Festmahl

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„Schon gehört? Potter ist im Zug ohnmächtig geworden! Was für ein Weichei!", hörte man Draco Malfoy im ganzen Saal.

„Malfoy sollte mal nicht sein Maul so weit aufreißen", hörte man die Weasley-Zwillinge. „Als die Dementoren kamen, ist er in unser Abteil hineingerannt gekommen und hat sich fast in die Hose gemacht!"

Alexandra warf einen Blick zu dem großen berüchtigten Harry Potter, dem Jungen, der überlebt hat. Er stocherte lustlos mit seiner Gabel in seinem Essen herum. Es erschien ihr logisch, dass er so heftig auf die Dementoren reagieren würde. In seinem Leben ging es ja drunter und drüber.

Als Alexandra sich in der ganzen Halle umsah, musste sie feststellen, dass Harry nicht der Einzige war, der irgendwie angeschlagen wirkte. An allen Tischen konnte man den ein oder anderen entdecken, der diesen hoffnungslosen Blick in den Augen hatte. Dann streifte ihr wandernder Blick die Spiegelung einer leeren Silberplatte und sie konnte ihr eigenes Spiegelbild ausmachen. Sie guckte genauso wie diese Schüler.

Sie dachte daran, wie der Dementor in ihr Abteil gekommen war und sie nieder gestarrt hatte. Wie er sie in seinen Bann gezogen hatte. Wie vollkommen wehrlos sie sich vorkam. Wie Professor Lupin, der neue Lehrer, sie gerettet hatte. Und wie zuvorkommend Luna zu ihr gewesen war.

Als sie sich Luna ansah, bekam sie den Eindruck, dass die Ereignisse im Zug kaum eine Auswirkung auf sie gehabt haben mussten. Sie löffelte ihren Pudding ganz normal auf und schaute verträumt durch die Gegend.

Professor Dumbledore hatte bekannt gegeben, dass die Dementoren vorübergehend an allen Eingängen in Hogwarts postiert werden, bis Sirius Black gefasst werden würde. Da wurde Alexandra ganz flau im Magen. Sie machte sich eine gedankliche Notiz, morgen gleich in die Bibliothek zu gehen und alle möglichen Informationen über Dementoren und Patroni zu sammeln. Sie hatte sich bisher noch nie am Patronuszauber versucht, aber wenn sie nun öfters mit diesen Kreaturen zu tun haben würde, musste sie sich wappnen.

Hoffentlich würde Black bald geschnappt werden. Er hatte schließlich ihren Vater umgebracht. Außerdem könnten dann die Dementoren wieder zurück nach Askaban und das kam ihr ganz recht.

„Hey du, reichst du mir bitte mal den Kartoffelsalat?", wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.

„W-Was?", entfuhr es ihr perplex. Sie wandte sich zu ihrer Rechten und schaute den Jungen, der neben ihr saß, mit großen Augen an.

„Reichst du mir bitte den Kartoffelsalat? Ich komm nicht ran", wiederholte er sich.

„Äh, ja, klar", murmelte sie verlegen und reichte ihm die halbvolle Salatschüssel.

„Terry", stellte er sich vor. „Terry Boot. Und du heißt ... ?"

„Alexandra Porter", antwortete sie ihm, ohne ihn anzusehen.

„Wie kommt es, dass du mir bisher noch nie aufgefallen bist?"

Weil ich es bevorzuge, mich vor der Menschheit versteckt zu halten. „Wie meinst du das?", sagte sie stattdessen.

„Ich meine, dass du voll hübsch bist. Allein deine Augen sprechen für sich. So ein leuchtendes Blau hab ich vorher noch nie gesehen. Ich meine, wow."

„Danke", brachte Alexandra hervor, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte. Hübsch? Sie? Er sah wohl nicht richtig.

„Hast du morgen nach dem Unterricht schon was vor?", fragte er sie dann. Wow, er ging ja wirklich schnell ran. Zu schnell für ihren Geschmack.

„Ich gehe in die Bibliothek", antwortete sie ihm wahrheitsgemäß.

„Gleich am ersten Schultag?", wunderte Terry sich. „Okay ... Hättest du was dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?"

„Wenn du redest, während ich lese, dann ja", entgegnete Alexandra.

„Wie wäre es, wenn wir am Wochenende zusammen nach Hogsmeade gehen? Die anderen sagen alle, dass es dort großartig sein soll, vor allem im Drei Besen!"

„Okay", willigte sie nach einer sehr langen Pause ein.

„Klasse!", freute er sich, während bei Alexandra nicht wirklich Begeisterung aufkommen wollte.

Später im Ravenclaw-Gemeinschaftsraum sah Alexandra Luna in einem der blauen Sessel sitzen. Sie wusste nicht, woher sie sich plötzlich den Mut nahm, als sie einfach auf Luna zu steuerte und vor ihr zum Stehen kam. „Hi, kann ich dich was fragen?"

„Alexandra", lächelte Luna ohne von ihrer Zeitschrift aufzublicken. „Natürlich." Als Alexandr.a nicht weitersprach, sah Luna zu ihr auf und schaute sie mit dieser kindlichen Neugierde an.

„Wie kommt es, dass du immun gegen die Dementoren zu sein scheinst?", platzte Alexandra mit ihrer Frage heraus.

Luna runzelte die Stirn. „Wie kommst du darauf, dass ich gegen sie immun bin?"

„Du wirkst einfach total gelassen. Man sieht dir überhaupt nicht an, dass du dich noch vor wenigen Stunden in der Nähe eines Dementors aufgehalten hast. Auch im Zug sah es nicht wirklich danach aus, als wärst du fertig mit den Nerven", versuchte sie zu erklären. „Ich hingegen ... naja, d-das Gegenteil halt ..."

„Nun", schien Luna zu grübeln. „Ich muss zugeben, dass ich nicht so stark reagiert habe wie du, aber es geht auch jeder anders mit seinen Gefühlen um.

Nehmen wir mal Harry Potter zum Beispiel. Er hat mehr durch gemacht als die meisten Schüler. Da ist es logisch, dass die Dementoren ihn umso verlockender finden und ihm leichter zusetzen können.

Ich weiß nicht, was in deinem Leben alles passiert ist und es geht mich auch gar nichts an.

Und was mich selbst betrifft: Mir machen die Dementoren sehr wohl was aus. Meine Mutter, sie war eine beeindruckende geniale Frau. Sie hat gern herumexperimentiert. Aber dann ist eines dieser Experimente schief gelaufen ... Sie starb vor meinen Augen. Ich war neun."

„Oh Luna, das tut mir so Leid", entfuhr es Alexandra. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ..."

„Es ist schon okay", lächelte Luna sanft. „Ich vermisse sie und ich bin manchmal auch traurig deswegen, aber ich hab ja noch meinen Dad."

„Meine leiblichen Eltern sind beide tot. Ich wurde von Muggeln adoptiert. Sie sind nette gute Menschen und sie geben sich wirklich Mühe mit mir, aber ich ..."

„Was?"

„Ich kann einfach nicht das sein, was sie sich von mir erhoffen", gestattete sich Alexandra einen Augenblick, jemanden freiwillig einen Blick hinter ihre Mauer werfen zu lassen.

„Und was glaubst du, erhoffen sie sich von dir?", hakte Luna nach.

„Keine Ahnung, dass ich einfach das tolle Kind bin, auf das sie so lang gewartet haben", murmelte Alexandra schulterzuckend und sah nach unten. „Das Kind, das sie verdient haben, statt einfach nur ... einem weiteren Problem."

„So siehst du dich also? Als ein Problem?"

„Hey, ihr zwei da! Was macht ihr noch dort? Ab in eure Schlafsäle!", rief die Vertrauensschülerin Penelope Clearwater und schaute sie streng an.

Ohne ein Wort machte sich Alexandra auf zu ihrem Schlafsaal. Sie drehte sich nicht um, um zu schauen, ob Luna dasselbe tat. Es war im Prinzip auch egal. Sie konnte nicht fassen, wie tief sie Luna hatte reinschauen lassen. Dabei hatten sie heute zum ersten Mal überhaupt miteinander geredet.

Kopfschüttelnd zog sie sich ihre Schuluniform aus und schlüpfte in ihr veilchenblaues Nachthemd. Ihre Mitbewohnerinnen waren noch wach und plauderten miteinander, aber davon ließ sich Alexandra nicht stören. Sie war gut darin, unwichtige Geräusche wie deren Stimmen auszublenden.

Sie legte sich in ihr Bett und starrte die Wand ihr gegenüber an. Darauf ließ sie wie auf einer Kinoleinwand den heutigen Tag Revue passieren.

„Verdammt."


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⏰ Last updated: Jul 14, 2017 ⏰

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