In Touch

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Die Zusage für ein WG Zimmer in Köln, trudelte eine Woche später ein. Louis würde also im Spätsommer mit Sack und Pack nach Deutschland ziehen. Er war nervös, wenn er daran dachte. Die Sprache war ihm vollkommen fremd und er würde anfangs sicherlich einiges an Verständigungsproblemen haben, aber so erging es schließlich jedem, der ins Ausland. Hoffentlich konnte man in der Klinik Englisch, sonst wäre er aufgeschmissen. Louis freute sich jedoch auf die Zeit, denn er war sich sicher, bei dem Arzt viel lernen zu können. Niall, der ebenfalls das Krankenhaus wechseln musste, dafür allerdings in Großbritannien blieb, jammerte jetzt schon, dass er Louis vermissen würde, dabei war ja noch ein wenig Zeit bis zum Tag der Trennung. „Was mache ich denn, wenn du nicht mehr zurückkommst? Ich hab immer gehofft, dass wir beide mal in derselben Klinik arbeiten." Sie standen gerade im Erdgeschoss und warteten darauf, dass der Automat endlich ihre Münzen schluckte, damit sie sich eine Tafel Schokolade ziehen konnten. „Niall, es sind noch einige Wochen. Du machst mir ja jetzt schon ein schlechtes Gewissen...", sagte Louis und unterbrach so das Gejammere seines Freundes. „Oh schau mal, da ist Harry." Niall deutete auf die Eingangstür. Harry betrat die Klinik durch den Haupteingang. Auch er hatte Mittagspause und diese offenbar im Park verbracht. Neben ihm stand eine blonde, sehr schlanke Frau, die einen Säugling in einem Tuch vor die Brust gewickelt hatte. Sie unterhielten sich, doch der Lärmpegel in der Eingangshalle war so laut, dass nichts zu verstehen war. „Meinst du das ist sein Patenkind?",fragte Niall und sah ebenfalls interessiert hin. „Ja, ich denke schon. Wow, die Mutter ist aber wirklich sehr hübsch." - „Vergiss es Niall, die ist erst verlassen worden und hat ein Baby bekommen. Die hat sicherlich grade keinen Kopf für einen Freund." - „Ich werde ja wohl mal gucken dürfen", entrüstete sich der Ire und musterte die junge Mutter nochmal. Harry hatte sich vorgebeugt, umarmte sie gerade und drückte dann dem Baby einen Kuss auf den Kopf. Seine Augen strahlten dabei so glücklich, dass es Louis in der Seele wehtat, dass dieser Mann niemals eigene Kinder haben konnte. Sie standen ihm wirklich gut. Harry verabschiedete sich und drehte sich dann um. Sein Blick traf Louis, der es nicht mehr schaffte, rechtzeitig wegzusehen. Wer von beiden nun verlegener dreinblickte, war schwer zu sagen und Louis Gesicht wurde heiß. Er wurde rot. Harry schob sich zwischen den Menschen hindurch in seine Richtung und blieb dann direkt vor ihm und Niall stehen. „War das Ihre Patentochter?", fragte Niall sofort und öffnete seine Schokolade. Louis hatte vor lauter Starren vergessen, sich eine zu ziehen. „Ja, sie ist jetzt schon zweieinhalb Monate alt. Es ist unglaublich, wie schnell die Kinder wachsen und die Zeit vergeht." -"Apropos: unsere Zeit hier ist auch bald vorbei und einige unserer Studienkollegen, die auch hier in der Klinik sind, schmeißen in den nächsten Tagen eine Abschlussparty. Alle betreuenden Ärzte und Kollegen sind eingeladen. Kommen Sie doch auch. Es wäre schön, sich nochmal privat zu treffen", sagte Niall und grinste Harry an, der mit den Schultern zuckte. „Normalerweise sind solche Partys nichts für mich, aber da Louis wirklich ein toller Assistent war, werde ich sicherlich nach meiner Schicht noch bei euch vorbeischauen. Louis, du denkst an die OP heute am frühen Abend?" - „Ja, hab ich eingeplant", antwortete Louis rasch und Harry ging davon. Er machte schnelle Schritte, als wollte er vermeiden, mit ihm und Niall in einen Aufzug zu müssen. „Dir ist klar, dass diese Party deine letzte Chance ist, oder?", fragte der Ire, als sie gemeinsam zum Lift schlenderten. „Ja ich weiß...aber außer ihn vielleicht betrunken zu küssen, werde ich es auf nichts anlegen. Es wäre gemein ihm gegenüber...findest du nicht?" - „Mir egal, ich will dass du ihn zumindest geküsst hast, bevor du gehst", schmollte Niall und seufzte: „Dann würde er dir nachreisen und dir seine Liebe gestehen und dann wäre das alles total romantisch." So langsam beschlicht Louis das Gefühl, dass Niall dringend eine Freundin brauchte, die Art und Weise, wie er ihn und Harry zusammenbringen wollte, war langsam nicht mehr gesund. Fast schien es so, als wäre Niall eine dieser Eislaufmütter, die die eigenen verpassten Träume an den Kindern umsetzten.

Am Nachmittag traf Louis seinen Chef erst wieder im Vorbereitungsraum. Sie waren umgezogen und wurden gerade von den Schwestern mit Handschuhen ausgestattet. „Also, wir führen heute eine Bohrkanalauffüllung vor. Dem Patient ist ein bereits operiertes Kreuzband gerissen. Wir können leider keine Schrauben mehr in die alten Bohrkanäle setzen, dafür sind sie zu weit. Wir füllen sie also auf und werden die OP dann in drei Monaten fortsetzen...ich werde sie fortsetzen. Sie sind ja dann leider nicht mehr da", Harrys Augen lächelten ihn über den Mundschutz hinweg an. „Schade, ich hätte die OP gerne komplett mitgemacht." - „Ich kann Ihnen ja den Bericht schicken, sobald wir das hinter und haben, wenn Sie möchten", bot Harry an. Die Schwester band ihm noch den Kittel hinten zu, er bedankte sich bei ihr und betrat dann mit Louis im Schlepptau den OP Saal.

Dieser Eingriff dauerte nur eine knappe halbe Stunde und war im Vergleich zu dem, was sie sonst taten, wirklich einfach. Es gab keinerlei Komplikationen und sie konnten überpünktlich Feierabend machen, sodass sie es nochmal zu Liam in die Yogastunde schafften.

„Hallo, sieht man euch auch mal wieder", begrüßte sie Liam und schüttelte ihnen die Hand. „Ja, wir hatten es in den letzten Tagen irgendwie nicht geschafft. Sorry Liam", entschuldigte sich Louis. „Heute wird es sicherlich ein wenig voller. In der Umkleide sind noch mindestens sechs Kollegen, wir müssen heute also ein wenig zusammenrücken." Sie schoben ihre Matten näher zusammen und Louis und Harry saßen kaum eine Armlänge voneinander entfernt. Die Kollegen, die nach und nach eintrudelten, setzten sich alle dazu. Niall kam heute nicht, dafür war eine hübsche Frau mit von der Partie, die Liam mit „Dr Calder" ansprach. Louis hatte Nialls betreuende Ärztin noch nie zu Gesicht bekommen, doch in diesem Moment war ihm klar, weshalb Niall am ersten Tag so von den Socken gewesen war. Sie sah wirklich sehr gut aus und als sie sich in die Mitte des Raumes setzte, klebten die Blicke aller Männer an ihr.

Nur Harry sah nach vorn.

Louis, der das Gefühl hatte, beobachtet zu werden, wandte sich zum Spiegel und sah gerade noch, wie Harry den Blick senkte. Hatte er ihn gerade durch den Spiegel beobachtet? „Willkommen zur heutigen Stunde, ich freue mich, dass es so viele geworden sind. Vielleicht wird es heute etwas enger hier drin, daher bitte ich euch aufzupassen, einander nicht versehentlich zu treten, wenn ihr die Übungen macht." Liam schaltete die Musikanlage ein und setzte sich vor sie alle auf den Boden in den Schneidersitz.

„Wir legen unsere Handflächen auf die Oberschenkel und schließen die Augen. Spürt, wie die Körperwärme und die Energie von einer Hand in die andere fließt und atmet ganz ruhig ein. Die Luft gelangt bis tief in eure Lungen - und wieder ausatmen. Euer Geist macht sich frei und ihr spürt nichts mehr, außer der inneren Mitte." Normalerweise schaffte Liam es innerhalb von Sekunden, Louis einzulullen, doch heute funktionierte das nicht. Ihm kam es vor, als würden von Harry Wellen an Wärme ausgehen, die in seine Richtung waberten. Jede davon war deutlich zu spüren und Louis konnte sich einfach nicht auf das Yoga einlassen. „Wir nehmen die Arme über den Kopf und beim Ausatmen drehen wir uns auf die Seite so weit es geht. Das entlastet unsere Wirbelsäule...", machte Liam weiter. Louis lugte blinzelnd zwischen seinen Augenlidern hindurch zu Harry. Er hatte sich in seine Richtung gedreht und atmete langsam, jedoch nicht so tief wie sonst, was bedeutete, dass auch er nicht so entspannt war, wie normalerweise. „Beim nächsten Ausatmen legen wir uns auf den Rücken und legen die Arme ganz locker rechts und links neben unseren Körper."

Eine Berührung an Louis' linker Hand durchzuckte ihn. Ohne hinzusehen, wusste er, dass es Harrys Hand war, die ihn da gerade berührte. Alle Nerven seines Körpers schienen sich nun ausschließlich auf diesen Punkt zu konzentrieren. Harrys Finger zuckte ein wenig hin und her. Vielleicht war es eine willkürliche Regung, vielleicht Absicht, dass er ihm so sanft über die Haut strich.

Damit war es mit Louis Konzentration aufs Yoga endgültig vorbei. Harry musste bemerkt haben, dass er ihn berührte und doch unterbrach er den Kontakt nicht. Die Atmung zu kontrollieren, fiel Louis nun ziemlich schwer und er hätte am Liebsten zu Harry hinübergesehen, doch das wäre sicherlich zu auffällig. So genoss er den Kontakt, das Kribbeln der Haut und das Pulsieren seines Herzens, solange bis Liam eine neue Übung ansagte und sie gezwungen waren, sich voneinander zu lösen.

Six Months • Part IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt