Kapitel 8

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Die Schläge, die weiterhin meinen Körper trafen, nahm ich gar nicht mehr wahr. Vor meinem inneren Auge spielte sich immer wieder diese eine Szene ab: Tim, wie er einfach weg sah und ging. Es war, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weg gezogen und jetzt fiel ich in ein Loch aus Angst, Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung. Irgendwann hörte Lukas auf, mich zu schlagen und ging. Er ließ mich einfach hier liegen. Und ich machte auch keine Anstalten, mich zu bewegen. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mein Herz krampfhaft davon abzuhalten, zu zerbrechen, aber ich scheiterte kläglich und schließlich splitterte es in tausend Einzelteile. Und mit ihm mein Selbstbewusstsein und alle Hoffnung. Panisch versuchte ich, die einzelnen Splitter wieder zusammen zu fügen, um irgendwie diesen Schmerz zu beenden, aber es war wie ein Puzzle, das nur eine einzige Person zu lösen vermochte.

Irgendwann kam jemand und half mir auf. Der Stimme nach zu urteilen war es ein Mädchen, aber ich konnte in meinem Zustand nicht ausmachen, wer genau. Sie stützte mich und half mir, mich in meinem Zimmer auf mein Bett zu legen. Dann verschwand sie wieder aus der Türe und ließ mich alleine zurück. Ich war so erschöpft, dass ich meine Bettdecke mehr schlecht als recht über mich zog und schon kurz darauf in einen unruhigen Schlaf voller Albträume fiel.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, versuchte ich erst gar nicht, aufzustehen, da ich wusste, dass jede Bewegung schmerzen würde. Ein genervtes Seufzen kam über meine Lippen und ich blieb einfach liegen wie ich war. Ich hatte keine Ahnung, wo Tim war, aber ich hatte nichts aus der Richtung seines Bettes gehört, seit ich aufgewacht war, weswegen ich vermutete, dass er diese Nacht wohl nicht in unserem Zimmer verbracht hatte. Schon wieder standen mir die Tränen in den Augen, bei dem Gedanken an die gestrigen Geschehnisse. Warum hatte er mir nicht geholfen? Er konnte mich nicht lieben. Wer jemanden liebt, der kann denjenigen nicht leiden sehen. Wer jemanden liebt, der lässt denjenigen nicht einfach im Stich. Wer jemanden liebt, der verhindert, dass derjenige einfach grundlos verprügelt wird. Wahrscheinlich war ich für ihn nur Zeitvertreib. Vielleicht hatte er seinen Freunden ja in Wirklichkeit alles erzählt und sich mit ihnen über meine Naivität lustig gemacht. Dieser Gedanke versetzte mir einen Stich. Den ganzen Tag lang lag ich so da, in Gedanken versunken, und bewegte mich keinen Zentimeter. Irgendwann wurde das Licht im Zimmer immer dunkler, bin man schließlich nichts mehr sehen konnte. Ich schloss meine Augen und versuchte einzuschlafen, was mir auch relativ schnell gelang. Wie schon in der Nacht zuvor quälte mich ein Albtraum nach dem Anderen. Als ich am Sonntagmorgen aufwachte, ging es mir deutlich besser. Der ruhige Tag gestern hatte meinem Körper gut getan und ich konnte ohne große Schmerzen aufstehen und mich duschen. Als ich an meinem Körper hinunter sah, bemerkte ich unzählige blaue Flecken und eine Schürfwunde am Knöchel, aber schlimmeres schien nicht passiert zu sein. Als ich mich auf den Weg zum Speisesaal machte, um zu frühstücken, merkte ich, dass mein Magen knurrte – kein Wunder, ich hatte seit Freitag nichts mehr gegessen. Ungeduldig beschleunigte ich meine Schritte und bog um eine Ecke, die in die Aula mündete, um dort wie angewurzelt stehen zu bleiben. Keine zehn Meter vor mir stand Tim inmitten seiner Freunde. Ich sah ihn nur von hinten, aber sein Anblick reichte, um mich ängstlich einige Schritte zurück weichen zu lassen. Ich wusste nicht genau, warum ich mich so fürchtete, aber ich wollte im Moment nicht in seiner Nähe sein. Gerade hatte ich beschlossen, einfach unbemerkt wieder zu verschwinden, als mir einer von Tims Freunden einen Strich durch die Rechnung machte und lachend auf mich zeigte: „Tim, schau, da ist die kleine Zicke ja!" Kleine Zicke? Was für Lügen hatte er denen denn erzählt, um bei ihnen übernachten zu können? Schnell wandte ich mich ab und lief den Gang zurück, den ich gekommen war, doch das ungute Gefühl, das mich verfolgte ließ mich vermuten, dass Tim mir hinterher lief und tatsächlich – kaum war ich wieder in unserem Zimmer angekommen, stürzte er hinter mir in den Raum und schloss die Türe. Genervt verdrehte ich die Augen. Ich wusste, dass jetzt irgendwelche Ausreden kommen würden, aber er konnte sagen, was er wollte, ich würde ihm so schnell nicht mehr vertrauen können. „Stegi", fing Tim an zu reden, „Es tut mir alles so Leid! Ich war so dumm, aber in dem Moment hatte ich solche Panik! Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe!" Es stimmte, bei genauerer Betrachtung fiel mir auf, dass Tim dunkle Schatten unter den Augen hatte, aber seine Entschuldigungen interessierten mich nicht im Geringsten, weswegen ich aufsprang und ihn mit wütender Stimme unterbrach: „Aha, das hätte dir aber alles auch früher auffallen können! Wie konntest du mich da einfach liegen lassen? Ich dachte, du liebst mich, aber wer liebt, der lässt den Anderen nicht leiden! Du hättest Lukas locker überwältigt und das weißt du auch! Ich hab mich bei dir immer sicher gefühlt, aber ich hätte eigentlich schon wissen müssen, dass du das nicht ernst meinst, als du unsere Beziehung auf dieses Zimmer begrenzt hast! Hast du eine Ahnung, wie schlimm das für mich war? Und ich habe trotzdem dir zuliebe nichts gesagt. Ich bin an dir wieder zerbrochen, obwohl ich dachte, du wärst meine Rettung. Du hast mich doch nur benutzt, oder? Was kann ich dir wert sein, wenn du mich so behandelst? Lass mich in Zukunft einfach in Ruhe Ok?" Ich hatte immer lauter geschrien und war dabei wütend auf Tim zu gegangen. Dieser war tatsächlich einige Schritte zurück gewichen und sah mich jetzt geschockt an. Betreten murmelte er: „Oh Gott Stegi, das wusste ich nicht, ich dachte du kommst damit klar. Und das mit Lukas tut mir echt leid, bitte verzeih mir!" Aber ich konnte nicht mehr verzeihen, also flüsterte ich nur leise: „Tim, das kann ich nicht. Du hast mir gezeigt, dass du mich nicht liebst. Beweise das Gegenteil, wenn du willst, dass ich dir verzeihe. Aber bis dahin ist es aus." Mit diesen Worten ging ich zur Türe und verließ den Raum. Ein Träne lief meine Wange hinunter, aber ich bemerkte sie gar nicht, da ich viel zu sehr in Gedanken versunken war, bis mir eine Gruppe Jungs entgegen kam. Sofort rief einer: „Boah schau, die Schwuchtel weint! Voll das Mädchen alter!" Wie mich sowas aufregte! Auch Jungs durften doch mal Gefühle zeigen! Doch ich versuchte, die Typen einfach zu ignorieren, ich hatte besseres zu tun, als mich mit ihnen anzulegen. Wütend stapfte ich an der lachenden Gruppe vorbei, als mich jemand am Arm packte und schmerzvoll zurück riss. Erschrocken sah ich mich um und blickte in das fies grinsende Gesicht von Lukas. Schadenfreudig flüsterte er: „So, einfach weglaufen oder was?" Offenbar hatte er vor, mich direkt wieder zu verprügeln, aber ich spürte schon wieder diese Wut in mir hoch kochen, die ich auch schon auf Tim gehabt hatte, deshalb hob ich ohne zu zögern meinen Arm und schlug Lukas ins Gesicht. Dann riss ich mich los und rannte den Gang entlang davon. Als ich noch kurz einen Blick über die Schulter warf, bevor ich um eine Ecke bog, sah ich, dass Lukas völlig perplex im Gang stand und sich sein Gesicht hielt, dessen linke Hälfte langsam rot anlief. Erschrocken lief ich weiter. Irgendwie machte ich mir gerade selber Angst. Seit wann war ich so stur? Oder hatte ich es nur endlich gelernt, mich zu wehren? Meine Gedanken waren völlig konfus und ich brauchte jetzt einfach meine Ruhe, weswegen ich aus dem Gebäude in den Schulgarten lief. Als ich irgendwann an einer abgelegenen Böschung ankam, ließ ich mich erschöpft ins Gras fallen und schaute einigen Vögeln dabei zu, wie sie auf dem Boden nach Futter pickten. Die hatten es leicht, sie mussten nicht in die Schule und sich dort mit intoleranten Idioten herumschlagen. Gedankenverloren drehte ich mich auf den Rücken und dachte an alles, was an diesem Tag schon passiert war. Ich hatte doch tatsächlich mit Tim Schluss gemacht. Schon wieder stiegen mir die Tränen in die Augen, aber irgendwo war es auch ein erleichterndes Gefühl, zu wissen, dass diese Geheimnistuerei jetzt ein Ende hatte. Tim würde mich sicher wieder ignorieren, wie er es vorher schon jahrelang getan hatte. Er würde mich wieder alleine lassen und ich musste sehen, wie ich damit zu Recht kam. Verzweifelt schlug ich mir die Hände vors Gesicht. Wieso hatte ich das alles eigentlich zugelassen? Hatte ich mich wirklich so nach Nähe gesehnt, dass ich mich einfach in Tim verliebt hatte, weil er mich nicht sofort abwies, wie alle anderen? Ich lag noch sehr lange auf dieser Wiese und machte mir Gedanken. Als es irgendwann so dunkel war, dass ich kaum noch meine Hand vor den Augen sehen konnte, stand ich schließlich auf und machte mich auf den Rückweg zum Schloss. Ich hatte nicht vor, mit Tim zu reden; ich würde ihn einfach ignorieren. Als ich an der noch hell erleuchteten Mensa vorbei ging, machte sich mein Magen bemerkbar. Ich hatte immer noch Hunger, also lief ich in den Speisesaal und stellte mich an der Essensausgabe an. Einen Teller Nudeleintopf später machte ich mich schließlich auf den Weg in unser Zimmer. Als ich die Türe öffnete, saß Tim auf seinem Bett. Erschrocken blickte er auf, als ich den Raum betrat und sah mich dann ängstlich an. Ich hingegen schaute demonstrativ an ihm vorbei und ging zu meinem Schreibtisch. Frustriert bemerkte ich bei einem Blick in mein Hausaufgabenheft, dass ich noch einen kompletten Aufsatz für Deutsch schreiben musste, also machte ich mich an die Arbeit. Tim rührte sich die ganze Zeit nicht vom Fleck, doch ich konnte deutlich hören, dass er immer wieder versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Es kostete mich große Überwindung, nicht aufzuspringen und ihn in den Arm zu nehmen, doch ich hatte eine Entscheidung getroffen und dabei würde ich auch bleiben! Als ich den Aufsatz mehr schlecht als recht beendet hatte, packte ich schnell meine Sachen, zog mich um und ging ins Bett. Ich spürte, dass Tims Blick immer noch auf mir lag, aber ich sah ihm nicht ein einziges Mal in die Augen, aus Angst, mich in ihnen zu verlieren und wieder schwach zu werden. Ich wusste nicht, was er mir gegenüber empfand und ich musste mich selbst vor ihm schützen. Als ich endlich im Bett lag und kurz davor war, einzuschlafen, hörte ich plötzlich Tims Stimme. Er musste denken, ich würde schon schlafen, denn er flüsterte: „Ach Stegi, es tut mir doch alles so Leid! Ich wünschte, du würdest mir zu hören! Aber ich bin ja selber daran schuld, also muss ich es wieder gut machen. Ich werde dir schon noch beweisen, wie sehr ich dich liebe! Ich will dich nicht verlieren!" Dann drehte er sich von mir weg und kurz darauf schliefen wir beide ein, wobei ich nicht verhindern konnte, dass mein Herz freudig hüpfte.

Wir haben 50 Reads *-* Danke!

Diese ff wird 11 Kapitel haben (Die ist schon beendet) und was wollt ihr jetzt als nächstes lesen?

1. Tardy (schon fertig)

2. Berglay; Schattenkinder Crossover (es existiert ein total konfuses erstes Kapi ^^ )

3. Eine Story mit selbst ausgedachten Charakteren in einer "Parallelwelt" in der Zwangsehen zwischen gleichgeschlechtlichen UND verschieden geschlechtlichen normal sind. (Schon zur Hälfte fertig)

Bye!

Stexpert - Nur in diesem ZimmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt