meiner Mutter hat mir versichert, ich komme in eine Familie die Deutsch spricht, zwar nicht fließend aber immerhin.
Solche Gedanken gehen mir schon seit Tagen durch den Kopf. Klar, zweifel ich oft daran ob es die richtige Entscheidung war, mich ins Ungewisse zu stürzen und einfach so meine Familie und Freunde für ein Jahr hier zurück zu lassen. Meistens klappte es mich wieder zuversichtlich zu stimmen, doch heute vor der Abreise? Klar, mein Entschluss stand fest und daran lies sich auch nichts mehr ändern. Doch mir war klar, dass ich alle hier total vermissen werde.

Mein Koffer platze aus allen Nähten, als ich versuchte den Reisverschluss zuzuziehen. Schon etliche Male hatte ich alles wieder ausgepackt, ein paar Sachen aussortiert und wieder alles eingeräumt. Vergeblich. Immer noch zeigte die Waage ein Kilo Übergewicht an, was mich gerade auf die Palme bringen lies. Ich glaube jeder hasst die Situation  wenn etwas nicht  so funktioniert wie man es gerne hätte.
Genervt stapfte ich die Treppe runter. Mama stand in der Küche und wusch den Salat und Papa versuchte gerade im Garten den Grill anzubekommen. Mein Blick schweifte auf die laut tickende Küchenuhr. Fünf vor sieben. In einer halben Stunde würden unsere Gäste kommen, die meine Familie zu einer Abschiedsparty eingeladen hatte. Es waren nicht viele. Ein paar Freunde und Verwandte. Ich war froh, sie alle vor meiner Abreise noch einmal zu sehen.
Neugierig blickte ich meiner Mutter über die Schulter und stibitze eine Traube aus der Obstschale.
„Denkst du ein bisschen Übergewicht ist teuer?" der Kern der Traube knackte als ich darauf biss.
„Ähm...ich weis nicht. Frag mal Pascal, der kennt sich doch bestimmt damit aus." Sie zeigte auf meinem drei Jahre älteren Bruder im Wohnzimmer.
„Pack doch einfach noch etwas aus. Dann wird's auch nicht noch teurer. Wozu brauchst du denn so viel Zeug?", er blickte genervt von seinem Laptop auf.
„Ein Jahr ist lange." Diese Antwort hallte doppeldeutig in mir wieder.

Kurz vor halb acht stand ich frisch geduscht und in meinem Sommerkleid auf der Terrasse. Meine Vierzehnjährige Schwester Mia und unser Yorkshire-Terrier Balu, den ich wohl angemerkt über alles liebe und wohl genauso vermissen werde wie den Rest meiner Familie, saßen unter unserem großen Apfelbaum. Mia las. Wie immer, sie war ein kleiner Streber ganz anders wie man sich kleine Schwestern vielleicht vorstellen mag. Keine Sekunde ließ sie aus indem sie nicht in irgendeinem Buch stöberte oder etwas für die Schule lernte. Ich liebe meine kleine Schwester obwohl wir uns täglich in die Haare bekamen. Mit Pascal lief es da nicht anders. Aber hallo, manchmal fühle ich mich echt wie in einem Jugendtreff, ständig laufen irgendwelche Freunde von ihm ein und aus, als wäre es deren eigene Wohnung. Einer von diesem Typen kam sogar letztens in unser Badezimmer gestürmt, weil er so dringend auf die Toilette musste. Das dumme war, das ich gerade splitterfasernackt unter der Dusche stand. Ab diesem Zeitpunkt hat der sich nicht mehr bei uns blicken lassen, was den Ansturm natürlich nicht sehr verminderte. Pascal hatte hunderte Freunde, wenn nicht gar tausende. Manchmal hatte ich das Gefühl die halbe Schule stände auf seiner Freundschaftsliste. Ich hingegen hatte nur eine beste Freundin und die kam gerade durch unsere Gartentür stolziert. Mit ihrem Achtzentimeter Absatzschuhen war sie nun genauso groß wie ich. Strahlend fiel Clara mir in die Arme.
„Der letzte Abend", flüsterte sie mir in mein Ohr. Ihr Atem kitzelte und ich bekam eine leichte Gänsehaut.
Als sie sich wieder von mir gelöst hatte blickten mich ihre braunen Augen, für die ich sie wohl bis in alle Ewigkeit bewundern werde, an.
„Lass ihn uns genießen", antwortete ich mit einem Kloos im Hals. Dann führte ich sie zu unserem gedeckten Tisch, an dem schon Pascal mit seiner Freundin Ines, meine Großeltern Lisa und Josef, unser Nachbar Tobi, der schon seit ich ein kleines Kind bin wie ein Großvater für mich ist, und schließlich auch Mia saßen.
Es war irgendwie eine komische Stimmung. Immer mehr Leute die mir so vertraut waren kamen und es fühlte sich an wie eine große Familienfeier. Doch blieb mir der morgige Abschied im Hinterkopf. Es war irgendwie total seltsam, alle hier zu lassen und alleine zu gehen. In ein fremdes Land, mit fremden Leute und Sitten. Eine ungewissen Reise, die ich mir schon immer gewünscht hatte.
Ja, diese Reise war mein Traum und den wollte ich nun leben.

Wir aßen und es schmeckte allen. Doch irgendwann war es an der Zeit meinen Gästen auf Wiedersehen zu sagen. Es war ein seltsames Gefühl als ich allen nochmal zum Abschied zuwank und dann schließlich die Haustüre hinter mir schloss. Alle waren gegangen außer Clara. Ich hatte sie gebeten die letzte Nacht in Deutschland bei mir zu verbringen.
Ein halbe Stunde später lagen wir in meinem Bett. Zu zweit unter einer Decke so wie wir es immer taten wenn sie bei mir übernachtete.
„Freust du dich?", unterbrach sie das laute Gezirpe der Grillen die unten im Garten saßen.
„Ich weis es nicht", langsam drehte ich mich in ihre Richtung, „einerseits kann ich es kaum erwarten endlich Paris zu sehen, doch andererseits ich will ich die ganzen Menschen hier nicht verlassen, München, die Stadt in der ich geboren bin, nicht verlassen." Wieder dieser Kloos im Hals.
„Das ist ganz normal. Ich werde auch alles schrecklich vermissen wenn ich nach Amerika gehe." Sie pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ja, aber du gehst nur für zwei Monate und nicht für ein ganzes Jahr. Außerdem sind deine Eltern dabei." Ich musste lachen, weil ihre Versuche Mitgefühl zu zeigen immer kläglich scheiterten.
„Oh man", sie lachte kurz auf, dann wurde sie wieder ernster, „ich werde sich schrecklich vermissen Layla.", hauchte sie. Eine Träne kullerte ihre Wange hinunter. Nun konnte auch ich es nicht mehr zurück halten. Wir weinten. So schrecklich wie damals in der vierten Klasse als unser Lieblingsesel aus dem Zoo starb. Dort lagen wir uns genauso stundelang in den Armen bis wir schließlich schluchzend einschliefen.

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So, mein zweites Buch ist online. Wie findet ihr es?
Lasst mir en paar Kommentare und Votes da. :-)

Lysell <33  

Die Reise zur FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt