Oberarzt

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Obwohl er schon einmal hier gewesen war, weil er sich vor einigen Jahren das Kinn beim Fußballspielen aufgerissen hatte, war Louis beeindruckt davon, wie groß allein die Einganghalle des Krankenhauses war. Ob er sich jemals daran gewöhnen würde, wenn er ab heute jeden Tag hier hindurchgehen musste? Er konnte es sich kaum vorstellen. Patienten kamen und gingen, manche saßen im Rollstuhl, andere gingen zu Fuß und trugen ihr Gepäck selbst, während andere von Familienangehörigen begleitet wurden.

Louis wusste nicht genau, wo er sich melden sollte und trat an die halbrunde Theke der Rezeption, die sich mitten in er Eingangshalle befand. Man kam sich hier eher wie in einer Bank vor, als in einem Krankenhaus. „Hallo, mein Name ist Louis Tomlinson. Ich bin Medizinstudent und soll hier heute mein Praxissemester als Assistentzarzt anfangen", sagte er zu der Dame, die hinter einem Computer saß und ihn anlächelte. „In welche Abteilung musst du denn?" - „Ich spezialisiere mich im Bereich Chirurgie", antwortete er und sie tippte rasch etwas in ihren Computer. Ihre Augen huschten kurz über den Bildschirm, dann sagte sie: „Alles klar. Sie finden das Büro des Oberarztes in der zweiten Etage. Dort ist das Treppenhaus." Sie wies auf eine große Glastür und Louis nahm den Weg nach Oben. Krankenpfleger und Schwestern kamen ihm geschäftig entgegen und sahen nur flüchtig auf, als er an ihnen vorbeiging. Das würde sich sicherlich ändern, würde er erstmal einen Arztkittel tragen.

Kleider machten Leute und das zeigte sich besonders im Krankenhaus.

In der zweiten Etage befand sich den Schildern am Eingang zufolge, das Traumacenter, die OP Räume, sowie die Intensivstation. Louis wusste nicht so genau, wohin er jetzt gehen sollte und sprach kurzerhand einen jungen Krankenpfleger an, der gerade mit einem großen Wagen voller Frühstückstabletts den Flur entlangkam. „Ähm, entschuldigen Sie, Mr...Malik", er schielte kurz auf das Namensschild des Pflegers. „Ja, was kann ich für Sie tun?", fragte Mr Malik und lächelte ihn freundlich an. „Ähm, ich suche den Oberarzt. Ich bin der Student fürs Praxissemester, der Chirurgie." - „Ah. Dann müssen Sie wohl zu Dr Styles. Der hat sein Büro in der vierten Etage. Dort befinden sich die Aufenthaltsräume, die Verwaltung und die Büros der Oberärzte. Sie beeilen sich besser. Ich nehme an, Ihr Arbeitsbeginn ist um 8." Mr Malik nickte zu einer Uhr, die im Flur hing und die 7:48 Uhr anzeigte. „Haben Sie vielen Dank", sagte Louis, drehte sich um und rannte die zwei Etagen hinauf, bis er im vierten Stock ankam. Hier gab es einen Flur, der von zwei Glastüren unterbrochen wurde. Auf der einen Stand "Dialyse", auf der anderen „Verwaltung-Büros" Louis drückte diese auf und gelangte in einen weitläufigen Flur voller Türen. Dr Styles hieß sein betreuender Oberarzt also. Auf die Namensschilder blickend, ging er immer weiter, bis er um eine Ecke bog und sich dort in einem kleinen Bereich befand, wo es sogar eine Sitzgruppe gab. Ein Schild an einer Tür zeigte, dass dies das Büro von Mr Styles sein musste. Mit trockenem Mund und klopfendem Herzen hob Louis die Hand und klopfte an.

„Herein", sagte eine Stimme und er öffnete die Tür.

Das Büro war hell, sauber und sehr ordentlich. Mitten im Raum stand ein massiver Schreibtisch mit Computer, dahinter Aktenschränke und einige Bücher. Mr Styles sah auf und Louis wäre am liebsten sofort wieder rückwärts durch die Tür verschwunden.

Es war der Mann mit der Zeitung, den er heute im Bus angesprochen hatte!

Mr Styles blinzelte zweimal und hob kaum merklich eine Augenbraue, die sich über den Rand seiner Brille erhob. „Ah Mr Tomlinson, der....Arzt...." Er sprach langsam und Louis war sich nicht sicher, ob das seine normale Redensart war, oder ob Mr Styles ihm für heute morgen einen Denkzettel verpassen wollte. Nervös schloss Louis die Tür hinter sich und kniff die Lippen zusammen. Er musste sich für seine große Klappe am Morgen entschuldigen, sonst würde er sicherlich keinen guten Start haben. „Hallo Dr Styles. Hören Sie...wegen heute Morgen...", fing er an und suchte noch nach den richtigen Worten, doch bevor er sie gefunden hatte, war der Arzt aufgestanden und sagte nur: „Gehen Sie in den Aufenthaltsraum und legen dort Ihre Privatsachen ab und dann melden Sie sich zügig in der Verwaltung. Man wird Ihnen einen Kittel und die Arbeitskleidung, sowie das Namensschild geben. In 20 Minuten sind Sie wieder hier und ich zeige Ihnen, den neuen Arbeitsplatz...Doctor." Eingeschüchtert nickte Louis schnell und drehte sich auf dem Absatz um. Mr Styles klang nicht so, als würde er auch nur eine Minute Verspätung akzeptieren. Was für ein beschissener Start. Louis hätte sich für sein Verhalten am Morgen ohrfeigen können und nahm sich vor, in Zukunft immer erst nachzudenken, bevor er etwas sagte. Nochmal würde ihm das nicht passieren.

Im Aufenthaltsraum der Ärzte gab es eine ganze Wand voller Spinde. Louis öffnete einen davon, warf seine Jacke und die Tasche hinein, schlug dir Tür zu und ging mit schnellen Schritten wieder. Von einer Dame in der Verwaltung wurde Louis in einen Lagerraum gebracht. „Welche Größe haben Sie?", fragte sie und zog einen Schrank auf, in dem eine Auswahl an hellblauen Schlupfkasacks hing, diese Krankenhauskleidung wollte Louis schon immer tragen und er war regelrecht nervös, als es soweit war, endlich eine davon zu kommen.

Es kam ihm vor, als ob er endlich die offizielle Eintrittskarte in die Welt bekam, die er immer betreten wollte. „Ich glaube S müsste ganz gut passen", sagte er etwas atemlos. „Gut. Sie sind bei Dr Styles?" - „Ja", antwortete er schnell und sie griff in den Schrank mit der blauen Kleidung. „Das tragen Sie im normalen Dienst und diese hier," sie reichte ihm dasselbe nochmal in Hellgrün, „das werden Sie tragen, wenn Sie Dr Styles in den OP begleiten."

Seine neue Arbeitskleidung an sich gedrückt, huschte Louis wenig später auf der Toilette in eine Kabine und zog sich um. Nach einem kurzen Blick in den Spiegel, nickte er sich selbst anerkennend zu. Jetzt sah er aus, wie ein richtiger Arzt und zupfte sich stolz den weißen Kragen des Kittels zurecht und atmete tief durch: „Gut, jetzt reiß dich zusammen, das wird ein tolles Praxissemester."

Nachdem er seine Klamotten zurück in den Spind geworfen und die Straßenschuhe durch Krankenhausschuhe ersetzt hatte, ging er zügig zurück in das Büro seines neuen Vorgesetzten. Dr Styles erhob sich gerade von seinem Stuhl, als Louis in den Raum kam. „Das war auf die Minute pünktlich, Mr Tomlinson", sagte er, schlüpfte in seinen Kittel und ging, ohne Louis eines Blickes zu würdigen, an ihm vorbei aus dem Büro.

Six Months • Part IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt