Kapitel 50

555 19 3
                                    

Der Rest der Woche verging, dank der Vorfreude relativ zügig.
Gemeinsam saß ich, am Samstagmorgen, mit Chris, Andreas und Steffi in der großen Wohnküche. Wir wollten noch einmal zusammen frühstücken bevor es los ging. Gedankenverloren schaute ich aus dem Fenster auf den großen Parkplatz, auf dem schon fleißig die 40 Tonner beladen wurden. In der Nacht konnte ich kaum schlafen. Bis spät am Abend hatten wir am Tag zuvor die restlichen Sachen aus meiner Wohnung in Leipzig geholt. Eigentlich hätte das noch warten können, doch Chris konnte es aus irgendeinem Grund kaum erwarten die Sachen zu holen. Anschließend war ich so aufgekratzt vor lauter Vorfreude, dass ich kein Auge zu getan habe. Doch von dieser Vorfreude war nun nichts mehr zu spüren. Ich war einfach nur müde und wollte mich am liebsten wieder ins Bett verkriechen. Auch der Kaffee wollte noch nicht so richtig helfen. "Hast du die Unterlagen schon aus dem Büro geholt?", fragte Andreas an Chris gewandt, womit er mich aus meinen Gedanken holte. Chris nickte nur gähnend. Er sah auch nicht viel wacher aus. Schließlich räumten wir noch gemeinsam den Tisch ab, bevor wir uns von Steffi verabschiedeten und uns auf den Weg zu unserem Nightliner machten. Die Beiden hatten darauf bestanden, dass ich in ihrem Bus mitfahre, obwohl es mir auch sehr lieb gewesen wäre im anderen Bus bei den restlichen Crewmitgliedern zu schlafen. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ich bevorzugt werde, denn in diesem Bus hatten nur die engsten Vertrauten ihr zu Hause. Da die anderen Busse, zusammen mit den Trucks, gerade vom Parkplatz gerollt waren, hatte ich nun sowieso keine Wahl mehr.
Im Bus hatte sich seit meinem letzten Besuch, zum Glück, nichts geändert. So wusste ich wenigstens schon einmal wo ich alles finde. "Willkommen zu Hause", sagte Chris euphorisch, nachdem er seinen Koffer auf die Sitzbank auf der linken Seite des Busses geworfen hatte. Ich spürte sofort wie Freude in ihm aufstieg. Das war einfach seine Welt und ich konnte es kaum erwarten sie mit ihm zu erkunden. "Du kannst entweder gleich hier vorn schlafen oder in dem Bett hinten rechts. Ich würde dir aber das hintere empfehlen. Da ist es etwas ruhiger.", erklärte mir Andreas, als er hinter mir den Bus betrat. "Gut zu wissen", sagte ich dankbar und richtete mir das letzte Bett auf der rechten Seite ein, genau vor der Treppe, die zu dem kleinen Büroabteil führte. Kaum waren alle im Bus, bewegten sich auch schon die Räder unter uns. In den ersten Minuten herrschte reges Treiben im Bus. Jeder verstaute seine Sachen im Schrank und richtete sich nach der Tourpause, die eigentlich nicht so lang sein sollte, wieder ein. Nur ich fühlte mich noch etwas fehl am Platz und orientierungslos. Chris und Andreas hatten sich gleich in ihr kleines Büro verkrochen, um weiter an den neuen Illusionen zu arbeiten. Ich war froh, dass Kai, der Tour Manager, mit im Bus war und mir unter die Arme griff. Wir saßen gemütlich in der Sitzecke in der unteren Etage des Busses, während wir uns noch einen Kaffee gönnten, in der Hoffnung, dass dieser besser helfen würde als der erste. "Ich helfe gerne mit, wo ich kann", sagte ich schließlich, als wir über den Ablauf des Abends sprachen. Ich holte schnell meinen Notizblock aus der Tasche, den ich vorsichtshalber eingepackt hatte und machte mir ein paar Notizen. Schließlich wollte Ich nicht gleich am ersten Abend den ganzen Ablauf durcheinander bringen. "Den Rest musst du dann mit Manuela klären. Ich glaube für sie ist es auch erst einmal ungewohnt noch jemanden da zu haben.", sagte Kai dann nachdenklich. "Aber das hat ja bei deiner spontanen Aushilfe in Leipzig gut geklappt, wie ich gehört habe.", ergänzte er noch lächelnd. "Ja es hat mir wirklich Spaß gemacht.", gab ich zu. In dem Moment kamen Andreas und Chris die kleine Treppe herunter geschlichen. "Ach hier seid ihr. Hast du kurz Zeit, Kai? Wir brauchen mal eben deinen Rat.", fragte Andreas, irgendwie schuldbewusst. Kai trank seine halbvolle Tasse in einem Zug leer und stellte sie auf die Theke. "Jetzt kann's los gehen", sagte er und verschwand mit Andreas wieder nach oben. Chris gesellte sich, zu meinem Erstaunen, zu mir. Mit einem kleinen Seufzer ließ er sich auf den Sitz neben mir fallen. "Musst du nicht arbeiten?", fragte ich verwundert. Er schüttelte gähnend mit dem Kopf. "Mehr können wir im Moment nicht machen", sagte er dann und lehnte sich entspannt zurück. Er legte seinen Arm um mich und schloss die Augen. Ich musste schmunzeln bei dem Anblick. Bereitwillig ließ ich mich aber zu ihm ziehen. Ich setzte mich leicht seitlich hin und lehnte meinen Kopf an seine Schulter, sodass Ich aus dem Fenster schauen konnte.  Ich beobachtete wie die Landschaft an mir vorbei zog, bis wir auf die Autobahn abbogen. Das Einzige was ich jetzt noch sah, waren die vielen Autos, die uns überholten. Wie frustrierend. Ich mochte Autobahnen nicht. Erfahrungsgemäß war das immer mit einem lästigen Stau verbunden, zumindest wenn ich fuhr. So war es auch heute, was ich bemerkte, als der Bus plötzlich mit einer halben Vollbremsung zum Stehen kam. Das holte auch Chris aus seiner tiefen Entspannung. Er kam gerade wieder zu sich, als Andreas zu uns stieß. "Da vorne ist eine Baustelle. Das dürfte uns einiges an Zeit kosten.", erklärte er uns mit einem Funkgerät in der Hand. "Die Anderen stehen hier auch irgendwo mittendrin, aber die Lkw sind zum Glück gut durch gekommen." Das erklärte natürlich woher er das wusste. "Hmm.. Wir sind ja früh genug los gefahren", murmelte Chris und ließ sich, mit halb geschlossenen Augen wieder nach hinten fallen. "Bruder du solltest echt mal ins Bett gehen. Was habt ihr denn die ganze Nacht getrieben?", lachte Andreas mit einem verschmitzten Unterton. Chris grinste nur in sich hinein. "Nicht das was du denkst, Bruder. Wir waren sehr fleißig.", antwortete er dann. Nicht ausschließlich, dachte Ich schweigend mit einem Lächeln im Gesicht. "Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen. Ihr seht aber echt beide fertig aus. Ruht euch aus. Ich schaue nochmal über die Entwürfe, wegen der Illusion mit den..." Ich schaute Andreas finster an und hob ermahnend die Hand. "Ich will es nicht wissen. Das verdirbt mir nur wieder den Spaß", sagte ich dabei. Ich hatte schon viel zu viel über diverse Tricks mitbekommen, über die sich die Beiden am Frühstückstisch unterhielten, sodass Ich teilweise schon gar nicht mehr fasziniert davon war. Einfach weil ich unfreiwillig wusste wie sie funktionierten. Doch es war frustrierend. Ich wollte nie hinhören, wenn es darum ging, aber ich konnte nie anders. "Hab nichts gesagt...", sagte Andreas grinsend und verschwand wieder nach oben. "Ich werd mich wirklich nochmal auf's Ohr hauen.", meinte Chris nach einer Weile. "Leistest du mir Gesellschaft?" Kurz überlegte ich. "Das würde ich wirklich gern, aber unsere Betten sind so weit auseinander." Chris grinste nur verschmitzt. "Im Ernst? Wie soll das denn funktionieren?", fragte ich als ich begriffen hatte, was er vor hatte. Chris lachte nur und zog mich mit einem Ruck nach oben.
Er legte sich in die kleine Schlafkoje und rückte bis nach hinten an die Wand. Ich beobachtete interessiert das Schauspiel von außen  und schüttelte kurz lächelnd, wegen dieser Idee, die uns wahrscheinlich noch in die Platzangst treibt, den Kopf. Da robbte Chris wieder ein Stück nach vorn und zog meinen Kopf zu sich um mir einen innigen Kuss zu verpassen. Dabei zog er mich immer weiter in die Koje hinein, sodass mir gar keine andere Wahl blieb als mit hinein zu kriechen, wenn ich weiterhin seine warmen und weichen Lippen auf meinen spüren wollte. Schnell lag ich neben ihm, schloss den Gurt, der verhinderte dass einer von uns noch mit einem lauten Knall aus dem Bett fallen würde, und zog den Vorhang zu, der uns vom Rest des Busses abschirmte. Das alles schaffte ich erstaunlicherweise ohne mich von Chris zu lösen. Diese Nähe würde mir fehlen, solange wir unterwegs sind. In den letzten Wochen hatte ich mich so daran gewöhnt ihn ständig bei mir zu haben, dass es komisch sein würde in getrennten Betten und ohne einander einzuschlafen. Doch unser kleines vorgezogenes Mittagsschläfchen verbrachten wir zusammen. Eng miteinander verschlungen in der Schlafkoje des Busses, der uns zu meiner ersten aufregenden Show als Mitarbeiterin brachte.

Die Illusion Des Lebens- Eine Ehrlich Brothers Fanfiction Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt