1/ Erdbeertee

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Aus dem kleinen Radio auf dem Schreibtisch des Arztes rauschte leise Musik. Versunken in den Klängen bewegte ich meinen Fuß zum Takt des Liedes. Es war ein schnelles Lied, was mich jedoch beruhigte.

Der Krebs war nun seit einem Jahr kein fester Bestandteil mehr von meinem Leben. Die Diagnose Leukämie bekam ich vor fünf Jahren. Ich war gerade einmal 16 Jahre alt und dachte, mein Leben sei nun zu Ende. Alles begann lediglich mit Fieber und etwas Schwindel. Ab und zu bekam ich immer wieder Nasenbluten. Nachdem das alles nicht aufhörte, musste ich mehrere Bluttests im Krankenhaus machen. Man pumpte mir gefühlt das ganze Blut aus dem Körper. Nach diesen waren sich die Ärzte dann sicher. Leukämie im fortgeschrittenen Stadium. Natürlich stimmte ich einer Chemotherapie sofort zu. Recht schnell verlor ich dann auch meine Haare und somit dachte ich damals, ich sei nun, nicht mehr ich selbst – sondern nur ein kranker und trauriger Krebspatient ohne jegliche Hoffnung. Jeden Tag redete ich mir dies mehr und mehr ein. Irgendwann glaubte ich mir. Nach zwei Jahren Chemotherapie, ich war gerade einmal 18 Jahre alt geworden, wollte ich mein Leben beenden. Die Tabletten hatte ich mir schon zusammen gesucht.

Mit einer Hand voll Tabletten saß ich auf den kalten Fliesen des Badezimmers.

Die Tabletten schienen die einzige Lösung zu sein. Doch ich wollte das eigentlich gar nicht. Ich wollte einfach noch nicht sterben. Entschlossen warf ich also die Tabletten in die Toilette und spülte sie hinunter. Zitternd sah ich, wie die unzähligen Tabletten verschwanden. Danach setzte ich mich erneut auf den Boden und brach zitternd in Tränen aus. Zu diesem Zeitpunkt bekam ich immer mehr Angst vor mir selbst. Ich erkannte mich selbst nicht mehr wieder.

Vor ungefähr etwas mehr als zwei Jahren hatte ich plötzlich vollkommen verrückte Werte bei den Bluttests. Die Ärzte konnten nicht glauben, was sie da sahen. Ein Wunder schien zu passieren. Ich hatte die Werte eines normalen, gesunden Menschen. Ein Jahr stand ich unter ständiger Beobachtung. Sie vermuteten, dass ich eine andere Krankheit bekommen hatte, die den Krebs unterdrückte. Also dauerte es nicht lange und ich hatte meine letzte Chemotherapie. Mit der Hoffnung auf ein normales Leben wuchsen meine Haare auch wieder. Es fühlte sich toll an auf dem Kopf nicht mehr nackt zu sein. Viele ehemalige Krebspatienten, die ihre Haare verloren hatten, erzählten mir davon, dass sie nicht mehr die selbe Haarfarbe bekamen, wie zu vor und auch die Struktur sollte sich geändert hatten.

Meine Haarfarbe hatte sich nicht geändert. In meiner grauen Zeit hatte ich auch gelernt, dass Haare einen nicht schöner machten. Es war nur der Charakter, der zählte. Äußerlichkeiten machen einen Menschen nicht zu dem, was er ist.

Nun musste ich trotzdem noch zu Nachuntersuchungen, damit der Krebs rechtzeitig festgestellt werden konnte, falls er zurückkehren sollte.

Die Tür öffnete sich und der Doktor schritt gleichmäßig in den Raum hinein. Ein weißer Kittel und in den Händen hielt er viele Blätter an Papier. Ich war jedes Mal aufs Neue aufgeregt, wenn die Testergebnisse da waren.

»Herzlichen Glückwunsch, Miss Calloway«, er schüttelte mir die Hand und sah mich lächelnd an.

»Die Ergebnisse sind vorbildlich. Nichts ist auffällig. Machen Sie sich also keine weiteren Sorgen«, beruhigte er mich, genau wie immer. Das Lächeln des älteren Mannes ließ mich ebenfalls aufatmen. Es kam schließlich nicht oft vor, dass ein Arzt in dieser Abteilung lächelte.

Mit einem fröhlichen Lächeln ging ich wenig später aus der Station hinaus. Ich genoss, dass meine Haare bei jeder Bewegung wackelten. Mit einer Perücke war es einfach nicht das Selbe.

Es war absolut unbeschreiblich wieder normal zu leben. Meine Schritte hallten in den stillen Gängen wieder. Kein weiteres Geräusch war zu hören. Nur ich und meine unendliche Freude über mein neugewonnenes Leben.

Anschließend rief ich den Aufzug, der recht schnell kam. Ich betrat ihn also und drückte auf den Knopf des Erdgeschosses. Die Türen schlossen sich und mein Blick fiel auf mein Spiegelbild.

Meine grünen Augen strahlten vor Freude. Mein Gesicht sah auch wieder gesund aus. Keine Blässe mehr. Keine rissigen Lippen. Alles wirkte wieder lebendig. Die blonden Haare gingen mir inzwischen fast bis zur Schulter. Sie wuchsen wellig nach, was mir oft die alten Luxusprobleme wieder brachte. Doch ich genoss es diese Probleme wiederzuhaben. Ich fühlte mich endlich wieder wie ein Mensch.

Der Türen des Aufzuges öffneten sich. Schnell hüpfte ich aus diesem, bevor sich die Türen wieder schlossen.Ich hatte schon immer eine gewisse Angst vor Aufzugtüren, weswegen ich diese Angewohnheit entwickelt hatte.

Etwas zu schnell lief ich dann um die Ecke und stieß hart mit jemanden zusammen.

Eine heiße Flüssigkeit landete auf mir und es gab einen harten Knall.

Geschockt riss ich die Augen auf. Vor mir lag ein Mann auf dem Boden.

Ich ging in die Hocke, um dem jungen Mann zu helfen. Seine zwei Krücken lagen neben ihm.

Was hatte ich bloß getan? Er blickte verwirrt drein. Anscheinend suchte er gerade vergebens wieder nach seiner Orientierung.


»Es tut mir so leid«, murmelte ich betroffen und versuchte ihn wieder hoch zu stemmen.

Da ich nicht von großer Stärke war, gelang es mir nicht. Also streckte ich ihm meine Hand hin. Er nahm sie jedoch nicht an.

»Ich schaffe das alleine«, fuhr er mich gereizt an.

»Nein, ich helfe Ihnen«, selbstsicher hielt ich ihm erneut meine Hand hin.


»Lassen Sie mich in Ruhe«, zischte er und fuhr sich angespannt durch das braune Haar.

Mir fielen sofort die Augen des Fremden auf. Sie waren zwar braun, doch sie hatten eine gewisse Tiefe, die mich unglaublich faszinierte und wie magisch anzog.

Ich hielt ihm die Hand hin und sah ihn fordernd an.

Er stellte den Becher, indem sich eben noch Tee befand, neben sich ab und hielt mir seufzend die Hand hin. Sofort griff ich nach seiner Hand und half ihm hoch. Seine Hand war unglaublich warm.

Als er wieder auf den Beinen stand, bückte ich mich nach seinen Krücken hinunter und gab sie ihm mit einem Lächeln. Grimmig sah er mich an und murmelte noch ein leises Danke vor sich hin.

»Warten Sie hier. Ich kaufe Ihnen einen neuen Tee«, mit einem Lächeln drehte ich mich um und lief in die Cafeteria des Krankenhauses. In einen Automaten warf ich einen Dollar ein und wenig später hielt ich einen Becher Erdbeertee in der Hand. Hoffentlich stand er auch noch dort.

Langsam, damit mir der Tee nicht spazieren ging, machte ich mich auf den Weg zurück. Mein Blick war stets auf die heiße Flüssigkeit zwischen meinen Händen gerichtet.

Als ich dort ankam, war er jedoch nicht mehr da. Ein kleiner Funken Enttäuschung bereite sich in meiner Brust aus. Vielleicht sollte ich einfach warten, bis er wieder zurück kam. Oder ich sollte mich auf den Weg nach Hause machen.--

Heyy,

ich hoffe, ihr habt alle einen angenehmen Start in diese Story gehabt und euch hat dieses erste Kapitel gefallen. Habt ihr bereits erste Gedanken zu dieser Geschichte?

Liebe Grüße

Jenny

Shooting StarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt