Zweiter Akt

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Mein Atem stockte bei der Möglichkeit, dass sie nach mir suchten.

Wenn es einen Grund gab, weshalb sie nach mir Ausschau halten konnten, so wollte ich den selbstverständlich auch erfahren. Ich glaubte nämlich, dass ich auf diese Art und Weise meiner Identität einen Schritt näher kommen würde. Die Wahrscheinlichkeit war zwar für die Meisten zu gering, für mich aber von enormer Bedeutung. So klebte ich mein Ohr an die Tür, um genauer hören zu können. Der Stroh, welcher die Unebenheiten und Löcher des Holzes kompensieren sollte, kitzelte meine Haut, sie zum Sträuben bringend. Vorsichtig drückte ich diese zur Seite und strich mir das helle Haar aus dem Gesicht. Der Staub, der in den Lichtstrahlen schwebte, flog wie eine wütende Woge zurück, als ich zittrig ausatmete. Und dann bewegte er sich wieder zu mir.

,,Wen meint Ihr?'' Ein plötzlich höflicher Ton, der für mich eine Spur von Zwang aufwies, entkam Daniel. Er wedelte regelrecht in der Luft und suchte nach Boden, da ihm die Position, in der er sich befand, nicht sonderlich zu gefallen schien. Seine nackten Füße flogen immer höher und höher, bis sie auf der selben Stufe wie Rinas Gesicht waren ,,Du Bengel. Das weißt du ganz genau!'' Die Wut in Person manifestierte sich anscheinend vor mir. Ich malte mir die Handlung bildlich vor meinen Augen aus, und vervollständigte die Details der Szene, die ich durch die Rillen der Tür erkennen konnte. Dann wurde er plötzlich wieder losgelassen und bekam den Boden, zu spüren. Eine weitere Person war erschienen. ,,Lasst die Kinder sofort in Ruhe.'' Eine autoritäre aber gleichzeitig auch eine freundliche Stimme drang durch den Tumult zu mir hindurch. ,,Hier ist niemand anderes. Das Wesen, das ihr sucht, wurde längst den Wachen übergeben.'' Der wütende Bauer grunzte, ehe er Daniel mit einer erschreckenden Leichtigkeit den Boden spüren ließ. Ich versuchte aus einem anderen Winkel mehr zu erkennen, doch stieß erneut gegen etwas. Daher entschloss ich mich lieber, es sein zu lassen. ,,Ihr wisst ganz genau, was mit unserem Dorf passieren wird, sollten die Anderen herausfinden, dass wir was mit ihr am Hut hatten.'' Der wütende Mob wurde lauter, sodass ich schwer hören konnte, was die einzelnen Stimmen sagten.

,,Wir sollten das ganze Haus einfach niederbrennen!'' meinte eine weibliche aber zugleich tiefe Stimme

Ich erstickte regelrecht. Mir war keinesfalls klar, was ich den Menschen angetan haben könnte, dass sie einen derartigen Groll gegen mich hegten. Was ich mich jedoch viel mehr fragte war, weshalb ich gesucht wurde. Ich hätte mich gestellt, wären sie nicht so feindselig gewesen, wie ich sie wahrnehmen konnte. Nun aus meinem Versteck zu kriechen, würde die Bewohner des Hauses des Weiteren implizieren. Wer weiß, was mit ihnen passieren würde, wenn sich heraustellt, dass sie lügen.

,,Ihr werdet die Strafe der Götter auf euch ziehen. Erwartet keine Vergebung, wenn ihr einen seiner Priester Schaden zufügt. Die Dämonen werden euch zwar auf Erden richten, die Götter jedoch im Tode.'' Der Mann kniete nieder und half Daniel auf, während sich ihm Rina ängstlich näherte. ,,Alles in Ordnung bei dir?'' regelrecht flüsternd, musterte sie ihren Bruder. So schnell wie das Gemurmel der Meute an Lautstärke gewonnen hatte, verschwand diese auch wieder. Es waren keine Spuren des Ärgernisses zu sehen, die bis vor wenigen Sekunden noch existierten. Stattdessen blickten sich die Meisten verängstigt und verunsichert an, ehe einzelne Menschen davonhuschten, als wäre nichts geschehen. Erleichtert atmeten die Kinder aus, als dann auch der Grobian, der den Mann hasserfüllt anstarrte, abzischte.

Alsbald die Tür zugefallen war, huschte der ältere Mann zur Tür, hinter der ich mich verbarg und befreite mich. Ich musterte ihn erstmals richtig, und erkannte die tiefen Augenringen und Sorgenfalten, die den Großteil seiner Visage ausmachten. Er war in dunkelblaue Gewänder gehüllt, die zu kostbar für einen normalen Bauer erschienen. Ein einfaches silbernes Kreuz hing von seinem Halse hinab und reichte bis zur Mitte seiner mageren Brust. Sein Haar war fast vollkommen ergraut, sodass man die wenigen übrig gebliebenen blonden Haare, die auf seine frühere Jugend verwiesen, kaum noch erkennen konnte. Seine Augen, die vor Staunen aufgerissen waren, wirkten wie ein tobender Sturm, der mich vor Begeisterung verschlang. ,,Du bist endlich erwacht.'' verkündete er fröhlich, während er die Federn beobachtete, die sich bei jedem meiner Atemzüge bewegten. Die Kinder beobachteten uns, so als würden sie diesen Moment der Offenbarung unter keinen Umständen stören wollen, weshalb sie sich auf sicherer Distanz hielten. ,,Wo bin ich?'' war die erste Frage, die ich Ihn stellte, bevor ich ihn mit weiteren Fragen, die mich betrafen, überhäufte.

Er stellte sich mir als Reveren vor, der ehemalige Pfarrer des Dorfes, in dem wir uns befanden und erklärte mir, weshalb sich die Bauern derart aufgeführt hatten.

Die Dämonen hatten das Land Avaria, das ehemalig von Menschen dominiert wurde, übernommen, nachdem sie der gefallene Engel Luzifer aus der Hölle befreit hatte. Luzifer war einer der Erzengel der Wächter, der nicht länger der göttlichen Herrschaft unterliegen wollte. Er rebellierte gegen die Wächter und wurde im Anschluss mitsamt seines Gefolges aus dem Himmel verbannt. Wenig später etablierte er sich als der Höllenfürst, dem alle Dämonenfürsten und Dämonen unterliegen. Er schwor, die Wächter zu stürzen und seinem Gefolge Freiheit zu schenken. Somit verführte er eine der sieben Seraphen, indem er in ihr die menschlichen Gelüste weckte und ihre Reinheit mit Menschlichkeit verunreinigte. Sie hielt den Schlüssel zur Dimension der Dämonen, den sie Luzifer übergab. Er befreite die Dämonen aus ihrer ewigen Verdammnis und ließ sie über die Erde wüten. Sie zerstörten ganze Kulturen, perturbierten die Gedanken der Menschen und löschten jeden Einfluss der Wächter auf die Menschen aus, um sie zu schwächen. Die Wächter schickten draufhin ihre Kräfte auf die Erde hinab und zogen im Anschluss in einen 300 Jahre langen Krieg, um die Dämonen in ihre Dimension zurück zu verbannen und ihre ursprüngliche Macht wiederherzustellen. Die Wächter nährten sich vom Glauben und Vertrauen der Menschheit, wobei sich die Dämonen von ihrer Furcht nährten. Es war also unausweichlich, dass die eine Fraktion stärker wurde, während die andere immer weiter unterging.

Es kam wie es kommen musste und die Wächter wurden von den Dämonen erstmalig zurückgeschlagen, weshalb sie derart expandieren konnten und die Menschen versklavten. Um ihre Herrschaft jedoch zu sichern, tyrannisierten sie die Menschen, indem sie sie dezimierten und examplarisch abschlachteten.

Doch die Wächter gaben nicht auf und weigerten sich, ihre beste Kreation aufzugeben, weshalb eines Tages ein Erzengel einem Priester aus dem Fernem Westen erschien und verkündete, dass ein Engel, den Höllenfürst Luzifer zur Strecke bringen würde...

,,Und ihr denkt, dass dieser Engel ich bin?'' Perplex musterte ich Vater Reveren, der seine Hände ineinander nahm und mit einer Leidenschaft sprach, die mich überrumpelte. ,,Es gibt keinen anderen Grund, weshalb die Wächter uns einen Engel gesendet haben können. Allein dass alle Dämonenfürsten verzweifelt nach euch suchen, ist ein Zeichen davon, dass ihr es sein müsst.'' Ich schauderte bei dem Gedanken. Überfordert, versuchte ich zu realisieren was dies für mich bedeuten würde. ,,Was wenn ich es nicht bin? Ich habe keinen Auftrag bekommen, oder ein Zeichen, dass mich leitet. Ich weiß nicht mal, wer ich überhaupt bin.'' Meine Augen wanderten so rasch wie noch nie von einem Punkt des Raumes zum Nächsten.  ,,Wie soll ich eine derartige Aufgabe erfüllen, wenn ich mich an nichts erinnern kann?'' Rina, die bisher Vater Reverens Erzählungen gespannt gelauscht hatte, huschte zu mir hinüber, und setze sich neben mich aufs Bett.

,,Du siehst genauso aus wie der Engel aus den Märchen, die mir Mutter immer vorgelesen hat. Hab Vertrauen in dich und die Götter. Wir vertrauen dir und werden dir helfen, wie wir auch können!'' Ihre langen Wimpern schlossen sich um ihre großen Knopfaugen, die den ihres Brudes so sehr ähnelten. Ein Lächeln breitete sich um ihre Lippen aus. ,,Du bist all das, woran wir glauben!''

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,,Man munkelt, dass Nähe des kleinen Dorfes südwestlich von hier, eine Gestalt gesichtet wurde, die euch bekannt vorkommen sollte, Mein Lord.'' Eine bekannte, nervtötende Stimme hallte in dem Kopf des blondhaarigen Mannes wieder, der sich in jenem Moment mehr denn je gestört wurde. Er verstand dennoch schnell, was dies zu bedeuten hatte. Ein Verlangen, das seit Urzeiten nicht mehr in ihm geweckt worden war, drohte sich frei zu brennen, ihn zu verschlingen. Sein Blut loderte, sein totes Herz bebte erstmalig. Er verharrte an Ort und Stelle und ließ das Mädchen, das in seinen armen wie eine Puppe erschlaffte, zu Boden fallen. Ein lautes Knallen erstreckte sich durch die steinernen Wände der Bastion. Die Gestalt wischte sich abfällig den rotverschmierten Mund mit einem Tuch ab und warf ihn auf den Boden. Es dauerte nicht lange, bis jemand an der Tür des Herren klopfte und sich ein groteskes Wesen Zutritt zu den Gemächern verschaffte. Das Goblinartige Ding blickte lüsternd zur toten Beute des Herren, ehe der Mann sprach: ,,Entsorge den Abfall, Gerlin. Wirf es den Hunden zum Fraß oder lass dein Clan sich an ihr vergnügen. Es ist mir gleichgültig.'' Ohne das Wesen zu mustern, wandte sich der Mann dem offenstehenden Fenster zu und blickte den Mond an, der die weite weite Welt erhellte. Er hörte das Schleifen des Körpers hinter sich, ehe die Tür vorsichtig geschlossen wurde.

,,Du weißt gar nicht, was dich erwartet.''


EngelsgeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt