Kapitel 3

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Sie waren überglücklich. Rui hatte es tatsächlich geschafft. Kato und Alfania haben wirklich gute Arbeit geleistet:

Indem sie notoperiert haben, konnten sie alles wieder ins Lot bringen. Nachdem Tiago in der Schreckensnacht zusammengesackt war, hatte man ihn entlang der Pfade zu seinem Verschlag geschliffen und ihn auf sein schiefes Feltbett gehoben. Er hatte über zwei Tage geschlafen, nur ab und an ein Geräusch von sich gegeben. Genau wie Rui. Ihm fiel es natürlich noch schwerer wieder zu Kräften zu kommen. Beide waren schwach gewesen, hatten sich aufgerappelt und versuchten sich jetzt wieder dem Alltag zu widmen.

Tiago beugte sich nach vorne und stocherte wild zwischen Coladosen und gelblichen Plastiktüten herum. Die sengende Mittagssone brannte ihm auf den Rücken und etliche Schweißperlen liefen ihm die Wangenknochen herab.

Er hasste es auf der Müllkippe zu arbeiten. Ein Lohn so niedrig, dass es nur für einen mageren Brotlaib reicht und dieser Gestank, gleich einem Haufen toter Tiere. Vor ihm erstreckte sich das Meer gen Horizont. Der Siedlung hatte er protestierend den Rücken zugekehrt. Dort erhob sich inmitten vieler Hütten ein schiefer Turm und nicht weit entfernt sah man den Platz samt Ford... Rundum schrecklich, wie er fand.

Verständlich ist, dass Tiago und seine Familie nicht freiwillig hier lebten. Nachdem sein Vater damals als erfolgreicher Journalist gearbeitet hatte, brach ein schlimmer Tumult um die Zeitung aus. Man kündigte sofort viele Angstellte um den Problemen ein Ende zu setzen und schon saßen sie auf der Straße...

Nach weiteren zwei Stunden stieg Tiago von dem Müllberg herunter und lief nach Hause. Er betrat den kleinen Verschlag und schleuderte seine Tasche in eine Ecke und folgte dem Geruch von gekochten Bohnen in die Kochecke. Seine Mutter saß auf einem Hocker und hatte die Augen auf den Text eines zerknitterten Taschenbuchromans gerichtet. Als sie Tiago bemerkte, schaute sie auf.

"Ah, perfekt. Das Essen ist gleich soweit." "Klasse.", meinte er und sprach sofort weiter. "Aber kurz 'ne Frage: Weißt du vielleicht wo meine Taschenuhr steckt?" Sie warf ihm einen verwirrten Blick zu. "Die, die dir dein Vater geschenkt hat?" Tiago nickte hoffend. "Tut mir leid, ich hab keine Ahnung. Liegt sie etwa nicht auf dem Schrank wie immer?", fragte sie.

"Nein, da hab ich schon nachgeschaut.", antwortete er enttäuscht. Er verlies das Zimmer und stellte alles auf den Kopf. Er suchte zwischen den Tüchern seiner Mutter, neben den Schlappen seines Bruders, über den Töpfen und durchforstete weiter jede Ecke. Die muss doch irgendwo sein, dachte er sich, doch wurde er durch die Essensrufe seiner Mutter gestört. Nach der Bohnensuppe und einer kleinen Kochbanane gab er niedergeschlagen auf. Er setzte sich vor den Eingang und sah der Sonne zu, wie sie ihren Weg bestritt. Die Sterne kamen auf und tupften helle Punkte in das tiefe Blau des Nachthimmels. Tiago ertappte sich wie er abermals herzhaft gähnte. Er stand auf und lief zu den Betten. Rui lag an die Wand gewendet und seine Mutter lag schräg auf ihrer Matratze. "Los, leg dich langsam hin.", flüsterte sie erschöpft. Tiago striff sich das T-Shirt ab und stieg mit Jeans ins Bett. Das Leinentuch zog er sich bis ans Kinn und versank ins Grübeln. Der Tag, die Arbeit, die morgige Elefantenparade und seine Uhr. So schön mit ihren kunstvollen Ornamenten, welche man in das Weißgold geritzt hatte. Sie fehlte ihm. Sie war das Feste, das Konstante in seinem Durcheinander. Abends nahm er sie oft in die Hände und beruhigte sich damit. Doch heute war es anders. Trotz der Müdigkeit von vorhin, lag er nun hellwach da. Ein Hin- und Hergewälze begann und plötzlich setzte er sich kerzengerade auf. Der Wecke ließ die Uhrzeit gleichmäßig aufblicken. 1:36 Uhr. Draußen hörte er noch Gesprächsfetzen. Er wollte auch an die Luft. Vielleicht hilft das ja, beschloss er. Er nahm ein gelbes Sweatshirt und trat hinaus in das Dunkle. Ein Atemzug nach dem anderen füllte seine Lunge wieder mit etwas besserer Luft. Tiago ging auf dem kleinen Pfad an der Kaimauer entlang und beobachtete die Wellen samt weißer Gischt, die auf den Weg schwappte. Er sah schon den Hafen, der voller Lasthebern war. Bunte Container stapelten sich links und rechts und Tiago wollte sich diesen Abend mal dort umsehen. Ein bisschen Abwechslung tat ihm gut. Er betrat das Gelände durch ein Loch im verrosteten Zaun und stieg eine Leiter hinauf zu den Containern. Langsam setzte er sich ab und schaute die Mondsichel an, welche das silberne Licht auf die Umgebung warf. Die Ruhe gefiel ihm immer mehr. Doch schlagartig war er wach. Plötzlich hörte er es. Es war ein Schnauben. Massiv und laut, wie das eines großen Tieres. Um genau zu sei wie das eines Elefanten.

Tiago & Pokasa, eine Reise in die EwigkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt