Dort hing sie, im Baum, voller Schönheit. Umhüllt von Dornen. Unerreichbar. Unberührbar. Nicht einer der sie je berührt hat. Doch was keiner wusste, innen war sie glatt und roh. Ganz natürlich. Zwar war sie kalt, doch ein wärmendes Herz würde sie erwärmen können. Doch wie kann die Schale zerbrochen werden? Mit wahrer Liebe.
Als ich sie also so da hängen sah, wusste ich, dass ich es war, welche die Schale einreisen kann. Und ich wollte es. Ich besuchte sie jeden Tag, schenkte ihr meine Zeit. Und Tag für Tag öffnete sich ihre Schale ein Stück weiter. Ich war für sie da, sie wuchs daran Stück für Stück.
Eines Tages wollte ich wieder zu ihr. Ich wusste, sie war so weit. Ihre Schalen waren löchrig und eingerissen. Doch als ich schon aus der Ferne ihren Baum sah, merkte ich, dass etwas anders war. Die Blätter riefen wild durcheinander, die anderen Kastanien knakten aufgeregt ihre Schalen und selbst der sonst so souveräne Stamm blickte unruhig daher.
Und als ich es dann mit meinen eigenen Augen sah, ward mir schwarz vor Augen.
Sie war weg.
Ihre Schale lag in zwei Hälften zerbrochen da. Doch von ihr fehlte jede Spur.
Mich überkam eine unbändige Wut. Jemand müsste sie mir geklaut haben! Was hatte ich nicht alles für sie getan?
Doch als ich ein paar Schritte ging, da sah ich es.
Meine Kastanie, überfahren, tot auf der Straße.
Er hat sie mir für immer genommen.
