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Um Punkt 06:00 Uhr stand ich im Bad, wie jeden Morgen, seitdem ich denken kann.

Für einen kurzen Moment zögerte ich, ehe ich mich zum Waschbecken drehte. Doch dann fiel mir ein, dass ich den Spiegel gestern zerschmettert hatte.

Ein kleines lächeln huschte über meine Lippen, als ich meine rechte Hand zur Faust ballte und das getrocknete Blut noch immer an den Knochen klebte. Diese rote Substanz war manchmal das einzige, was es schaffte mich zu beruhigen.

Etwas weniger angsterfüllt hob ich den Kopf. Doch als ich in das gesplitterte Glas sah zuckte ich zusammen und vergrub mein Gesicht, in meinen Händen.

Schweiß lief über meine Stirn, während ich versuchte die Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen. Ich hatte nicht viel gesehen, lediglich ein paar Umrisse. Doch das reichte, um mich um den Verstand zu bringen.

Verzweifelt rupfte ich an meinen dunklen Haaren, ehe ich wieder ausholte. Diesesmal mit der linken. Sie traf direkt in die Splitter, zwar spürte ich wie sie sich in mein Fleisch bohrten, doch keinen Schmerz.

Wieder und wieder schlug ich auf den Spiegel ein. Erschöpft stolperte ich nach einer Zeit zurück und strich mir die klebenden Haare aus dem Gesicht. Zufrieden betrachtete ich mein Werk. Nun war es vorbei.

Nie wieder müsste ich am Morgen meine Visage zu gesicht bekommen. Die mich dermaßen anekelte.

Als wäre nichts gewesen, ging ich mit genau 8 1/2 Schritten in die Küche und machte mir meinen Kaffee. Eine halbe Stunde später machte ich mich auf den Weg zu meiner täglichen Rundfahrt.

Von Montag bis Samstag fuhr ich mit der selben Bahn, den selben weg, durch ganz London. Ehe es dunkel wurde und ich auf meiner kratzigen Holzbank saß und auf den Bus wartete. So auch an diesem Tag.

Die Nachtluft war feucht, was mich ein wenig störte. Doch ich konnte nichts dagegen tun. Ich würde nicht einen anderen Bus nehmen, nur um von ihr zu entkommen. Das würde alles durcheinander bringen.

Neben mir nahm ein Mädchen platz, es war unangenehm für mich, weil es meine Bank war. Trotzdem blieb ich ruhig und versuchte sie auszublenden. Auch wenn dies fast unmöglich war, weil sie herum zappelte, wie ein kleines Kind, dass nicht schlafen gehen wollte.

"Entschuldige?", zwar wusste ich, dass dies an mich gerichtet war, dennoch sagte ich kein Wort, in der Hoffnung sie würde mich in Ruhe lassen.

Mein ganzer Körper spannte sich an, als eine knochige Hand vor meinem Gesicht auftauchte und wild umher schnibste. Mit geweiteten Augen schaute ich zu dem Mädchen, die Hoffnung sie lasse mich in Ruhe lößte sich daraufhin in Luft auf.

"Schön", sie klatschte, wie eine verrückte in die Hände. "Du bist also doch bei Sinnen." Ich wünschte ich wäre es nicht gewesen. Das passte nicht. Sie gehörte nicht zum Ritual, dass wirft alles durcheinander. Völlig aufgelöst schaue ich umher, ohne ein Ziel.

"Ist alles okay bei dir?", das Mädchen rückte näher und legte ihren Kopf schief. Dabei vielen ihr mehrere schwarze Strähnen ins Gesicht, die sie nicht zu stören schienen.

Verzweifelt lache ich auf. "Nichts ist okay", blaffte ich sie an, wodurch sie zurück wich, dennoch keine anstallten machte zu verschwinden. Zu meinem erschrecken fing sie auch noch an zu kichern: "Da hatte aber einer einen schlechten Tag."

Am liebsten wäre ich aufgestanden und gegangen, doch dann hätte ich den Bus verpasst und wäre wahrscheinlich komplett durchgedreht. Stattdessen schaute ich sie nur flehend an, damit sie verschwindet. Sie dagegen verstand das ganz falsch.

Schon im nächsten Moment beugte sie sich zu mir herüber, wodurch sich mein Herzschlag beängstigend beschleunigte. "Ich hätte da etwas, was hilft", sie zog aus ihrer hellen blauen Regenjacke ein Tütchen.

Ihr Grinsen wurde breiter und gleichzeitig grußeliger, da ihr dunkler Lippenstift im ganzem Gesicht verteilt war. "Die erste Pille gibt es umsonst."

Verdattert schaute ich auf ihre Handfläche, in der sie eine blaue Pille liegen hatte. Die Tüte stopfte sie wieder in ihre Tasche.

"Sehe ich aus wie jemand, der Drogen nimmt?", langsam wurde aus meiner Angst vor Menschen, Wut. "Nein, aber wie jemand, der dringend welche gebrauchen könnte."

Reflexartig schüttelte ich den Kopf, woraufhin sie nur die Augen verdrehte. Letzendlich legte sie ihre Handfläche an ihre eigenen Lippen und schluckte die Pille selbst, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden.

Zufrieden lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. "Darf ich nun zu meiner Frage kommen?"

Da ich sie wohl sowieso nicht los werden würde und mein Therapeut meinte ich solle wenigstens versuchen Kontakte zu knüpfen, willigte ich ein: "Wenn es sein muss."

"Wie alt bist du?"

Mit dieser Frage hatte ich tatsächlich nicht gerechnet. "21."

Sofort öffnete sie die Augen, welche rot unterlaufen waren und strahlte. "Perfekt", sie hüpfte von der Bank und sah mich fordernd an. "Worauf wartest du?"

Doch ich rührte mich nicht. Das ging nicht. Mein Bus. Also schüttelte ich den Kopf.

"Ach komm schon, ich brauche wen der mir Alkohol kauft." Sie wirkte langsam ungeduldig. "Du kommst doch auch an Drogen, da sollte Alkohol kein Problem sein."

Über diese Aussage stöhnte sie bloß auf. "Das stimmt nicht, an Drogen zu kommen ist gar nicht so schwer. Die wollen einfach nur Kohle machen", sie holte aus ihrer Tasche erneut eine Pille, die sie sich in den Mund warf. "Aber komm mal mit 19 an Alkohol."

***

Ich machte eine längere Pause und beobachtete die Brillenträgerin, die mich mit großen blauen Augen anstarrte.

Sie ähnelten ein wenig denen von Angel, aber das rote fehlte und machte sie somit leer, wohingegen sie bei Angel voller Leben wirkten. Leider nur wirkten.

"Sie war gerade einmal 19", ich verstand nicht recht ob sie meine Worte nur wiederholte, um sie zu verstehen oder es eine Frage war, weswegen ich nur nickte.

"Bist du mit ihr gegangen?", ihre Neugierde war belustigend für mich.

"Alles zu seiner Zeit." Ich setzte mich auf und legte das Wasser Glas an meine Lippen, welches auf dem kleinem schwarzen Tisch stand. Am anderem Ende saß die Frau, die mich noch immer schockiert an sah. Wenn sie wüsste, dass das gerade mal der Anfang war und für mich zur Normalität wurde.

"Wie sie es erzählt haben, wirkte sie glücklich und voller Lebensfreude, trotz der Drogen", ich merkte wie sie die Worte sorgfältig wählte, da sie mit Pausen sprach. Trotzdem gefielen sie mir nicht.

"Seit wann sind sie Therapeutin?", frage ich sie, als auch sie einen Schluck von ihrem Wasser nahm. "Seit einem Jahr."

Ich nickte verständlich. "Das merkt man."
Irritiert schaute sie mich an.

"Wie meinen sie das?"

Mit einer schnellen Bewegung lag ich wieder ausgebreitet auf dem Sofa und schloss meine Augen. "Hätten sie mehr Erfahrungen wüssten sie, dass ihr lächeln nicht echt war."

Es machte mich innerlich total aufprausend, dass sie Angel derartig falsch einschätzte.

Also erklärte ich ihr, wie es wirklich war: "Das war lediglich das Lachen eines Menschens, der keinen Sinn mehr im Leben sah, es ist breiter und lauter, aber verdammt noch mal nicht echt."

Sitze noch weitere 6 Stunden im Auto.

same hell (Abgebrochen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt