Ich erwachte in einer allumfassenden Dunkelheit. Sie war so komplett, dass ich für viele Minuten annahm, dass ich tot sei. Da war nichts, außer dem leisen Anbranden der Wellen und dem Licht unzähliger Sterne, die die Schwärze des Himmels wie kleine Nadelköpfe unterbrachen. Ich mochte diesen nächtlichen Sternenhimmel normalerweise. Hier, auf den Marquesas, sowieso. So viele Sterne sah ich in Mönchengladbach nie. Selbst am Rand der Stadt, dort, wo die Betonwüste nicht die Felder und Wälder verschlungen hatte, gab es keine Chance auf einen grandiosen Anblick wie diesen.
Also musste ich auf meine Kosten kommen, denn dieser Himmel war so prachtvoll, dass es mir einfach die Sprache verschlug.
Alles war schön, und doch setzte sich ein fetter Kloß in meinem Halse fest. Es war so unglaublich still, und warum brannten keine Lichter? Es war, als seien sie für immer erloschen.
Ein Stromausfall? Es schien mir die logischste Erklärung. Wie nah ich damit an der Wahrheit war, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht. Ich hatte da ja noch keine Ahnung von dem Ausmaß des Wahnsinns, der die Welt für alle Zeiten verändert hatte.
Das nur nebenbei. Doch wenn es einen Stromaufall gegeben hatte, weshalb brannten dann keine Kerzen? Die gab es auf den Inseln, das hatte ich gesehen. War es so spät, dass alle schliefen? Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass dem nicht so war. Eine Viertelstunde vor Mitternacht schlief nicht die komplette Inselbevölkerung. Zu denen zählte ich auch die Touristen. Die schliefen um die Uhrzeit erst recht nicht!
Das brachte mich zur nächsten, sehr dringenden Frage: Weshalb war ich am Strand aufgewacht? Ich konnte mich nicht erinnern, dort so lange gelegen zu haben, dass die Müdigkeit groß genug geworden war und ich an Ort und Stelle eingeschlafen war.
"Was zum Henker ist hier los?" Ich fand, dass meine Stimme unheimlich klang in dieser dunklen, heftigen Stille. Als würde ich meinen Standort damit verraten und als sei ich besser beraten, wenn ich unauffällig bliebe.
Jetzt, in dieser furchtbaren Dunkelheit, gab es kaum Orientierungshilfen, um meine Unterkunft wieder zu finden. Ich musste hoffen, irgendwie den richtigen Weg finden zu können.
Die Suche ging gleich gut los. Nach vier Schritten landete ich im Meer. Ich änderte also die Richtung, nur um gleich darauf wieder im Wasser zu gehen. Das war nicht normal! Ich musste doch nur vom Geräusch des Wassers fort, dann würde alles gut werden.
Aber es war, als hätte das verflixte Meer einen eigenen Willen und den setzte es darein, mich auf meinem Weg zu blockieren, wo es nur ging.
Ich geriet deshalb nicht gleich in Panik, wohl war mir aber nicht. Irgendwo war Schluss für das Wasser, da konnte es noch so sehr anbranden, ich würde den richtigen Weg schon finden und trockenen Fußes zum Hotel kommen.
Kaum gedacht, fiel ich in eine Art Graben. Kopfüber stürzte ich in Meerwasser und glaubte für einige schreckliche Sekunden, dass es furchtbar tief sei. Doch als ich endlich zurück auf den Beinen war, merkte ich, dass das Wasser mir nur bis zu den Hüften reichte. Das war tief genug für meinen Geschmack und ich versuchte, so schnell wie möglich da raus zu kommen. Ohne die Hilfe von Licht wusste ich nicht, ob ich in Richtung Meer ging oder aber Strand. Erst nach einigen Schritten wurde klar, dass ich trockenes Land vor mir hatte.
Es war, als ich gerade den einen Fuß auf sandigen Boden stellte, als hinter mir ein Plätschern war. Dann fühlte ich, wie etwas an meinem Hosenbein riss. Es zwickte etwas in der Wade. Ich schrie auf und fühlte nun doch Panik, weil dieses Etwas nicht von meiner Hose abließ.
Im Gegenteil, es versuchte mich, fort zu ziehen, in Richtung Meer. Ich kämpfte und hielt dagegen, doch mein Gegner war stärker als ich. Leider hatte ich nur eine allzu klare Vorstellung, wer mich da attackierte. Ich hatte seit meinem Aufenthalt drei Rückenflossen im Wasser gesehen, das aber aus sicherer Entfernung.
Warum nur, warum geschah dies jetzt und ausgerechnet mir? In meiner Verzweiflung fiel mir nur ein Ausweg ein. Ich öffnete den Gürtel meiner Hose, riss den Knopf und den Reißverschluss auf und streifte die verdammte Hose ab. Das ging viel zu langsam, weil sie schön eng anlag, wie es zu dem Zeitpunkt Mode war. Verdammte Mode, wieso nur unterwarf ich mir diesem temporären Geschmack? Jetzt hatte ich den Salat, denn das Untier zog mich Stück für Stück fort vom rettenden festen Boden.
"Reiß doch auf, du blödes Stück Scheiße"!, schrie ich die Hose praktisch an. Aber der Stoff hielt, weil ich beim Kauf auf Qualität geachtet hatte. Warum nur fiel das jetzt auf mich zurück? Ich strampelte, ich riss, ich wackelte wie eine Stripperin an einer Stange, ich trat, ich krallte mich im fruchtlosen Bemühen, meinen Untergang zu verhindern, im Sand fest.
Wasser umschloss mich bald von allen Seiten, es war, als könnte ich sehen, wie sich das Festland vor mir zurückzog. Wenn ich nichts außer Wasser um mich hätte, wäre ich verloren, dessen war ich mir bewusst. Aber es gab nichts, was ich noch tun konnte, um mein Schicksal abzuwenden.
Ich war geliefert.
Dann tat mir die Hose endlich den Gefallen. Sie riss und glitt mir gleich darauf von den Beinen. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich begriff, dass da nichts mehr an meinem Bein zog und dass ich quasi halbnackt im Meer trieb. Wertvolle Zeit ging für die Analyse drauf, dass ich momentan von meinem Widersacher befreit war.
Wenn der erst verstand, dass er nur eine olle Hose im Maul hatte...
Ich kämpfte mich durchs Wasser, und das als miserabler Schwimmer. Glücklich merkte ich, dass er mich nicht weit aufs Wasser hinausgezogen hatte. Bald konnte ich stehen und watete so rasch es ging fort vom offenen Meer.
Aber da hörte ich das Plätschern wieder. Vollkommen panisch warf ich mich in Richtung Insel, in der großen Hoffnung, dass ich bald trockenes Land unter mir haben würde.
Ich kämpfte um das nackte Überleben und dachte schon verzweifelt, dass ich verloren hätte, weil doch das Geräusch des perfekten Jägers so unglaublich nahe klang, da kollidierte ich plötzlich, wie aus heiterem Himmel, mit etwas sehr Solidem.
Sterne anderer Art tanzten um mich und ich glaubte, nach dem ich mich endlich erholt hatte, dass es aus sei. Aber da merkte ich, dass rings um mich nichts als trockenes Land war. Ich hatte es geschafft, ich hatte den ersten Sieg errungen. In einer Reihe von vielen, die folgen mussten, wollte ich überleben. Das ahnte ich zu dem Zeitpunkt glücklicherweise nicht, denn wer weiß, ob ich mich dann doch lieber dem enttäuschten Räuber ins Maul geworfen hätte. Es war definitiv besser, dass ich es nicht wusste. O ja, definitiv!
(c) 2017 Peter Albra Brenner
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Atomic Baby
AdventureAusgehend von zwei unberechenbaren Politikern, die sich wie zwei Kleinkinder im Sandkasten benehmen, dabei aber auf dem Hintergrund von einem Arsenal an Atomsprengköpfen, kommen in der Geschichte zwei Überlebende des nuklearen Holocausts zu Wort. Si...