Kapitel 1

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Kapitel 1

Jasinas POV

Linus, nein! Bitte geh nicht! Du darfst nicht sterben!“, schreit sie verzweifelt, während ihr die Tränen übers Gesicht laufen.

Vergiss mich bitte nicht, auch wenn ich fort bin“, flüstert Linus und hebt seine Hand um ihr über die Wange zu Streicheln, „Ich liebe dich.“

Ein zittern fährt durch ihren Körper: „Ich dich doch auch! Bitte du kannst doch jetzt nicht sterben!“

Es … tut mir … leid“, flüstert Linus, so leise, dass man es fast nicht mehr hört.

Nein! Linus! Bleib bei mir!“, jammert sie und klammert sich Krampfhaft an seinen Arm, doch Linus schließt kraftlos seine Augen. Für immer.

Mach deine Augen auf!“, kreischt sie, „Linus! Bitte!“

Doch er öffnet seine Augen nicht. Er ist tot.

Um mich herum höre ich viele Schluchzer, so als ob sie alle den Film wirklich verstanden hätten. So als ob sie alle selber dort gewesen wären. Ich kann es nicht nachvollziehen. Wieso weinen die alle, wenn dieser Film sowieso nur unecht und gespielt ist? Wieso sind sie so traurig, wenn keiner von ihnen das schon Mal erlebt hat? Wieso berührt es sie, wenn es nicht einmal ein schönes Ende ist?

Ich habe noch nie in meinem Leben auch nur eine Träne vergossen. Wenn ich das jemanden erzählen würde, würde er das vielleicht nicht glauben und darüber lachen, doch es ist wahr.

Vielleicht bin ich kaltherzig, so wie es immer alle sagen, vielleicht bin ich es aber auch nicht. So genau bin ich mir da manchmal selbst nicht sicher.

„Und jetzt einen großen Applaus für unsere Hauptdarsteller!“, ertönt eine Stimme von vorne. Und die Menge flippt aus. Bei so viel geheule, war das aber auch kein Wunder. Die wichtigsten Darsteller, stellen sich zum Regisseur und lassen sich bejubeln, weil sie einen so tollen Film gemacht haben und dann ertönt die Stimme wieder, die wie ich festgestellt habe, vom Regisseur kommen muss: „Danke, dass ihr alle hier seid, wir haben das vergangene Jahr mit viel Liebe zusammen gearbeitet und diesen Film gedreht. Und ich denke, dass ist uns sehr gut gelungen, Stimmts?“ Ein erneutes Beben geht durch die Reihen, und meine Mitschüler klatschen und jubeln zustimmend. Nur ich nicht.

„Im nächsten Monat, kommt 'Ich werde dich immer lieben' landesweit in die Kinos, und ihr habt es unserem Elias Bellton zu verdanken, dass wir heute in eurer Schule unsere Premiere feiern. Elias, willst du zum Abschluss noch was sagen?“ Der Regisseur überreicht seinem Protagonisten das Mikrofon und lächelt noch einmal in die Kameras, die an jeder Ecke zu sehen sind.

„Ich möchte euch allen erst einmal danken, dafür dass ihr mich das ganze Jahr über so unterstützt habt. Das hier, war mein letzter Film, denn ich werde mich jetzt komplett auf die Schule konzentrieren und mit euch zusammen noch drei weitere Jahre verbringen. Ich hoffe wir werden viel Spaß haben.“

Mit einem strahlenden Lächeln gibt Elias das Mikrofon wieder dem Regisseur, der weiter über den tollen Film redet und schwärmt. Mir ist das alles eigentlich ziemlich egal, mich interessiert nur, wie lange ich noch in dieser doofen Aula sitzen bleiben muss, bis es endlich vorbei ist.

Und zum Glück, dürfen wir nach fast einer Stunde endlich gehen, wenn auch in den Unterricht um dort noch einmal über diesen wunderbaren Film zu reden.

Aus irgendeinem Grund, finden alle ihn so toll. Vielleicht liegt es ja an Elias, weil er in unserer Klasse ist, vielleicht liegt es an seinem lächeln, dass fast immer auf seinem Gesicht zu sehen ist, vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass alle ihn so toll finden...

„So, ich möchte, dass ihr jetzt alle euren Aufsatz mit euren Eindrücken zum Film abgibt. Legt sie vorne auf den Pult.“, unterbricht der Lehrer die Stille.

Seufzend stehe ich auf und gebe mein Blatt ab. Dieser Aufsatz hat mir keine Freude gemacht, da ich nicht wusste, was ich schreiben könnte.

„Jasina, was soll das? Wieso gibst du ein leeres Blatt ab?“, beschwert sich der Lehrer, „Hör mal. Auch wenn es um persönliche Eindrücke geht, ist es immer noch Teil des Unterrichtsstoffes. Wenn du nichts schreibst, werte ich das als sechs.“

„Aber, ich weiß nicht was ich schreiben soll“, versuche ich zu erklären.

„Du hast dir den Film doch angesehen? Du könntest zum Beispiel schreiben, dass dir die Hauptperson leidgetan hat oder so. Es gibt genug bewegende Momente im Film.“

„Wenn ich selbst noch nie gestorben bin, kann ich doch nicht wissen, ob er mir leidtut oder nicht.“, erzähle ich und frage mich, ob der Lehrer wohl versteht was ich meine. Ich weiß nicht, ob die Hauptperson mir leidtun soll oder nicht.

„Was ist das denn? Voll ätzend, oder? Wie kann man diesen Film sehen, ohne Mitleid zu empfinden...“, höre ich das Getuschel meiner Mitschüler.

Ich verstehe nicht, was so falsch an mir sein soll. Sind meine Überlegungen nicht gerechtfertigt? Darf ich nicht sagen, wie ich das sehe?

Ein Stuhl fällt um, aber es kümmert mich nicht, dass es meiner ist. Es kümmert mich nicht, das ich diejenige war, die ihn umgestoßen hat. In meinem Kopf dreht sich alles und ich sehe keinen Grund, länger hier in diesem Raum zu bleiben. Und bevor auch nur einer was sagen kann, gehe ich schnell aus der Klasse um irgendwo anders meine Ruhe zu haben.

Ich achte weder darauf, ob der Lehrer schimpft, ob mir Jemand folgt oder wo ich hin gehe.

Ich gehe einfach nur von hier weg.

Der Tag, an dem ich weinteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt