Tiago & Pokasa, eine Reise in die Ewigkeit

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Tiago klaubte gerade noch alte Kaugummiverpackungen auf und füllte seinen Sammeleimer, als sein Bruder ihn nach vorne schubste. "Na los, mach schon. Mama will, dass du dich beeilst. Du sollst irgendwie zu ihr." Rui ging wieder davon und ließ ihn in auf dem Boden liegen.

Tiago stand auf und klopfte sich den Dreck von der zerschlissenen Hose.

Vollidiot, dachte er sich und lief weiter. Was denkt der sich, wer er ist?

Tiago konnte seinen Bruder noch nie leiden. Ständig musste er der bessere, der klügere, der coolere Junge sein. Soll er doch mal zum Müllsammeln gehen. Da wäre er wieder bestimmt kleinlaut. So oft sah es in Tiago so aus, auch jetzt als er über die staubigen Bretter in den Verschlag hineinstolperte. Seine Mutter stand an ihrem Ofen, bedacht sich nicht die Finger am Herd zu verbrennen.

Sie drehte sich um und ihm wurde schon gleich viel wohler, als er ihre warmen Züge sah. "Du solltest schon längst hier sein, warum erst jetzt?" "Rui", sagte er knapp. Damit ist alles klar. "Ich wollte dir nur etwas erzählen. Dein Vater kommt erst in zwei Monaten. Nicht in einer Woche. Er hat mir einen Brief geschrieben, anscheinend gibt's Probleme auf den Diamantenfeldern. Also..." "Ist das sein Ernst? Mama! Wir schaffen es bis dorthin nicht! Es gibt nicht mehr viel auf der Kippe, was wir verarbeiten können. Die nächste Fuhre kommt erst bald wieder..." "Und hättest du mich ausreden lassen, hätte ich dir auch das erzählen, was ich vorhatte zu erzählen." Sie nahm eine verbeulte Konservendose und ließ die abgestandenen Tomaten in den Topf fallen. "Ich weiß, dass wir es nicht schaffen würden, aber als ich auf dem Markt war, hab ich da etwas gesehen. Ein Plakat..." " Ja und was für eins?", platzte es aus Tiago heraus. "Eins von einer Elefantenparade. In der Rua da Lama, in der Nordstadt. Ich habe auch mit Julieta von nebenan geredet und sie sagte, dass die Leute dort Hilfe gebrauchen könnten", sagte sie und rührte um, nachdem sie gräuliches Kraut in das Essen fielen ließ. "Und wobei genau?", fragte er. "Ich weiß nicht. Du sollst dich aber noch bei ihr melden." "Ok.", gab er ruhig zurück. Er hätte aber noch viel mehr sagen können oder gar explodieren sollen. Diese Parade, dieser Job war genau das, was sie brauchten. "Die Parade ist am Samstag, gegen Mittag.", fügte Tiagos Mutter hinzu. Sie stellte den Topf auf eine umgedrehte Getränkekiste. "Hol Rui." Tiago ging sofort. Er wollte an die Luft. Auch wenn sie stickig war...

Vor der Hütte waren noch ein paar Kinder, die mit stämmigen Ästen Cricket spielten und manchmal hasteten Frauen mit stressbewährten Gesichtern hie und da vorbei. Die Dämmerung war längst angebrochen und die Sonne begann den Horizont in ein tiefes Purpur zu färben. Tiago war trotz der eigentlich wunderbaren Neuigkeit nachdenklich. Ihm gefiel es nicht sonderlich, dass sein Vater erst so viel später kommen würde. Ob das alles so wahr ist, was er in dem Brief geschrieben hatte, bezweifelte Tiago. Hier in Angola kam es nicht immer auf die Richtigkeit von Worten an. Man verschätzte sich auch mal absichtlich oder lügte wild herum. Vielleicht hatte sein Vater einfach keine Lust in einen dreckigen Slum zurückzukehren, aber das sollen seine Sorgen sein. Schließlich hat er dann die Schuldgefühle und nicht sie, auch wenn seine Familie ohne helfende Hand ebenso bestraft werden würde. Aber Tiago wollte seine Stimmung nicht vermasseln. Er lief schneller und rannte über den größten Platz in der Siedlung, welcher von verrosteten Eimern und Hütten umsäumt war, die geduckt nebeneinander standen. Von ihm gingen zwei Wege ab. Tiago folgte dem Linken und hörte schon das Wasser an die Kaimauer schwappen.

Er sah ihn schon vom Weitem. Rui lehnte an dem alten Ford, der inmitten vieler kleiner Müllhaufen stand. Die Reifen waren weg, wohl von irgendeiner Bande mitgenommen, wie üblich. Martim war auch da. Er war der Chef der Jüngeren, zumindest benahm er sich so. Er verwickelte sich ständig in Schwierigkeiten, geschweige denn Prügeleien. Sein Kopf war kahl rasiert, seine Nase war krumm von vielen Brüchen und seine Lippen waren riesig und aufgesprungen. Braune Augen, trostlos und doch aggressiv zugleich, stachen am meisten aus seinem Gesicht hervor.

"Du bist ein Idiot, Riu. Dein kleiner, frecher Bruder arbeitet wie 'ne Tusse. Langsamer als der, ist wirklich nichts. Und du schickst ihn auf die Kippe meines Vaters.", schnaubte Martim verächtlich. Tiago saß hinter einem Stapel von alten Obstkisten und schaute zu. Martim ist doch so ein Mistkerl. "Hör damit auf. Das ist mein Bruder. Ich zieh auch nich über deinen her!", entgegnete Rui ihm kühl. "Du bist genau wie er. Die Wahrheit zu akzeptieren fällt euch echt schwer." "Pass auf was du sagst!" "Willst du mich sonst verhauen. Du?!", Martim lachte schallend und wendete sich ab. "Das ist doch alles so erbärmlich."

Riu kochte vor Wut. Ihm reichte es. er rannte auf Martim zu und packte ihn an am Hals. "Ruhe.", stotterte er, bedacht, sich nicht völlig zu vergessen. Martim quikte und lächelte hinterhältig. Rui war endgültig losgerissen. Er schlug Martim mit voller Wucht seinen Ellenbogen in die Seite und stoß ihn zu Boden. Er setzte mit einem gezielten Kick in den Bauch nach und sah mit an, wie er wegschlitterte. Martim stöhnte laut auf und zitterte. Er schien kurz vor dem Kotzen zu sein.

Langsam aber stand er wieder auf, mit einer Hand auf den schmerzenden Bauch. Plötzlich aber überreagierte. Man sah etwas im Licht der umliegenden Hütten aufblitzen. Es war ein Messer.

"Jetzt ist Schluss.", brachte er hervor. Still schlurfte er auf Riu zu und funkelte ihn an. Riu wich immer mehr zurück bis er an den Ford stoß. Sein Atem ging nur noch in Stößen. Mit einem kraftvollen Schlag bohrte er das Messer in Rius Bauch. Man hörte nur noch Tiagos lauten Aufschrei durch die Nacht hallen und sah mit an, wie sich Rius Blut mit dem Sand am Boden vermischte.

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