Kapitel I

16 3 0
                                    


„Fertig Marie?" rief das Mädchen. Als Antwort ertönte der helle Schrei eines Falken und das Mädchen nickte sich selbst noch einmal Mut zu. Ein tiefer Atemzug, ein weiterer und dann erst rannte sie aus dem Stand heraus los direkt auf den Abgrund zu. Sie wusste, dass es an der Felsenklippe gut 50 Schritt in die Tiefe ging und freute sich insgeheim darauf zu Fallen.

Ungebremst und aus vollem Lauf heraus sprang sie weit über den Felsüberhang, der wie ein Schwert aus der waldigen Landschaft heraus ragte. Als ihre nackten Füße sich vom Boden lösten, als ihre Zehen den Kontakt zum Gras verloren, breitete sie die Arme wie ein Vogel seine Flügel aus. Für ein, zwei Herzschläge stand die Welt still... Es gab nur noch den freien Fall. Und für diesen einen Moment fühlte es sich an, als könne sie wirklich und wahrhaftig fliegen. Der Wind verfing sich in ihren Haaren und zog an ihrer lockeren Kleidung, der bewaldete Boden kam schnell näher und wieder schrie der Falke.

Das Mädchen genoss den Fall noch einen letzten Augenblick, ehe es seine Gabe einsetzte. Aus Haut wurde Fell, aus Groß wurde Klein. Es hatte gerade so ausgesehen, als wäre ein kleines Eichhörnchen aus dem Mädchen heraus gesprungen...


"... siehst du? Ich habs dir doch gesagt, es ist toll ein Eichhörnchen sein zu können...!" sprach Marie aufgeregt, während sie sich vom Rücken auf den Bauch drehte. Sie legte den Kopf auf ihre Hände, die sie übereinander im Gras gefaltet hatte. Verträumt sah sie Arienn an und grinste dabei. Diese blickte in den stahlblauen Sommerhimmel, der Wind streichelte ihren jungen, makellosen Körper. Ihre Kleider hatten die Mädchen noch nicht wieder gefunden, aber es war auch egal.

"Selbstverständlich ist es das. Und du bist ein Falke, es gibt kein Tier, das besser zu dir passt..." sie hatte ihren Kopf zu ihrer Freundin gedreht, die ihr in die Augen sah. Für einen Moment herrschte eine zufriedene Stille, die nur vom Rauschen der Blätter untermalt wurde.

Wieder packte Marie die Unruhe, sie verlagerte sich erneut, so dass sie ihren Kopf auf Arienns Bauch legen konnte. "Du warst so mutig. Ich hätte nicht gedacht, dass du springst..." sie kicherte dabei wie ein kleines Mädchen, das immer noch in ihr steckte. "Aber ich habs gemacht!" erwiderte ihre Freundin stolz. Beide hingen eine ganze Weile still ihren Gedanken nach, Marie lauschte nach Arienns Herzschlag. Wie von selbst hatten sich die Hände der beiden Mädchen gefunden und fest umschlungen. "Und irgendwann gehen wir beide fort..." flüsterte Marie ganz leise, so leise, dass es Arienn nicht hörte. 

Das Glück ist ein EichhörnchenWhere stories live. Discover now