Gefühlsopfer

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Nach unserem "Gespräch" wurden Hannahs Besuche weniger. Wir hatten ein bisschen über alles mögliche geredet und ich versuchte ihre Fragen so gut es ging zu beantworten. Irgendwann wollte sie wissen, woran man merkt dass da mehr ist als nur Freundschaft und wie man sich sicher sein konnte, dass die Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhen. Für einen Moment hatte ich geglaubt, sie hätte etwas bemerkt. Doch ihr ernster Blick ließ mich schlussfolgern, dass sie wirklich über diese Fragen nachdachte. Ich hätte ihr gerne irgend eine lapidare Buddha-Glückskeks-Weisheit entgegen geschmissen wie "Das Herz will, was es will", aber es erschien mir nicht richtig sie so abzufertigen. Selbst jetzt, Wochen später, wusste ich noch genau, dass ich mir extra viel Zeit für meine Antwort genommen hatte. 'Du kannst nie genau wissen, ob jemand auf dich steht oder nicht, wenn du denjenigen nicht gefragt hast. Das ist genau wie in anderen Beziehungen auch. Egal, ob hetero oder homo.' Meine Stimme war ruhig, doch ich nahm meinen Mut zusammen und mit den folgenden Worten gestand ich mir ein, dass sie seit langem auf mich zutrafen und ich mehr als nur verliebt war. 'Jeder findet anders heraus, dass es mehr als Freundschaft ist. Aber meistens bleibt eines gleich. Es tut weh. Es tut verdammt weh, nicht bei ihr zu sein. Oder wenn sie sich lieber mit anderen verabredet als mit einem selbst. Weil du diejenige sein willst, die sie zum lachen bringt oder der erste Anruf, wenn es ihr schlecht geht - es aber einfach nicht bist. Und dich das wahnsinnig verletzt.' Daraufhin schwieg sie, legte ihren Kopf auf meine Schulter und so saßen wir da, hingen unseren eigenen Gedanken nach bis Felix ins Wohnzimmer geschlurft kam. Das war mein Stichwort. Ohne ein weiteres Wort war ich aufgestanden, hatte ihr noch einmal aufmunternd zugelächelt und dann in mein Zimmer verschwunden. Es hatte nur wenige Minuten gedauert, bis Hannahs und Felix' Stimme in der Küche laut wurden - daraufhin packte ich ein paar Sachen und verzog mich in ein kleines Cafe. Kostenlose refills, Musik und ein Buch zur Hand - meine Art, der Realität zu entfliehen. Ja, es tat weh wenn man nicht an erster Stelle stand. Aber man freute sich auch, wenn der andere glücklich war, weil derjenige einem in dem Moment mehr bedeutete, als den eigenen Schmerz zu lindern. Und irgendwie lebte man dann damit, bis es vorbei ging.

Danach sah ich Hannah bloß noch zwei Mal von weitem, als sie die Wohnung gerade verließ während ich von der Bahnhaltestelle kam. Und was sollte ich sagen? Es tat weh.

Inzwischen war der Schmerz so allumfassend, dass ich mich nach der Arbeit meistens direkt ins Bett legte. Ich vermisste Hannah, doch ich hatte keine Ahnung, wie ich sie erreichen konnte. Wir hatten nie Telefonnummern ausgetauscht, ich war nie bei ihr daheim und generell... Jeglicher Kontakt basierte auf ihren Besuchen bei Felix. Die vierte Woche in folge und keine Linderung in Sicht. Soviel also zu 'Sie kann dir nicht mehr lange widerstehen'

Ein weiterer Donnerstagabend kam und ich war unschlüssig, ob ich heute nicht mal langsam wieder anfangen sollte, das Wohnzimmer für mich zu beanspruchen. Selbst die wundervolle Welt der Mordopfer konnte mich nicht ablenken oder aufmuntern, aber vielleicht würde mir dieses Stückchen Normalität aus meinem Tief heraus helfen. Ja, das klang nach einem guten Plan.

Ich zwang mich dazu, aus dem Bett aufzustehen. Mein Kreislauf war so viel Action nach der Arbeit schon nicht mehr gewohnt, ich brauchte definitiv länger als normalerweise um von A nach B zu kommen. Noch bevor ich meine Zimmertüre erreicht hatte, klopfte es zaghaft.

"Leo?" Als ich Jo's Stimme erkannte, bekam meine Laune einen weiteren Dämpfer. Ich weiß nicht, ob ich wirklich mit Hannah gerechnet hatte - aber die Hoffnung war ein intrigantes Miststück und ich hatte wohl vergessen, mein Monatsabo rechtzeitig bei ihr zu kündigen.

Ungefragt kam Jo einfach herein und knallte mir damit erstmal schön die Tür gegen den Fuß. Mein Fluch hätte jeden stumpfen Höhlenmenschen vor Scham erröten lassen.

"Was willst du?", presste ich heraus, nachdem er mit seiner Entschuldigung fertig war.

"Naja", fing er an und kratzte sich am Kopf, "Heute ist doch Donnerstag. Paul und ich" - "Nein, das war nur Jo!" - "Ok, also ich dachte, vielleicht wirds mal wieder Zeit aus deinem Zimmer heraus zu kommen?"

Die stumpfen Opfer mit Sofa (GL)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt