Chapter 1

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Giulias P.o.v.

Heute ist mein 17. Geburtstag. Ich warte schon seit langem auf diesen Tag, denn ab heute ist es nur noch ein Jahr, bis ich endlich volljährig bin. Nur noch ein Jahr, bis ich unabhängig bin und selber Entscheidungen über mein Leben treffen darf und nicht mehr nach den Idealvorstellungen meiner Eltern handeln muss.
"Giulia. Wo steckst Du denn? Sag mir verdammt nochmal nicht, dass Du noch im Bett bist. In zwei Stunden kommen Deine Verwandten zum Brunchen und ich möchte, dass bis dahin alles fertig ist. Hast Du mich verstanden, Alles!" Ich höre, wie meine Mum wütend die Treppe zu meinem Zimmer hoch kommt und schließlich meine Tür schwungvoll aufreißt und meine Gardine aufzieht, während ich mich verschlafen umdrehe und in mein Kissen gähne. Plötzlich spüre ich, wie mir die Bettdecke vom Kopf gerissen wird und ich in das verärgerte Gesicht meiner Mum blicke "Es ist höchste Zeit, Giulia! Wie kannst Du nur so eigensinnig und stur sein?!". Das ist ja mal eine nette Begrüßung am Geburtstagsmorgen. -Genau so, wie ich es liebe und genau so, wie es die letzten paar Jahre war. Immer diese scheinheilige Schauspielerei einer perfekten Familie und die schreckliche Stimmung hinter den Fassaden. Meine Mum wusste wohl selber am besten, wie zerstöhrt unsere Familie, sofern man es überhaupt noch so nennen kann, doch ist, seit mein Bruder Piet vor 4 1/2 Jahren das Haus verlassen musste (er war damals 16 Jahre alt). Ach nein, ich vergaß: laut meinen Eltern hätten diese gar keinen Sohn mehr, als dieser bekannt gab, schwul zu sein. Ich erinnere mich noch genau an den Tag. Zuvor hatten mein Brudi und ich uns bestens verstanden, doch mir wurde ab dem genannten Zeitpunkt der Kontakt zu ihm verboten. Ich erfuhr weder seine neue Adresse, noch seine Handynummer und meine Mum beseitigte restlos alle Fotos und Erinnerungen an ihn. Nur in einer kleinen Dose in meinem Kleiderschrank bewahre ich heimlich ein paar Fotos, eine Postkarte und ein Lederarmband von ihm auf. ...So viel zum Thema "perfekte Familie"...
Letzendlich steige ich dann doch mürrisch aus meinem Bett, reibe mir die Augen und öffne meine Gardienen, um mein Zimmer etwas zu erhellen. Ich gehe verschlafen zu meinem Kleiderschrank, ziehe meine geliebte Jeansjacke und einen geblümten, kurzen Jumpsuit heraus. Um etwas wacher zu werden, steige ich unter die Dusche und benutze mein neues Litschi-Duschgel, welches mir schnell zumindest ein kleines Lächeln aufs Gesicht zaubert und mich mit einem wohligwarmen Duft umgiebt. Anschließend wickele ich mich in meinen pinken Bademantel, in der Hoffnung die gewonnene Wärme noch etwas behalten zu können. Darauf ziehe ich meine zurechtgelegten Klamotten an, schminke mich dezent und mache mir einen messy-bun. Zufrieden mit meinem Outfit ziehe ich zum Schluss meine Dr.Martens Stiefel an und stolziere zufrieden die Treppe runter. Als ich in die Küche gehe und mein Dad mich verwirrt anschaut, aber einen Kommentar unterlässt, kommt meine Mum reingestürmt und bleibt abruppt stehen und wird erst weiß und dann rot im Gesicht, während sie loslegt: "Giulia Parker. Bist jetzt völlig durchgedreht, hier so aufzutreten? Geh sofort hoch und zieh dir eine Bluse und eine dunkle Hose anstelle dieses Schlafanzugs an! Und lass diese Gummistiefel verdammt nochmal weg, Du bist hier nicht bei einer Wattwanderung, sondern in einem ehrenwerten Hause, dessen Ruf nicht ruiiniert werden soll. Was sollen denn die Gäste denken?" Sie hat gerade nicht ernsthaft meine Boots beleidigt? Ich habe Jahre von denen geträumt und monatelang auf die gesparrt, um sie heimlich zu kaufen. -Meine Mum hätte mir nie erlaubt, welche zu kaufen. "Deine Haare sehen auch so aus, als hättest du eine alljahres Bettfrisur. Das ist echt unangebracht. Also los. Geh hoch und beeil Dich!". Ich war gerade am überlegen, ob ich diskutieren sollte, da klingelt es schon an der Tür und meine Tante kommt mit einer Föhnfrisur hereinspaziert und ruft durchs ganze Haus, obwohl ich direkt vor ihr stehe. Ich kann ein leises Lachen nicht unterdrücken, denn nun bleibt meiner Mum keine andere Möglichkeit, als mein Outfit zu akzeptieren. Als etwas später meine gesamte Familie eingetroffen ist, gibt es aufwendige Torten vom Konditor, die sich alle gegenseitig übertreffen. Anschließend kommt mein Dad aus dem Wohnzimmer und meint alsogleich "Giulia, meine Liebste, Du darfst jetzt Deine Geschenke auspacken.". Wie ich diese gespielte Freundlichkeit doch hasse. Ich gehe also ins Wohnzimmer und entdeckte einen riesigen Stapel an bunt verpackten Päckchen. Meine Mum kommt freudig mit Smokey Eyes und in schwarzen Lack-Highheels mit mindestens 12cm Absatz, keine Ahnung, wo sie die aufgetrieben hatte, herein und an mich gewandt spricht sie: "Herzchen, ich bin mir sicher, dass Dir Dein Geschenk gefallen wird.". Schließlich packe ich eine wahnsinnig teuer aussehende, große, dunkelrote Schlangenleder Handtasche mit riesigem Logo der Marke aus. Hui. Die war ja wirklich. Ehm. Also wirklich interessant und vorallem ziemlich. Ehm. Ziemlich aus toter Schlange...
"Oh. Also danke. Die sieht ja ganz nett aus.", gebe ich letzendlich von mir. "Ach, das freut mich ja, mein Schatz. Dann kannst Du auch endlich Deinen komischen uralt Rucksack wegschmeißen und hast eine vernünftige Tasche.", erwiederte meine Mum. Meinen retro Rucksack finde ich super und niemand wird ihn mir nehmen können. Als ich dann einen Briefumschlag öffne kommt aus einer Karte ein 500€ Schein heraus. Das ist wirklich verdammt viel, worauf mein Dad nur meint, dass ich so eine Kleinigkeit doch sicher gut gebrauchen könne. Anschließend will ich die Karte lesen und muss allerdings feststellen, dass diese unbeschrieben ist -wie persönlich. Von den Eltern eine Menge Geld bekommen, ohne irgendeinen kleinen Kommentar dazu. Es ist, als würden sie sich meine Liebe erkaufen wollen.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als es erneut an der Tür klingelt. Kurz darauf öffne ich diese und schaue in das strahlende Gesicht meiner besten Freundin Lee. Sofort springe ich auf und falle ihr um den Hals. Ich habe nicht gewusst, dass sie vorbeikommen will und freue mich daher umso mehr. "Alles Gute zum Geburtstag, meine Süße.", sagt sie fröhlich und ich weiß, dass es vom Herzen kommt. Sie streckt mir einen kleinen Teller mit einem pinken Cupcake und einer Kerze entgegen: "Wünsch Dir was!" Ich denke kurz nach und wünsche mir anschließend, Piet wieder zu sehen. An Lees Gesichtsausdruck merke ich, dass sie sich wohl schon denkt, was ich mir wünsche, allerdings verliert sie zum Glück kein Wort darüber. Danach gibt Lee mir ein kleines, weißes Päckchen mit einer roten Schleife. Ich packe dieses vorsichtig aus und entdecke eine kleine Silberkette mit einem kleinen Traumfänger-Anhänger, in den ich mich sofort verliebe. Nochmals umarme ich Lee glücklich: "Die Kette ist echt wunderschön. Danke."
...
Am Abend gehe ich schließlich doch sehr zufrieden ins Bett und schlafe recht schnell ein. Einige Stunden später, vermutlich so gegen 1 Uhr nachts werde ich schlagartig durch ein merkwürdiges Geräusch an meinem Fenster wach. Ich schrecke hoch und muss feststellen, dass eine mir fremde Person sich daran zu schaffen macht, mein Fenster von außen zu öffnen. Ich entscheide mich dafür, mich besser unter meiner Bettdecke zu verstecken und versuche, mich nicht zu bewegen und die Luft anzuhalten, als plötzlich mein Fenster aufgebrochen wird. Es trit ein Mann ein, doch es ist zu dunkel, um mehr erkennen zu können. Ich bin zu perplex, um um Hilfe zu rufen oder zu schreien. Alles geht auf einmal ganz schnell. Der Mann kommt geschwind auf mich zu, hält mir mit einer Hand den Mund auf und mit der anderen drückt er eine Flasche, gefüllt mit einer Flüssigkeit, an meine Lippen. Ich versuche es wirklich, doch ich kann nicht anders, als die Flüssigkeit zu trinken. Zu meiner Beruhigung handele es sich um normales Wasser. -Glaube ich. Urplötzlich ist alles vor meinen Augen verschwommen und dreht sich. Ich will schreien. Ich will weglaufen, doch irgendetwas hält mich davon ab, sodass ich mir wie in einer fremden Welt vorkomme. Ich merke, wie meine Muskeln erschlaffen. Als letztes spüre ich nur noch, wie die Gestalt ihren Arm um mich legt und mich mit sich zieht. Ich weiß weder, wo er hin will, noch wer er ist, aber ich vertraue ihm auf eine gewisse Art und Weise, da ich gerade niemand anderen um mich habe und einfach froh bin, jemanden zu haben, der mir den Weg zeigt. Meine eigene Meinung und Sicherheit ist mir weshalb auch immer egal.

Die EntscheidungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt