Zuerst

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Ich öffnete die breite Haustüre und trat ein. Vollbepackt mit meinen Shoppingtüten versuchte ich leise die Treppen hinauf zu meinem Zimmer zu schleichen, ich versuchte es. Doch meine Mom kam genau in diesem Moment mit verschränkten Armen aus der Küche und stellte sich vor mich.
»Aus dem Weg«, murmelte ich genervt und seufze, als sie keine Anstalten machte, zur Seite zu gehen.
»Aus dem Weg!«, wiederholte ich, diesmal mit Nachdruck.
»Lewis! Lewis, kommst du mal bitte!«, rief meine Mutter jetzt und wischte sich die mehligen Hände an der Schürze ab, nur um dann die Arme in die Hüfte zu stemmen. Mein Dad kam aus dem anliegenden Wohnzimmer geschlendert, und als er mich sah, verdunklte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. Er stellte sich neben seine Frau.
»Was soll das!?«, keifte ich genervt. Die Tüten waren massig schwer und langsam Taten mir neben meinen Füßen in den hohen Highheels auch meine Arme weh.
»Du warst schon wieder shoppen!?«, fragte mein Vater fassungslos.
»Ja … und?« Unbeteiligt betrachtete ich meine Fingernägel. Der rote Nagellack blätterte bereits ab und ich würde doch nicht so rumlaufen. Sie mussten dringend neu lackiert werden.

»Junge Dame, erinnerst du dich an unser Gespräch von vor zwei Tagen!?«, meine Mom mischte nun also auch wieder mit. Und wenn meine Eltern mich junge Dame nannten, wurde es ernst, doch zu diesem Zeitpunkt interessierte mich das herzlich wenig. Hätte ich mal mein vorlautes Mundwerk nicht so weit aufgerissen, wäre mir wohl so einiges erspart geblieben... dazu später mehr.
»Was interessiert mich das? Ich habe wichtigeres zu tun!«, erwiderte ich bestimmt.
Meine Mutter schüttelte enttäuscht den Kopf, während mein Vater vor Wut kochte: »Du hattest Hausarrest, Fräulein! Nach der Schule hattest du gefälligst nach Hause zu gehen! Wir haben uns Sorgen gemacht« Am Ende wurde er etwas weicher, doch sein Ton blieb trotzdem ernst.

Sicher fragt ihr euch, warum ich Hausarrest hatte, richtig? Wenn nicht sage ich es euch trotzdem.
Weil ich zu viel geshoppt hatte, haben meine Eltern mir die Kreditkarte gesperrt, weshalb ich kurzerhand einfach Geld aus dem Portemonnaie meiner Mom geklaut hatte. Weil hallo!? Es war Schlussverkauf!

»Wie ihr sehen könnt, mir geht's bestens! Könnte ich jetzt bitte durch?«, ich versuchte mich an meinen Eltern vorbei zu drängen, doch sie bildeten eine undurchdringliche Mauer. »Mom!? Dad!? Kommt schon!«
»Kommt schon!«, wiederholte meine Mom aufgebracht. Langsam ging mir der ganze Aufstand auf die Nerven.
»Du bist unbelehrbar! Sie ist unbelehrbar, Lewis!« schimpfte meiner Mutter.
»Natascha, beruhig dich, ja?«, sagte mein Vater an sie gewandt. Er legte ihr einen Arm auf den Rücken und drehte sich dann wieder zu mir.
»Madison, wieso kannst du nicht einmal das tun, was wir von dir verlangen? Beim letzten Mal bist du ja noch gerade so mit einem blauen Auge davongekommen, aber jetzt steht unser Entschluss fest: Wir schicken dich zu Onkel Henry, nach Texas«
»Wie? Der Offizier Onkel Henry, dein Bruder, Dad?«

Ich verstand die Welt nicht mehr. Und wieso Texas? Was sollte ich denn da? Soweit ich wusste war Henry dort… einer Militärbasis stationiert…

»Dad! Nein, Nein! Ich will da nicht hin, Dad! Mom!«, bettelte ich. Vor Schreck waren mir meine Einkäufe aus den Händen gerutscht. Ich sollte zum Militär!? Ich würde umkommen!

»Du wirst dort die nächsten zwei Monate verbringen. Deine Lehrer sagen auch, dass es eine gute Idee ist, und du dich prima weiterentwickeln könntest«, fuhr mein Vater ungerührt fort. Meine Lehrer waren auch so dumme Fotzen! Du konnten mich mal…!
»Zwei Monate!?« Ich dachte ich hätte mich verhört, doch meine Mom nickte unverwandt.
»Du hast deinen Onkel ewig nicht mehr gesehen. Wir haben schon alles mit Henry abgeklärt und er freut sich riesig auf dich. Die Natur, neue Leute… das wird die gut tun!«, sagte mein Dad, doch ich hatte mehr das Gefühl, dass er sich das einreden wollte.

»Dad! Eine Militärbasis! Wenn jemand auf uns schießt - ich könnte sterben!« Krampfhaft versuchte ich meine Eltern umzustimmen, doch der Beschluss hatte sich eisern in ihre Köpfe geheftet.
»Mein Bruder ist auf keiner Basis. Er ist in einem Camp, wo Soldaten ausgebildet werden, und genau da gehst du auch hin. Ende der Diskussion!«
»A-aber…«, ich konnte keine klaren Sätze formen.
»Wir tun das nur aus Liebe zu dir, wirklich. Wir wollen nur das Beste für unsere Tochter. Du bist doch unser einziges Kind! Wir wollen dich nur zurück auf die richtige Bahn lenken, denn irgendwie bist du davon abgekommen. Wir-«
Wütend zog ich meine Mom auf de Seite und rannte die Treppe nah oben in min Zimmer, wo ich die Tür hinter mir mit einem lauten Knall zufallen ließ.

Nie im Leben würde ich nach Texas gehen!
Nie. Im. Leben.

Keine zehn Pferde würden mich dahin bekommen! Und wenn es das Militär darauf anlegte, dann auch keine zehn Helikopter!
Niemals!

Making overWo Geschichten leben. Entdecke jetzt