Kapitel 23

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„Joannie?“

Ich öffnete die Augen. Es dauerte einen Moment, bis ich wusste, wo ich war. Es roch nach Staub und... Nathan. Ich lag in Nathans Armen.

„Joannie!“, hörte ich die Stimme erneut.

Ich blinzelte müde und setzte mich auf. „Nathan? Wann... Wie viel Uhr haben wir?“, fragte ich orientierungslos.

„Halb elf. Du bist vor einer ganzen Weile eingeschlafen, aber ich denke, wir haben beide morgen Schule, und deshalb dachte ich, sollte ich dich wecken. Ich fahre dich nach Hause, okay?“ Ich fuhr mir mit den Händen durchs Gesicht und nickte dann.

Meine Haare drehte ich unsanft zu einem Pferdeschwanz zusammen und band sie dann zusammen. Nicht schön aber selten. Nathan lachte leise. „Süß...“, meinte er. Ich verdrehte die Augen und stand auf. „Es ist eiskalt...“, murmelte ich. Nathan folgte meinem Beispiel und griff sich meine Taille von hinten.

„Lass mich los, wir müssen gehen!“, beschwerte ich mich, doch viel Widerstand lag nicht in meiner Stimme.

Nathans Mund war an meinem Ohr, ich spürte seinen Atem. „Du hast gesagt, dir ist kalt, ich kann doch nicht zulassen, dass du frierst!“ Ich machte mich los, obwohl ich gerne noch länger so dagestanden hätte. Schnell sammelte ich ein paar Utensilien, welche noch übrig vom Picknick waren zusammen, bevor ich ein Stück Kuchen fand und hineinbiss. Ich hätte vielleicht irgendetwas essen sollen, was nicht Kuchen war, sonst wäre ich nicht so hungrig, dass ich um halb elf Uhr nachts Kuchen essen würde.

„Du hast da was...“, Nathan warf seine Jacke auf das Sofa und trat näher.

„Was?“, ich war völlig in Gedanken und hatte nicht viel von dem mitbekommen, was er gesagt hatte.

„Du hast Puderzucker im Gesicht.“, er lachte.

„Lachst du mich gerade aus?“, fragte ich und funkelte ihn, scheinbar, wütend an.

„Deine Augen sind der Wahnsinn, wenn du versuchst böse zu gucken...“, er lachte erneut und strich mir mit dem Daumen über die Lippe.

Ich stemmte die Hände in die Hüften. „Ich versuche überhaupt nicht böse zu gucken, ich gucke böse!“, widersprach ich.

„Ja, okay, wenn du meinst...“, neckte er mich.

„Du bist furchtbar!“

„Ich weiß.“

Ich schob ihn von mir und sammelte den Rest ein, dann verstaute ich die Schallplatte in ihrer Hülle und schloss den Plastikdeckel des Plattenspielers. Als ich mich rumdrehte, bemerkte ich, dass Nathan sich nicht bewegt hatte, er hatte mich bloß beobachtet. Es hätte unheimlich gewesen sein können, wäre es nicht Nathan gewesen, dessen Umrisse mich im halbdunkeln beobachteten.

„Du hast gesagt, wir müssen gehen und jetzt wirst du selbst nicht fertig?“, fragte ich ihn.

„Du faszinierst mich. Ich kann gar nicht anders, als dich ständig anzusehen.“

Ich errötete und ließ mich zurück auf das Sofa fallen, zog mein Handy aus der Tasche und blickte darauf, damit er nicht sah, wie rot meine Wangen geworden waren.

„Wir müssen echt langsam los, ich muss morgen früh aufstehen und du bestimmt auch!“

Nathan seufzte und nahm seine Jacke, zog mich an der Hand hoch und legte sie mir um die Schultern. Es war eine dunkelgrüne Sweatjacke, welche seinen Geruch trug. Ich zog den Reißverschluss zu und steckte die Hände in die Taschen.

„Fertig?“, fragte Nathan.

„Bist du’s?“, erwiderte ich.

„Ich bin fertig, ja, danke der Nachfrage!“, ich hörte sein Lachen und den ironischen Unterton in seiner Stimme.

Wir trugen jeder eine handvoll Sachen, welche wir in den Kofferraum fallen ließen, bevor wir einstiegen. „Musik?“, fragte Nathan. „Gerne.“ Er schaltete das Radio ein und drehte ein wenig daran herum, bis er einen Sender gefunden hatte, auf dem Jesus he knows me von Phil Collins lief. Er sah mich an, ein stilles Einverstanden mit der Wahl? Und ich nickte zustimmend, „Perfekt.“

Ich bedauerte, dass die Fahrt nicht länger als zehn Minuten dauerte, wir schwiegen die ganze Zeit und hörte bloß leise Musik, ab und zu erhellte ein entgegenkommendes Auto unsere Gesichter. Es war keine unangenehme Stille, sie war irgendwie... warm. Eine warme Stille, welche ein warmes Kribbeln im ganzen Körper hinterließ.

Nathan schlug die Autotür zu, er hatte darauf bestanden, mich zur Haustür zu begleiten. Ich balancierte unsicher meine Schultasche auf dem einen Arm, die Box mit dem Kuchen in der anderen, den Schlüssel in der Hand mit dem Kuchen. Nathan nahm ihn mir ab und schloss für mich die Tür auf, dann blieb er kurz stehen und sah mich erneut intensiv an. Seine braun-grünen Augen leuchteten in der Dunkelheit.

„Gute Nacht, Joannie.“, flüsterte er, unsere Nasenspitzen berührten sich fast.

„Gute Nacht.“, hauchte ich, dann trafen sich unsere Lippen.

Erst nachdem Nathan sich lächelnd auf die Knie niedergelassen hatte, bemerkte ich, dass ich sowohl meinen Schlüssel, als auch meinen Rucksack und die Box mit dem Kuchen hatte fallen gelassen.

„Spar dir den Kommentar!“, drohte ich lachend und Nathan reichte mir meine Sachen.

„Meine kleine Blondine...“, feixte er, dann küsste er mich auf die Wange, bevor er zurück zum Wagen ging und davonfuhr.

Ich sah den Rücklichtern seines Wagens hinterher, dann seufzte ich. Ab und an ging es bergauf im Leben. Vielleicht war Nathan mein „Bergauf“, mein „Hoch“. Hätte das Hoch doch nur ein wenig länger gehalten...

Invention - Die Change-Trilogie beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt