Neunzehn nach Leave

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Ich hasse IKEA. Es ist laut und voll und bei den Duftkerzen sind wir noch längst nicht angelangt.

Außerdem hat Leave mit unserem so gut wie leeren Einkaufswagen schon drei Mal fast einen Stapel mit Gläsern, Töpfen und Toastern gerammt, wobei ich jedes Mal einen halben Herzinfarkt erlitten habe. Mittlerweile sitzt sie im Wagen, den ich nun schiebe und tut nicht mal so, als würde sie schmollen. Vielmehr genießt sie es, herum kutschiert zu werden. Außerdem ist ihr langsam die Puste ausgegangen, was sie aber nicht zugeben wollte. Jetzt sitzt sie mit ihrem Rolli, in dem der transportierbare Sauerstoff gelagert ist, vor mir und beobachtet begeistert alles um uns herum.

„STOP!", bringt sie mich plötzlich zum stehen, klettert aus dem Wagen und schiebt ihn mitsamt dem Rolli und mir zu einem Berg an Kuscheltieren.

„Ich will die Ratte", sagt sie bestimmt, beugt sich vor und kramt solange in den identisch aussehenden Stofftieren, bis sie die gefunden hat, die natürlich was ganz Besonderes ist.

„Ich nenne sie Will-Ratte."

„Was für eine Ehre."

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das cool oder nicht cool finde: Bisher wurde noch nie eine Ratte nach mir benannt.

Will-Ratte und sieben verschiedene Kerzen, die wie eine gesamte Parfümerie riechen, landen am Ende auf dem Kassenband. Leave ist überglücklich, ich bin total am Ende und es wird nicht besser, als ich die Hotdog-Schlange sehe. Natürlich will Leave trotzdem einen Hotdog und eine Brause.

Nach anderthalb Stunden, insgesamt acht Hotdogs und zwei Softeis kaufen wir noch eine gemischte Tüte Süßigkeiten, die Leave sich selbst zusammenstellen darf.

„Ein Herz für dich, ein Herz für Will-Ratte und eins für mich", kommentiert sie vergnügt, als sie drei rosafarbige, in Zucker gewälzte Gelee-Herzen in die Tüte gleiten lässt. So stressig der Tag auch war – und wir sind gerade mal seit drei Stunden hier – damit bringt sie mich zum lächeln. Weil sie so geschäftig und konzentriert, aber gleichzeitig absolut glücklich wirkt.

Wie soll ich sie jemals loslassen können?

Der Gedanke schießt mir durch den Kopf und ich verdränge ihn ganz schnell. Hör auf damit, Will! Hör auf dich weiter in sie zu verknallen!

Ich brauche Benji, damit der mir deswegen einen Schlag auf den Hinterkopf gibt und eine Standpauke hält. Aber Benji ist bei mir Zuhause und zockt wahrscheinlich GTA, weswegen ich den Moment mit Leave einfach genieße. Das kann man ja auch mit einer guten Freundin.

Das glaubst du ja wohl selbst nicht.

Klappe!

Nachdem ich Leave wieder im Krankenhaus abgesetzt, sie umarmt und mich nochmal in der Tür umgedreht habe, um zu sehen, wie sie mit Will-Ratte an sich gedrückt lächelnd die Augen geschlossen hat, fahre ich heim. Mittlerweile geht das auch wieder ganz gut. Benji leiht mir seinen Wagen, wenn ich zu Leave fahre und seine Drohung, mir den Arsch aufzureißen und meinen Kopf wie ein Blaulicht auf das Wagendach zu heften, falls ich ihn zu Schrott fahre, wirkt genau so wie sie es soll: sobald ich auf dem Fahrersitz sitze und daran denke, muss ich lachen und jegliche Anspannung fällt von mir ab.

„Na, wie war' s?", begrüßt meine Mom mich, die mit Benji und Molly in der Küche beim Abendessen sitzt.

„Klasse. Wusstest du, dass es Kerzen mit Kaffee-Duft gibt?", frage ich gut gelaunt.

Benji schüttelt vorwurfsvoll den Kopf. „Setz die rosarote Brille ab, Alter. Deine Verknalltheit leuchtet dir ja schon aus dem Hintern."

Lachend setze ich mich zu ihnen.

„Sie hat eine Ratte gekauft und nah mir benannt", erzähle ich und tue mir Kartoffeln und Hühnchen auf.

„Eine echte Ratte? Darf sie das überhaupt im Krankenhaus?", fragt Mom irritiert.

„Nein, natürlich ein Stofftier. Die heißt jetzt Will-Ratte."

„Jaaah, weil du eine kleine Ratte bist, die sich gegen unsere Abmachung immer weiter in dieses sterbende Mädchen verliebt", kommentiert Benji schnippisch.

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. „Wir hatten keine Abmachung."

„Schon gut, Romeo, was machen du und Julia morgen?", fragt er.

„Bring sie doch nochmal mit her. Sie könnte mit uns zu Abend essen", schlägt Molly strahlend vor.

„Das geht morgen nicht."

„Wieso nicht?", fragt Molly enttäuscht.

„Weil wir morgen Trampolin springen gehen."

Und dann kam LeaveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt