Meine Hände fühlten etwas Glattes, Kaltes. Meine Nase roch Morgentau und somit auch gleichzeitig meine Müdigkeit.
Ich schoss nach oben und schnappte nach Luft, so als wäre es das kostbarste Gut. Erleichtert atmete ich schließlich auf, als ich wieder Kontrolle von mir selbst zu haben schien. Mein Puls wurde schneller, mein Atem regelmäßiger. Aufgeregt fing ich beinahe an, zu keuchen. Ich ließ meine Finger das feuchte Gras, auf das ich saß, abtasten, prägte mir jedes einzelne Detail ein. Das leichte Umknicken der einzelnen Halme, sobald ich zu viel Druck auf diese mit meinen zittrigen Fingern ausübte. Der Geruch nach Frische, der sich in mir breit machte, mir ein Lächeln auf die Lippen zaubernd. Ein warmes Gefühl von Vertrautheit keimte in meinem Magen auf, als ich nun endlich, nachdem mich die Sonnenstrahlen verschont hatten, wieder sehen konnte. Anfangs konnte ich nur schwarz sehen, doch mit der Zeit begannen sich Figuren - Farbflecken aus all erdenklichen Tönen - zu manifestieren und einen Sinn zu ergeben. Kaum Zeit verging, da erkannte ich Silhouetten, denen langsam Schatten, Tiefen und Breiten geschenkt wurden. Ich spürte regelrecht, wie sich das Wasser in meinen Augen ansammelte, doch ich konnte nicht ganz erklären, weshalb ich mich so verhielt.
Vor mir breitete sich eine weite, weite Wiese aus, von der Blumen in den Himmel empor ragten. Alle Farben von Violett bis das tiefste, dunkelste Tintenblau schmiegten sich an das Grüne des Grases und verschmelzten mit diesem, je weiter man gen Horizont sah. Weit und breit schien nichts anderes zu existieren, nur die Monotonie der Blumen und die der des Himmels. Die Sonne ging langsam am Horizont auf, den blauen Himmel Lila färbend. Der Wind, welcher still wehte, aber dennoch bemerkbar war, trug große, wellenförmige Wolken mit sich. Es war noch recht früh, stellte ich fest. Die orangene Strahlen bahnten sich schrittweise einen Weg in die Dachkuppel der Erde, sich von der Landschaft abhebend.
Auf einmal begann ich zu zittern. Ich war nicht dazu in der Lage, zu erklären weshalb, denn es geschah ohne jegliche Vorwarnung. Mir wurde kalt, dann doch wieder warm, und anschließend sogar schwindlig. Die Sonne hatte nun ihren Zenit erreicht und badete mich in ihrer Helligkeit. Sie versuchte meinen Geist zu belügen, indem sie mich in ihre trügerischen Wonne einlud. Tropfen, die aus Licht zu bestehen schienen, fielen auf meine zittrige Haut nieder. Sie platzten, spalteten sich auf, sobald sie gegen mich prallten und breiteten sich so weiter aus. Mein Blick fiel gen Boden, zu den sonnengeküssten Blumen, die nun einen leichten Hauch Rot aufwiesen. Meine Augen, die vor Anstrengung zitterten, weiteten, als ich um mich herumblickte. Ich verstand rasch, dass das Blutrot nur mich umzingelte und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von mir stammte. Perplex tastete ich meine nackten Beine, meine Arme, meinen Hals nach Verletzungen ab, die es nicht zu geben schien. Unwissend, woher das Blut stammen könnte, streckte ich meine Arme aus mit einer bösen Vermutung.
Aus meinen Augenwinkel erkannte ich etwas an meinem Rücken, was dort vermutlich nicht hätte sein sollen. Ich schreckte zurück, als verdreckte, graue Federn mein Gesicht streichelten. Beinahe wäre meinen Lippen ein lauter Schrei entwichen, den ich aber glücklicherweise noch in mich halten konnte. Sie bewegten sich von allein, als würde sie eine fremde Kraft steuern. Gleichzeitig jedoch stammten die Federn - oder besser gesagt die Flügel von mir. Ich zitterte, als ich meine Fingerkuppen an meine Schulterblätter führte und vorsichtig nach dem neuen Glied fasste, das mir zu gehören schien. Die Oberarme der riesigen Flügel waren eins mit meiner Haut. Ich spürte beinahe keinen Übergang oder gar Ansätze der Schwingen, sondern mit Blut verklebte Federn, die ich nur mit Mühe von der Haut trennen konnte. Meine Haare sträubten sich daraufhin. Erst jetzt bemerkte ich, wie kalt mir war. Als hätte ich einen dritten Arm gesteuert, sah ich mit Schrecken, wie sich eine Decke weiß von beiden Seiten um mich legte und meinen nackten Körper vor äußeren Einflüssen schützte. Sie fühlten sich so fremd, doch gleichfalls so natürlich. Irgendetwas sagte mir, ich hätte sie schon mein ganzes Leben lang gehabt, weshalb ich grübelte. Was hatte mich hierhin gebracht? Ungewissheit überkam mich, je länger ich am selben Fleck stehen blieb und die Federn musterte, die zitterten, wann auch immer sich mein Brustkorb beim Atmen hob. Was machte ich hier? Wieso war ich nackt? Wer war ich überhaupt?
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Engelsgeflüster
Fantasía,,Fürchtest du den Tod?'' Eurielle beobachtete, wie sich die kleine Wolke, die ihrem Mund entsprungen war, langsam auflöste und wandte sich an den Jungen, der an der steinernen Mauer lehnte. Sie beobachtete, wie er einen kurzen Moment innehielt, um...