Vollmond

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Nias Sicht verschwamm, während sie spürte, dass ihr nach und nach Tränen in die Augen stiegen. Sie rannte und rannte immer weiter durch die dunklen Korridore von Hogwarts, die nach der Sperrstunde bereits menschenleer waren. Ihre Füße trugen sie nach draußen, über das Schlossgelände... und noch darüber hinaus.

Hyllas Worte ergaben Sinn. Gerade das war es was Nia solchen Kummer bereitete. Nicht etwa, weil sie traurig oder enttäuscht über ihre Schwester war. Nein, sie wollte nicht einsehen, dass all das der Wahrheit entsprach.

Nia war ein menschliches Orakel. Natürlich hatte sie Pflichten. Vor diesen Pflichten konnte man nicht davon laufen. Doch Hyllandria hatte sie mit den blanken Tatsachen konfrontiert. Nia verhielt sich nicht ihren Pflichten entsprechend! Oder entsprechend den Anforderungen, die Asteria an sie hatte. Doch sie fühlte sich so unglaublich eingeengt, durch all die Erwartungen, die man an sie hatte.

Das Mädchen rannte immer weiter und immer tiefer in den verbotenen Wald. Die Tränen in ihren Augen gaben ihr nur eine verschwommene Sicht. Der helle Vollmond tauchte den Wald in ein trübes Licht. Irgendwann kam sie zum Stillstand, auf einer kleinen Lichtung, irgendwo im Nirgendwo. Die kalte Nachtluft führte zu einem schmerzhaften Stechen in ihren Lungen, weswegen sie nicht mehr weiterrennen konnte. Keuchend stützte sie sich an ihren Oberschenkeln ab. Nia zitterte vor Kälte. Sie atmete zwei mal aus. Man konnte ihren dampfenden Atem sehen.

Als sie wieder einigermaßen zu Atem gekommen war, schlug sie ihre Hände vor ihr Gesicht und schluchzte weiter. Ihre Gefühle spielten verrückt. Sie wusste gar nicht richtig, was sie gerade empfand... Ob es Trauer war, oder Wut... Vielleicht sogar Verzweiflung. Alles was sie fühlte, war ein einziges Chaos an Gefühlen, das sich bereits die letzten Wochen aufgestaut hatte. Es ging gar nicht so sehr darum, was Hylla zu ihr gesagt hatte. Ihre Worte hatten lediglich den Damm gesprengt.

Konnte man vor Bestimmungen davon rennen, fragte Nia sich. Kann man sein eigenes Schicksal verändern? Kann man lernen frei zu sein? Wie wird man seinen Schatten los, der einen überall hin verfolgt? Kann man etwas gegen ihn tun ohne von schlechtem Gewissen zerfressen zu werden?

Nia wünschte sich viele Sachen... Freundschaft, Freude am Leben, vielleicht sogar die wahre Liebe... aber würde, nein, könnte sie Hylla für all die Sachen aufgeben? Wäre sie abgesehen davon überhaupt in der Lage dazu, sich von Asteria abzuwenden? All diese unsichtbaren Ketten, die sie an ihr jetziges Leben fesselten, schienen nicht gesprengt werden zu können.

Das Mädchen versuchte völlig aufgewühlt die Unordnung in ihrem Kopf zu sortieren. Sie nahm tiefe Atemzüge, die in ihren Lungen schmerzten, doch sie versuchte sich irgendwie zu beruhigen. Was ihr auch gelang... Bis sie plötzlich hinter sich ganz langsame, schlurfende Schritte wahrnahm. Sie horchte aufmerksam auf. Die Schritte wurden immer lauter.

Nia war gerade dabei langsam ihren Kopf zu drehen. Doch plötzlich vernahm sie ein lautes Schnauben unmittelbar hinter ihr. Erschrocken zuckte sie zusammen. Sie riss ihre roten, geschwollenen Augen weit auf. Dem Schnauben folgte ein lautes, schweres Atmen. Nia schluckte zitternd und begann sich wieder langsam umzudrehen.

Und im nächsten Moment blickte sie geradewegs in die stechend gelben Augen eines Werwolfs.

,,Remus..." hauchte sie geschockt, kaum hörbar und atmete unkontrolliert ein und wieder aus. Der Werwolf blickte ihr angriffslustig ins Gesicht. Hinter ihm konnte sie in einem Dickicht die Silhouetten eines Hirsches und eines großen Hundes erkennen... Sirius und James. Keiner von ihnen wagte es einen Mucks zu machen, denn nur eine falsche Bewegung und der Werwolf würde sich auf das Mädchen stürzen.

Das herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie traute sich kaum einen Atemzug zu nehmen. Weitere Tränen schossen in ihre Augen, doch sie hielt weiterhin nur die Luft an. Verzweifelt schloss sie die Augen. Mit aller Kraft versuchte sie sich auf Remus Gedanken zu konzentrieren...

You're my past, present and future (HP/ Rumtreiber FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt