Fünftes Kapitel

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Er sah mich auffordernd an, als würde er mich herausfordern wollen, ihm zu antworten, sich gegen ihn aufzurüsten. Ich musste lächeln, die ganze Situation war schier zu verwirrend, um sie gänzlich zu verstehen. Wer konnte schon einen Hörenden verstehen, wenn man kein funktionierendes Gehör besaß? Er beherrschte die Kunst, mich zu verstehen und das reichte aus, um auf eine bizarre Art und Weise fröhlich zu sein. Er konnte meine Eltern zurecht weisen und ihnen sagen, dass noch Ingwer in die Suppe gehörte, ohne das sie sich mental angegriffen fühlten, obschon er der Überzeugung war, dass man während dieser Jahreszeit keine Suppe zu sich nehmen könnte, ohne zu überhitzen. Meine Eltern hatten nur gelächelt, als er dies sagte. Es war ein Lächeln, dass alles ausdrückte, was sie empfanden. Respekt und Zuneigung zu einer Person, die nicht nur aus Autorität und Strenge zu sein schien. Es war faszinierend, diese Veränderung mitzuerleben und das faszinierte mich an ihm. Josh war nicht wie die anderen, die unter der Stärke meines Vaters und dem eiskalten Blick meiner Mutter eingingen. Er war stark, richtete sich unter dem Blick meiner Eltern auf und er stammte aus Vaters Büro. Er forschte an geheimen Werken wie mein Vater und das machte ihn sympathisch, weil er verstand. Mich verstand.

Worüber denkst du gerade nach?

Neugierig musterte er mich, während wir über die Eisenbahnschienen liefen, die versteckt hinter Industriegebäuden im schwachen Licht der Abendsonne erstrahlten. Er hatte seine Hände in die Taschen seines dünnen Mantels, der aus einem teuren Material zu bestehen schien, gesteckt und nun ruhten seine Augen auf mir. Ich, die einfach neben einem fremden jungen Mann herlief, der an der Harvard University studiert, seinen Abschluss jedoch nicht bestanden hatte. Es grenzte an ein Wunder, dass er er geschafft hatte, doch das College hatte ihn mit offenen Türen empfangen, denn er war Sohn eines hohen Professors, der so manch einen Hahn kontrollierte und Einfluss ganz oben hatte. Eigentlich sollte es mich schockieren, dass dies an Korruption grenzte, doch das tat es nicht, denn sonst würde ich mein Ziel anzweifeln, meinen Traum, mich selbst. Innerlich verhöhnte ich mich selbst für diese fehlende Logik, doch dagegen unternehmen tat ich nichts. Warum auch, ich würde meine eigenen Träume platzen sehen.

Vor uns lagen die verlassenen Eisenbahnschienen in ihrem morschen Teint und all dem Unkraut, das den Anschien erweckte, sei wurden seit Jahren nicht mehr befahren. Was sie im Grunde auch nicht taten, da war ich mir sicher. Das Ungeziefer reichte mir bis zu den Knien und als wir uns in einer schmalen Kurve auf den leichten Hang setzten, bohrten sich kleine Steine in mein Kleid und meine Oberschenkel, während ich aufmerksam die Umgebung musterte. Ein wenig entfernt von all den Massen an geschäftstüchtigen Bürgern und Urlaub machenden Touristen schien diese Stille beinahe schon bedrückend. Im abgelegenen Industrieviertel fernab von den unzähligen Sehenswürdigkeiten machte sich das Grauen der Stadt bemerkbar. Hier war die Luft schlecht, der schädliche Qualm drang aus etlichen hohen Schornsteinen von wirtschaftlich wichtigen Gebäuden, die jedoch schon längst verwahrlosten und nicht mehr in Betrieb waren. Sie erweckten den Eindruck, als würden sie ihre langen Hälse in Richtung Himmel strecken wollen, um an frische Luft zu kommen. Doch in Wahrheit war dies einfach nur die Initiative einer Stadt gewesen, um all die Abgase ein wenig weiter oben in die Atmosphäre zu entlassen, um die sauberen Straßen New Yorks zu schützen und nicht in dreckigem Staub versinken zu lassen. Doch der Schmutz sank dennoch nach unten. Auf die Viertel, aus denen er stammte und machte sie zu grauen Einöden aus grauen Betonbaracken. Hier machte sich die Armut dennoch bemerkbar. Häufig suchten Bettler dieses Zuhause heim und das alles sollte doch der Welt zeigen, das New York gespalten war. Doch das tat es nicht, stattdessen gab es nur den Luxus, doch mir war es recht so, immerhin war es hier ruhig. Wenn auch unangenehm ruhig.

Vorsichtig berührte Josh mich an der Schulter.

Du redest wohl nicht gern, was?

Point ZéroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt