Die Sonne warf ihre wärmenden Strahlen über die saftigen Wiesen, die die Landschaft, so weit das Auge reichte, dominierten. Die grünen Grashalme wiegten sich sanft im leichten Wind und die bunten Blumen, die wie kleine Farbkleckse auf einem Gemälde wirkten, erfüllten die angenehme Sommerluft mit ihrem betörenden Duft. Rote, gelbe, orange, blaue, lilane und alle anderen erdenklichen Farben und Farbtöne fügten sich in das harmonische Bild, während Bienen emsig Blütenpollen von Blumen für ihren süßen Nektar sammelten.
Die Büsche, welche die Wiese gelegentlich begrenzten und so in kleinere Teile unterteilten, wiegten sich sanft im lauen Wind, der nicht unangenehm war. Eine Brise wehte über das Land und wirbelte etwas Staub von einem steinigen Weg auf. Er war ungefähr zwei Meter breit, wies zwei Spurrillen auf, wie die Reifen eines Autos sie zu hinterlassen pflegten und schlängelte sich durch das Grün. Dieser führte durch die Idylle hindurch zu einem Berg, auf dem ein wuchtiger, viereckiger Bau thronte, dessen rote Ziegel im Kontrast zu den weiß gestrichenen Mauern standen. Vereinzelte Bäume am Wegesrand raunten mit ihren Blätterkronen eine Melodie, spendeten Schatten und hin und wieder konnte man einen Grashüpfer munter springen sehen.
Ein Mann saß am Fuß eines jungen Apfelbaumes, welcher bereits kleine, grüne Früchte trug. Gedankenverloren schaute er an den Blättern des Baumes vorbei, zum Himmel hinauf. Das grenzenlose Blau, zu dem der Mann aufblickte, war wolkenlos und klar. Vogelgesang, der den Mann sonst so oft erfreut hatte, erklang und erfüllte die Luft. Es konnte dem Einsamen unter dem Baum dieses Mal jedoch kein Lächeln entlocken, wie es sonst immer der Fall war. Auch die Hummel, die in der Nachmittagshitze träge vor sich hin brummte, ließ ihn dieses Mal nicht belustigt grinsen. Der Gedanke daran, dass man ihr sagen solle, dass sie eigentlich gar nicht fliegen konnte, weil sie angeblich zu pummelig dafür sei, ergriff ihn heute nicht. Stattdessen lehnte er mit geradem Rücken an der glatten Rinde des Baumes und starrte weiterhin nach oben, die Stirn in Falten gelegt, so als ob er sich gerade angestrengt unterhalten würde.
In der Ferne sah man die verschwimmenden Silhouetten zweier Reiter, die sich an der Spitze eines kleinen Hügels dunkel gegen die Sonne abzeichneten, doch auch diesen schenkte der Mann keinerlei Beachtung. Er war versunken in seinen wehmütigen Gedanken, die ihn nicht mehr losließen. Wieso habe ich sie gehen lassen? Ich hätte etwas tun sollen. Ich hätte ihr sagen sollen, dass ich sie liebe. Wie konnte ich nur so dumm sein? Oder war es doch das Richtige? Sollte es sich nicht gut anfühlen, das Richtige zu tun? Das tat es nicht. Es tat nur weh, zerriß ihm das Herz in tausend Einzelteile. Er spürte es, fühlte das Loch in seiner Brust und die Sehnsucht. Ihre wundervollen Augen, ihr unvergleichlicher Duft. Ihre Art sich zu bewegen, ihr federnder Gang. Ihre Lippen. Ihre süßen Küsse, von denen ihm jeder Einzelne das Himmelreich auf Erden verhieß.
Er atmete tief ein und aus. Was mache ich hier eigentlich, dachte er sich und zog die Beine an, stützte darauf seine Arme und wiederum darauf seinen Kopf. Seine Gedanken fuhren Karussell, Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn und tropfte zu Boden. Es war ihm unerträglich heiß. Seine braune Mönchskutte hatte er nicht an, denn die war bei diesem Wetter mehr als unpraktisch. Er schnaubte freudlos auf. Dieses Vorurteil, Mönchen würden immerzu in Kutten herumlaufen, war aber auch verdammt dämlich. Klar, es gab sie und klar, er trug sie, aber nur zu offiziellen Anlässen. Ansonsten kleideten sie sich auch nicht anders, als alle Anderen.
Er hob den Kopf und sein Blick blieb an dem Gebäude auf dem Berg hängen. Das Kloster stand dort bereits seit vielen Jahrhunderten, genau so lange, wie es seinen Orden bereits gab. Er hatte sich in die Stille und die Naturbelassenheit des Ortes verliebt. Der Orden, dem er angehörte, war nicht groß. Sie lebten größtenteils als Selbstversorger. Das Land ernährte sie und was sie nicht selbst herstellten, wurde gekauft. Oder gespendet. Die Menschen in der Gegend gaben eher selten etwas, aber Pilger ließen oft Geld zurück. Außerdem wurden Reisende hier kostenlos bewirtet und wer keine Bleibe für die Nacht hatte, fand hier Unterschlupf.
Auf diese Weise war er selbst hier gelandet. Denn er war nicht immer Mönch gewesen, natürlich nicht. Er war auch keineswegs religiös gewesen, in einem Leben, das ihm inzwischen so fremd vorkam. Es war Zufall gewesen, reiner Zufall. Er war sozusagen ein Aussteiger aus der Gesellschaft und aus seinem alten Leben. Aus einem Leben, das er nicht vermisste. Und er hatte zu Gott gefunden. Bildete er sich zumindest ein. Dennoch, sein Herz brannte in seiner Brust vor Sehnsucht und vor heißem Liebesschmerz.
Der Mann vermisste sie so sehr. So sehr, dass er es kaum aushielt. Nein, es war nicht das Richtige gewesen sie gehen zu lassen. Es war falsch gewesen. Aber stand sie nicht doch im Widerspruch zu seinem Eid? War sie seine Prüfung? Das Fleisch ist schwach, der Geist ist stark, hatte er sich während der letzten Tage immer und immer wieder eingeredet. Dies mochte in den meisten Fällen auch stimmen, jedoch war es nicht nur sein Fleisch, das schwach war. Alles in ihm schrie nach ihr, wollte sie berühren, wollte berührt werden, wollte ihren zarten Atem spüren und ihre weiche Haut fühlen. Und dieses schier unlöschbare Feuer in seiner Brust, es brannte mit einer nie gekannten Intensität.
Wieder stierte er zum Himmel und klopfte mit seinem Hinterkopf unregelmäßig gegen den Baum. Wieso ich? Wieso ausgerechnet ich? War das ein schlechter Scherz von höheren Mächten? Wieso hadere ich überhaupt so mit mir und meinem Schicksal, habe ich es nicht selbst in der Hand? Weiß ich nicht selbst, was ich tun soll? Wenn jede meiner Fasern doch danach schreit, wenn mein Herz bricht und wieder zusammengesetzt werden will, wenn jede Sekunde ohne sie unerträglicher ist, als die Vorausgegangene, wenn sich jeder Gedanke doch nur um sie dreht und sich alles in mir nach ihr sehnt, warum sitze ich dann immernoch hier und tue nichts dagegen?
Das Handy, auf dem er ihre Nummer gespeichert hatte, hatte er ihm See im Wald versenkt, gleich am Tag ihrer Abreise. Die Vögel hatten fröhlich vor sich her gezwitschert, während er das verdammte Ding angewidert von sich geschleudert hatte. Ein Schlussstrich den er gezogen hatte, der symbolischer nicht hätte sein können und der gleichzeitig seine Angst zeigte. Angst einen Traum loszulassen, der in der Wirklichkeit noch viel schöner war. Und er bereute es jede Sekunde.
Verbissen sah er zu dem Kloster auf dem Berg und dann wieder zum Himmel empor. Oh Herr, deine Wege sind unergründlich, ich weiß, aber ich bitte dich, gib mir ein Zeichen. Er schaute noch eine Weile erwartungsvoll in den Himmel, doch es geschah nichts, weshalb er etwas resigniert den Kopf schüttelte und wieder zu Boden starrte. Plötzlich spürte er da einen leichten Klaps auf seinem Hinterkopf und seine Hand fuhr an die Stelle. Er blickte sich verwirrt um, bis er die Ursache dafür ausmachen konnte und zum ersten Mal seit Tagen schmunzelte. Einer der grünen Äpfel war ihm auf den Kopf gefallen und hatte ihm den Schlag versetzt, so als wolle er sagen: Los, du Dummkopf, hol sie dir zurück! Was machst du noch hier? Etwas veränderte sich in diesem Moment. Seine Angst, sein Zweifel und seine negativen Gefühle waren wie ausgelöscht. Stärker noch, wie ausgewechselt, abgelöst von einer Freude, von einer freundlichen Wärme und von einem Vertrauen, von dem er selber nicht sagen konnte wo es herkam. Aber das war in diesem Moment nicht wichtig. Er wusste nun was zählte, worauf es ankam. Lachend sprang er auf und lief in Richtung Kloster davon. Dann hielt er noch einmal inne, rief ,, Danke Herr, ich danke dir!", und rannte jauchzend weiter. Er wusste nun, was er zu tun hatte. Er würde sie zurückholen.

DU LIEST GERADE
Mein Weg zu Dir
RomanceDas Leben des schusseligen Felix könnte so schön einfach sein, wäre da nicht Isabella. Die Buisnesslady nimmt sich eine Auszeit auf dem Land, von ihrer Arbeit und von ihrem Exfreund. Sie und Felix treffen sich, als sie das Kloster des Ordens besich...